Der brisante Dokumentarfilm „Über Wasser“ von Regisseur Udo Maurer zeigt anhand dreier regionaler Begebenheiten in ebenso vielen Ländern – namentlich das Mündungsgebiet des Brahmaputra (Bangladesch), die ehemalige Fischerei- und Hafenstadt Aralsk am Aralsee (Kasachstan) und Kibera, dem größten Slum im afrikanischen Nairobi (Kenia) – die Problematik der Trinkwasserversorgung bzw. generell vom alltäglichen Kampf ums Überleben.
1,2 Milliarden Menschen haben weniger als 20 Liter sauberes Wasser pro Tag
Die ausreichende Bereitstellung von Trinkwasser hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem der am meisten drängenden globalen Menschheitsprobleme entwickelt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Jeder zweite Mensch in den Entwicklungsländern leidet an einer Krankheit, die unmittelbar durch unsauberes Trinkwasser hervorgerufen wurde. Etwa fünf Millionen Menschen sterben jährlich an Krankheiten, die durch Verunreinigungen des Wassers bzw. durch Keime im Wasser, das sie trinken, verursacht sind. Zu den häufigsten Krankheiten, die durch nicht einwandfreies Trinkwasser verbreitet werden und die nicht selten epidemieartig auftreten, gehören u. a. Ruhr, Typhus, Cholera, Darmfieber und Amöbeninfektionen. Die Überbeanspruchung von Grundwasser betrifft aber nicht nur so genannte Entwicklungsländer: So wurde in Israel z.B. das Grundwasser an der Küste so stark abgepumpt, dass Meerwasser nachfloss, welches die Süßwasservorräte versalzte und faktisch ungenießbar machte. Im Süden des kalifornischen Central Valley wiederum senkte sich die Erdoberfläche teilweise bis zu acht Meter. Ursache war und ist der fallende Grundwasserspiegel infolge übermäßigen Wasserentzugs zur Bewässerung. Laut Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Mannheim ist das jährlich erneuerbare Wasserdargebot ein wichtiger Wert zur Beurteilung der Wasserversorgungsmöglichkeit in einem Land. Liegt das erneuerbare Wasserdargebot, das in einem Land je Einwohner und Jahr verfügbar ist, unter 1000 m³, so wird von Wasserknappheit gesprochen. Unterhalb dieses Grenzwertes ist sowohl die menschliche Gesundheit als auch die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ernsthaft gefährdet. Das betrifft gegenwärtig ständig 132 Millionen Menschen in 20 Ländern der Erde, vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten. Folgende zehn Länder gehören zu den wasserärmsten Ländern der Welt, weil die Wasserknappheit weit unter dem Grenzwert von 1000 m³/Einw./Jahr liegt (zum Vergleich Deutschland 2096 m³): Dschibuti (19 m³), Kuweit (75 m³), Malta (85 m³), Katar (103 m³), Bahrain (185 m³), Barbados (195 m³), Singapur (222 m³), Saudi-Arabien (284 m³), Vereinigte Arabische Emirate (293 m³) und Jordanien (308 m³). Weltweit finden deshalb 1,2 Milliarden Menschen im Umkreis von 1,6 Kilometer um ihre Behausung nicht einmal das Existenzminimum von 20 Liter sauberem Wasser pro Tag vor.
Im Vergleich dazu die Situation in Österreich (Quelle: Lebensministerium): In Österreich werden vom jährlich zur Verfügung stehenden Wasserdargebot von 84,3 Milliarden Kubikmetern nur 2,6 Milliarden Kubikmeter (rund 3%) für den jährlichen Wasserbedarf benötigt. Der durchschnittliche Wasserverbrauch (ohne Einbeziehung von Gewerbe, Industrie oder Großverbrauchern) liegt demnach bei ca. 135 Litern pro Tag und Person. Ein durchschnittlicher österreichischer 4 Personen - Haushalt benötigt also in etwa 200 Kubikmeter pro Jahr.
Ist Wasser ein Menschenrecht oder ein Wirtschaftsgut?
Soweit die Fakten, nun zum Film, der sich darauf beschränkt Bilder und Originaltöne zu bringen, was also fehlt sind Off-Texte. Regisseur Udo Maurer begründet dies folgendermaßen: „Das war ganz bewusst und wichtig. Ich sehe den Film nicht als abgeschlossene Arbeit, sondern als Kick-Off. Und ich hoffe, dass sich jetzt noch einiges bewegt. Es wird eine Homepage geben, und wer aus dem Kino kommt und mehr wissen möchte, kann auf die Homepage gehen, sich mit NGOs und Projekten verlinken, bei denen die Zuschauerinnen und Zuschauer aktiv weiter machen können. Dabei soll eine Plattform entstehen, auf der Infos zum Thema zu bekommen sind. „Über Wasser“ selbst soll neugierig machen und Gefühle hinterlassen, danach ist das Internet das bessere Medium. Ab da geht der Film in eine andere Ebene über.“
Tatsächlich reicht das zur Verfügung gestellte Filmmaterial von „Über Wasser“, um zumindest ansatzweise erahnen zu können, in welchem Dilemma die Menschheit jetzt bereits steckt, und – wenn wir uns nicht alle an der Nase nehmen – in Zukunft es ziemlich böse aussehen wird. Schwer zu sagen, welcher der drei Beiträge den Zuseher am meisten betroffen macht – emotional geht es nämlich dreimal in eine andere Richtung – vermutlich ist aber der dritte Beitrag, jener über die Wasserzustände in Kibera (dem größten Slum Afrikas mit einer Bevölkerungsdichte von 20.000 Einwohner pro Quadratkilometer) jener, der am meisten sorgenvoll betrachtet werden muss. Schließlich geht es darin um die grundlegende Frage, ob sauberes Trinkwasser Menschenrecht oder Wirtschaftsgut ist. Man will sich das Szenario gar nicht so richtig vorstellen, was passiert, wenn weltweit der letzte Tropfen Menschenrecht verbraucht ist.
In dichten Bildern werden wir Zeuge eines großen Themas, das hierzulande jedoch ob unseres Überflusses viel zu wenig beachtet wird. Ein Film, der keine Fragen aufwirft, und genauso wenige Antworten gibt, der aber beim Zuseher einen Denkprozess auslöst. „Über Wasser“ ist klarerweise kein schöner Film, aber ein Film, der gesehen werden muss, und man kann sich nur wünschen, dass ihn auch möglichst viele sehen werden. (Manfred Horak; Alle Fotos: POOOL Film Verleih / Lotus Film)
FILMINFOS
Über Wasser
Bewertung: @@@@@@
Verleih: POOOL Film Verleih
Österreich / Luxemburg 2007
35mm, Farbe, 82 Minuten, Dolby Digital, OmU
Regie: Udo Maurer
Konzept: Ursula Sova, Michael Glawogger
Regieassistenz: Gregor Weiss
Produktionsleitung: Monika Lendl
Musik: Serge Tonnar
Originalton: Philippe Kohn, Eckehard Braun
Schnitt: Oliver Neumann, Ilse Buchelt, Emily Artmann
Kamera: Attila Boa, Udo Maurer
Produktion: LOTUS-FILM (A) und Samsa Film (Lux)
ProduzentInnen: Erich Lackner, Anne Schroeder
"Über Wasser" entstand mit Unterstützung von Österreichisches Film Institut, Filmfonds Wien, ORF (Film-/Fernsehabkommen), Filmfund Luxembourg, Eurimages
Link-Tipps:
www.ueberwasser.at