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Verleih: Filmladen (2006)
Ein hochbegabter Junge hebt ab, durch eigenen Erfindungsreichtum und großväterlicher Unterstützung. Die Geschichte sollte positiv sein, ohne Scheidung und ohne bittere Anklagen – mit einem Ende, dass bewusst die Handschrift der früheren Pianisten-Schmonzetten benutzt. Herausgekommen ist ein vergnüglicher Sonntagnachmittag Film für die ganze Familie, ohne dabei dumm oder kitschig zu sein.
Eine Familiengeschichte der modernen Schweiz
Ein Kind (Fabrizio Borsani als 6 jähriger) ist hochbegabt, wie sich herausstellt vor allem am Klavier. Seine Eltern versuchen bestmöglich mit seinem außergewöhnlichen Talent umzugehen. Die Begabungen ihres Sohnes zu fördern. Was nicht unkompliziert ist, da das Kind selbst seine Andersartigkeit bemerkt, und damit in gesellschaftliche Schwierigkeiten kommt. Einerseits findet das Kind (Teo Gheorghiu als 12 jähriger) großes Verständnis bei seinem Vater (Urs Jucker), der selbst ein Erfinder ist, und auch beim Großvater (Bruno Ganz), einem handwerklich begabten Tüftler. Andererseits versucht seine Mutter (Julika Jenkins) alles richtig zu machen, und konzentriert sich mit der Zeit ganz auf die Förderung seiner Intelligenz, was gegen die Bedürfnisse des Kindes nach Einfachheit und Liebe geht, die er glaubt in seiner Babysitterin (Kristina Lykowa) schon gefunden zu haben.
Schweizer Understatement
Die Geschichte spitzt sich zu, der Junge bricht aus, und schafft sich eine Gegenwelt ohne dabei autistisch zu werden. Die Gestaltung der Räume, der Wohnungen, des ländlichen Anwesens von Bruno Ganz, der schon lange für diese Rolle ausgesucht war und viele liebenswerte Schrullen mit eingebracht hat, erzählt sehr viel über das berühmt berüchtigte schweizerische Understatement. Wie Fredi M. Murer erklärt, ist die Schweiz ein Land, das keine Könige hatte, wo ca. 2/3 Generationen zurück die Familie noch Bauern waren. Es gab keine Rohstoffe. „Der Rohstoff der Schweiz ist das Gehirn, sind seine Erfindungen.“ Deshalb der kühle Stil, die klaren Formen bis zur absoluten Leere. Was eine etwas eigenartige Verbindung mit der Romantik der Geschichte schafft. Die Schweiz hat eine ganz eigene Romantik.
Originalsprachen
Die verschiedenen Dialekte und Zweisprachigkeiten sind sehr feinsinnig ausgesucht, und gehen in der deutschen Synchronisation leider verloren. „Andererseits kann man sich ganz auf das Spiel der Schauspieler konzentrieren ohne dabei lesen zu müssen“, was Murer fast noch wichtiger ist. Sonst würde man die wirklich herzergreifende Szene in seiner Gänze verpassen, wo der erfolgreiche zwölfjährige Mann, der 21-jährigen Angebeteten (Tamara Scarpellini) seine ernsthaften Absichten erklärt. Mehr möchte nicht verraten sein.
Kalte Vernunft und ein warmes Herz
Das ist es, was ein Klaviervirtuose braucht. Und nicht nur diese Kunstgattung. Wie er in seinem Meisterwerk „Höhenfeuer“ gezeigt hat, ist Murer auch zu einer anderen Art Film fähig. Diesmal hat er sich aber bewusst für eine Geschichte entschieden, die die moderne Schweiz thematisiert, mit all ihren Widersprüchlichkeiten, ohne damit einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen zu wollen. Die Deutschschweiz war ihm bisher sehr dankbar dafür. Und 30 andere Länder interessiert dieser liebevolle Umgang mit dem Thema auch. (Stephanie Lang)
Link-Tipp:
Interview mit Julika Jenkins