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Residenz Verlag (2007)
Roman
Gebunden
146 Seiten
ISBN 9783701714759
Es gibt keine Monster.
Lois wohnt in Wien und arbeitet als Krankenpfleger. Seine Kindheit verbrachte er als Waise in einem Heim am Arlberg – dort wo "die Uhren anders […] ticken". Ein beschauliches Dasein, könnte man meinen, mit einer netten Nachbarin, freundlichen Kollegen und einem Hund als Haustier. Doch Lois kommt nicht zur Ruhe – in seiner Umgebung lauern kleine Monster wie die titelgebende Wanderheuschrecke Chortoicetes Terminifera, auch wenn er sich immer wieder selbst versichert: "Es gibt keine Monster, ganz ausgeschlossen." Unter der Oberfläche, unter der Haut der Körper, die seine Nachbarin Kristina öffnen möchte – schließlich wollte sie immer schon Pathologin werden – finden Lois und der Leser eine Welt, in der logische Zusammenhänge nicht viel gelten. Hier tummeln sich Superman und Mister Spock, die Erinnerungen an das Heim, seine Arbeit und eine Reise nach Amerika überlagern einander und eröffnen eine Vielfalt an möglichen Deutungen.
Das Leben bleibt unfaßbar, Lois. Das ist so.
"Ich meine, wir mussten jeden Gedanken in ein Heftchen notieren, entfaltet euch, dann seid ihr gewappnet, aber so viele Gedanken gibt es gar nicht." – so erinnert sich Lois an das Heim und so wirkt auch Terminifera von Michael Stavarič, dem die Etikette Roman wohl kaum gerecht wird. Vielmehr sind es Dialogzeilen, Erinnerungen und Motive, die der Autor in einen losen Zusammenhang bringt – eine Geschichte existiert nicht, es sind viele Handlungsfragmente, die immer wieder durchbrochen werden von Gesprächsfetzen und einem neuen Erzählstrang, der jedoch ebenso abrupt enden muss, wie der letzte. Themenkomplexe und Motive, wie das der Reise und der Selbstfindung werden vermischt und sind Teil eines Mikadospiels mit Fiktion und Identität – was ja im Grunde genommen nichts Neues wäre, würde Stavarič nicht gekonnt immer dann mit einer neuen Finte aufwarten, wenn der Leser glaubt, auf der richtigen Spur zu sein: "Eine Wanderheuschrecke, selten genug in Wien. Ich glaube schon daran, dass alles in meinem Leben nur dazu dient, mich dorthin zu bringen, wo ich gerade bin. Eine Odyssee. Münchhausen flog einst auf einer Kanonenkugel, zwei kleine Pygmäen in seiner Hosentasche. Aber das glaubte ihm auch keiner."
Mit meinen Träumen, da stimmt etwas nicht, da fährt niemand auf Kreuzfahrt, kein Walzer, nicht ums Verrecken.
Der einzige rote Faden, der sich durch das Buch zieht, sind Monster – sowohl die Monster, die Lois fürchtet, als auch die Monster, die das Leben aus den Menschen macht. Die Erlebnisse im Heim, in dem er misshandelt wurde, der Arbeitsplatz Krankenhaus und die unbefriedigenden Beziehungen zu anderen Menschen – sie alle sind geprägt von Unsicherheit und Rastlosigkeit. Einzig die Hündin Sammy – oder ist sie keine Hündin? – lässt so etwas wie Vertrauen möglich erscheinen, jedoch torpediert der Autor am Ende selbst diese Hoffnung in gewohnter Manier. Konsequent ist auch der Stil: Stavarič spielt mit Fragmenten, abgerissenen Sätzen und kursiv gesetzten Dialogzeilen. Durch die wiederholten Rückgriffe auf vorher begonnene Gedanken entwickelt sich ein dem Buch eigener Rhythmus, der in den Bann zu ziehen vermag. Dazwischen finden sich immer wieder Begriffsdefinitionen, die der Autor jedoch bereits nach dem ersten Satz ins Absurde abgleiten lässt und die sich in das Fragmentarische des Buches eingliedern. Mit "Terminifera" legt der als Autor, Übersetzer und Herausgeber tätige Michael Stavarič einen Text vor, der für die Lesenden zugleich beeindruckend als auch fordernd ist – schließlich hört schon Lois den Vorwurf: "Warum zum Teufel kannst du etwas nicht ganz normal erzählen, Lois, wie jeder andere auch." (Bernhard Pöckl)