„Eine Gestalt wie Hitler objektiv und leidenschaftslos zu analysieren befiehlt uns nicht nur unser wissenschaftliches Gewissen.“, schrieb Erich Fromm in „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ (DVA, 1974). Und weiter: „Es ist auch die Voraussetzung dafür, dass wir für die Gegenwart und Zukunft eine wichtige Lehre daraus ziehen können. Jede Analyse, die Hitlers Bild verzerrt, indem sie ihn seiner menschlichen Eigenschaften beraubt, würde uns nur noch blinder machen für die potenziellen Hitlers, die keine Hörner haben.“ Vollkommen hornlos, also entdämonisiert, ja, geradezu bemitleidenswert menschlich wird Adolf Hitler in der so genannten Komödie „Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ in Szene gesetzt. „So genannte Komödie“ deshalb, weil der Film leider ganz und gar nicht mit Humor glänzt, dafür mit umso mehr Fadesse ermattet. Womit wir schon beim großen Schwachpunkt des Films von Regisseur und Drehbuchautor Dani Levy sind. Im Gegensatz zu „Der große Diktator“ von Sir Charles Chaplin aus dem Jahr 1940 wird man „Mein Führer“ relativ rasch vergessen. Zu wenig ausgeklügelt sind die Pointen, und selbst die Schlussrede – auf die ja der Film hinarbeitet gerät zu einem – allerdings sehr müden - Abklatsch auf die zum Teil improvisierte Schlussrede von Charlie Chaplin in „Der große Diktator“. Obwohl: Grotesk ist sie schon irgendwie. Was passiert? Während Adolf Hitler nicht in der Lage ist zu sprechen und lediglich die Lippen bewegt, übernimmt Prof. Adolf Grünbaum, unter dem Rednerpodest stehend, die Aufgabe des Redners. Zunächst vom Blatt lesend, dann vom geplanten Text abweichend beginnt er sich über Hitler lustig zu machen, bis am Ende die Deutschen mit einem „Heil mir selbst!“ dem kranken Massenmörder zujubeln. Auch hier gelang es Dani Levy leider nicht ein erinnerungswürdiges Zeichen zu setzen. Anstelle z.B. fundierter Gegenwartskritik lässt er Grünbaum/Hitler ganz privat jammern - viel hängen geblieben ist davon allerdings nicht. Bei Chaplin hingegen, zur Erinnerung, liest sich seine unglaublich bemerkenswert zeitlose Schlussrede folgendermaßen:
"Es tut mir leid, aber ich will kein Kaiser sein. Das ist nicht meine Sache. Ich möchte niemanden beherrschen und niemanden bezwingen. Es ist mein Wunsch, einem jeden zu helfen – wenn es möglich ist – sei er Jude oder Nichtjude, Weißer oder Schwarzer. Wir alle haben den Wunsch, einander zu helfen. Das liegt in der Natur des Menschen. Wir wollen vom Glück des Nächsten leben – nicht von seinem Elend. Wir wollen nicht hassen und uns nicht gegenseitig verachten. In dieser Welt gibt es Raum für alle, und die gute Erde ist reich und vermag einem jeden von uns das Notwendige zu geben.
Wir könnten frei und anmutig durchs Leben gehen, doch wir haben den Weg verloren. Die Gier hat die Seelen der Menschen vergiftet – sie hat die Welt mit einer Mauer aus Hass umgeben – hat uns im Stechschritt in Elend und Blutvergießen marschieren lassen. Wir haben die Möglichkeit entwickelt, uns mit hoher Geschwindigkeit fortzubewegen, doch wir haben uns selbst eingesperrt. Die Maschinen, die uns im Überfluss geben sollten, haben uns in Not gebracht. Unser Wissen hat uns zynisch, die Schärfe unseres Verstandes hat uns kalt und lieblos gemacht. Wir denken zuviel und fühlen zu wenig. Dringender als der Technik bedürfen wir der Menschlichkeit. ...
In diesem Augenblick erreicht meine Stimme Millionen Menschen in der ganzen Welt – Millionen verzweifelter Männer, Frauen und kleiner Kinder –, die die Opfer sind eines Systems, das Menschen dazu bringt, Unschuldige zu quälen und in Gefängnisse zu werfen. Denen, die mich hören können, rufe ich zu: Verzweifelt nicht! Das Elend, das über uns gekommen ist, ist nichts als Gier, die vorübergeht, die Bitterkeit von Menschen, die den Fortschritt der Menschheit fürchten. Der Hass der Menschen wird aufhören, Diktatoren werden sterben, und die Macht, die sie dem Volk genommen haben, wird dem Volk zurückgegeben werden. Solange Menschen sterben, kann die Freiheit niemals untergehen.
Soldaten! Unterwerft euch nicht diesen Gewalttätern, die euch verachten und versklaven, die euer Leben in starre Regeln zwingen und euch befehlen, was ihr tun, was ihr denken und was ihr fühlen sollt! Sie drillen euch, sie päppeln euch auf und behandeln euch wie Vieh, um euch schließlich als Kanonenfutter zu verbrauchen. Unterwerft euch nicht diesen Unmenschen – Maschinenmenschen mit Maschinengehirnen, Maschinenherzen. Ihr seid keine Maschinen! Ihr seid Menschen! ...
Soldaten! Kämpft nicht für die Sklaverei! Kämpft für die Freiheit! Im siebzehnten Kapitel des Lukas-Evangeliums steht geschrieben, das Reich Gottes sei im Menschen – nicht in einem Menschen oder in einer besonderen Gruppe von Menschen, sondern in allen! In euch! Ihr, das Volk, habt die Macht – die Macht, Maschinen zu erschaffen. Die Macht, Glück hervorzubringen. Ihr, das Volk, habt die Macht, das Leben frei und schön zu gestalten – aus diesem Leben ein wundersames Abenteuer werden zu lassen. Lasst uns also – im Namen der Demokratie – diese Macht anwenden – vereinigt euch! Lasst uns kämpfen für eine neue Welt, für eine gesittete Welt, in der jedermann die Möglichkeit hat zu arbeiten, die der Jugend eine Zukunft und die dem Alter Sicherheit zu geben vermag.
Die Gewalttäter sind zur Macht gekommen, weil sie euch diese Dinge versprochen haben. Doch sie lügen! Sie halten ihre Versprechungen nicht. Sie werden das nie tun! Diktatoren befreien sich selbst, aber sie versklaven das Volk. Lasst uns nun dafür kämpfen, die Welt zu befreien – die nationalen Schranken niederzureißen – die Gier, den Hass und die Intoleranz beiseite zu werfen. Lasst uns kämpfen für eine Welt der Vernunft – eine Welt, in der Wissenschaft und Fortschritt zu unser aller Glück führen sollen. Kameraden, im Namen der Demokratie, lasst uns zusammen stehen!"
Soweit Chaplin. Nun wieder zurück zu Dani Levys harmloser Komödie, das im bereits zerbombten Berlin spielt, wo Adolf Hitler wie ein Gefangener residiert. Das wahre Aussehen Berlins wird ihm von seinen Schergen verheimlicht, Goebbels entwirft jene "Wollt-ihr-den-totalen-Krieg?!"-Brandrede. Zu diesem Zwecke holt Goebbels den früheren Sprachtrainer Adolf Hitlers - eben Prof. Adolf Grünbaum - aus dem KZ Sachsenhausen zu Hitler, damit dieser den desolaten Diktator wieder redetauglich macht. Zumindest ein letztes Mal, denn Hitler soll die Rede zwar zu Ende halten, dann aber per Bombenanschlag getötet werden.
Grünbaum legt Hitler auf die Couch, dieser weint sich denn auch tatsächlich bei ihm aus, was meistens einen Kalauer nach dem anderen anstelle züngelnden Humors ergibt.
Interessanterweise wird heutzutage – und aus Anlass des hier besprochenen Films – in vielen Medien die Frage gestellt, ob man über Hitler lachen darf. Eine Frage, die sich ad absurdum führt, und mich sehr verwundert, dass sie überhaupt noch gestellt wird. Aber bitte, näher soll an dieser Stelle gar nicht eingegangen werden – wer zu diesem Thema mehr in Erfahrung bringen möchte, dem sei das Buch „Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler – Komik und Humor im Dritten Reich“ (Eichborn, 2006; siehe Buchkritik) empfohlen, das sich auch der Nachkriegszeit bis in die jüngste Gegenwart hinein annimmt. Kurzum: Dani Levy hätte also durchaus aus dem Vollen schöpfen können, umso mehr, da er mit Helge Schneider einen Hitler-Darsteller zur Verfügung hatte, von dem man ja einiges gewöhnt ist – nur nicht Biederkeit. Aber genau das passierte mit Helge Schneider, vielleicht auch, weil er bis zur Unkenntlichkeit maskiert wurde, mutmaßlich aber – so hört man von vielen – soll dieses Dilemma durch den Filmschnitt verursacht worden sein. Schade um die vertane Chance – da schau ich mir lieber zum wievielten Mal auch immer „Der große Diktator“ oder „The Producers“ (1968; Remake 2006) von Mel Brooks an. (Manfred Horak; Fotos: X Filme, Joachim Gern)
Link-Tipps:
Interview mit Dani Levy
www.der-grosse-diktator.de
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Verleih: Filmladen (2007)
DIE BESETZUNG
Helge Schneider (Adolf Hitler)
Ulrich Mühe (Prof. Adolf Grünbaum)
Sylvester Groth (Dr. Joseph Goebbels)
Adriana Altaras (Elsa Grünbaum)
Ulrich Noethen (Heinrich Himmler)
Stefan Kurt (Albert Speer)
Lambert Hamel (Obergruppenführer Rattenhuber)
DAS TEAM
Buch & Regie: Dani Levy
Produzent: Stefan Arndt
Herstellungsleitung: Marcos Kantis
Produktionsleitung: Peter Hartwig
Kamera: Carl F. Koschnik, Carsten Thiele
Szenenbild: Christian Eisele
Visual Effects Supervisor: Frank Schlegel
Kostümbild: Nicole Fischnaller
Maske: Gregor Eckstein, Jeanette Latzelsberger
Originalton: Raoul Grass
Tongestaltung: Hubert Bartholomae
Schnitt: Peter R. Adam
Musik: Niki Reiser
Casting: Simone Bär