Slumming heißt der neue Kinofilm von Regisseur Michael Glawogger mit Paulus Manker, Maria Bill, u.a. Ein den Handlungsrausch unterstützender Bilderrausch von einem Film, bei dem das Schauspielerensemble nicht nur gefordert ist sondern tatsächlich auch spielen darf. Stephanie Lang traf sich für Kulturwoche.at mit Michael Glawogger zu einem entspannten Gespräch.
Kulturwoche.at: Was bedeutet für sie Arbeit?!
Michael Glawogger: Arbeit? Wieso Arbeit, das war der letzte Film?
Nachdem ich den Film gesehen habe - und ich muss zugeben, es war der erste Film, den ich von Ihnen gesehen habe, wollte ich erst noch andere Filme von Ihnen sehen, weil mir nicht klar war: ist das jetzt ernst zu nehmen, oder nicht? Er ist gut gemacht, er ist in allem gut, und trotzdem weiß ich nicht, ob ich den Film ernst nehmen soll...
Das ist gut. - Ich rede bei solchen Sachen immer über eine konstruktive Verstörung. Ich glaube, wenn man irgendwann da sitzt und nicht weiß, wo man steht, wenn man das anschaut - dann führt das ja zu etwas. Mir fällt dazu immer ein amerikanisches Cartoon ein, das es in manchen Sonntagszeitungen gibt. Das heißt ‚Doonesbury’. Und dort sitzen die Kinder vor dem Fernseher und schauen sich eine gewalttätige Szene an, und schreien in das Nebenzimmer: „Hey, Daddy, is this News, or may we enjoy it?“ Ich finde, das ist ein sehr guter Punkt, zu dem was Sie da gerade sagen, was sich eigentlich durch meine Filme zieht. Dass es solche Irritationen gibt, wo man nicht genau weiß, darf ich jetzt lachen, ist das irgendwie todtraurig, ist das ernst, ist das gemein, ist das böse, ist das gut? - Und ich glaube, das sind eigentlich die Momente im Kino, wo man auf eine nicht so fingerzeighafte Weise dazu kommt, dass man sich über die Welt etwas überlegt.
Genau so ging es mir. Deshalb frage ich gerade Sie, was für Sie ‚Arbeit’ ist? Wo fängt sie an sich zu definieren? Sie haben zum Beispiel bei Workingman's Death am Anfang zitiert, man kann viele angenehme Dinge wie Essen, Trinken, Lieben nicht acht Stunden lang machen - Arbeiten hingegen schon. Und jetzt kommt dazu, wie in anderen Filmen von Ihnen und eben gerade auch in Slumming: Wenn man gar keine „Arbeit“ hat, und Lieben, sowie Essen und Trinken zur Arbeit wird, kann man es dann plötzlich doch acht Stunden lang? Oder kann man es nur deshalb acht Stunden lang, weil es jetzt per Definition Arbeit ist?
Ich weiß es irgendwie auch nicht. Für mich ist es schon schwer mit dem Begriff Arbeit. Und wie ich angefangen habe, das Konzept für Workingman's Death zu schreiben, hab ich geschrieben: „Ich habe mich nie dazu durchringen können, Filme machen als eine Arbeit zu sehen. Weil ich es zu gerne mache.“ Aber das ist wahrscheinlich auch ein vollkommen idiotischer, katholischer Standpunkt. So wie wir sofort die Sünde akzeptieren für etwas, das wir gerne machen, können wir uns nicht vorstellen, oder vielleicht nur meine Generation sich nicht vorstellen kann, das Arbeit etwas ist, was man auch gerne macht. Vielleicht hat sich Arbeit für mich sehr negativ definiert, für etwas, was einem das Kreuz bricht. Aber ich denke, darüber bin ich vielleicht auch durch die Arbeit an dem Film Workingman's Death etwas hinweggekommen, weil ich auch gesehen habe, das vielen Leuten, die solch eine Arbeit machen, ihre Arbeit sehr viel Spaß macht.
Was sehen Sie in der Figur, der Maria Bill? Ich hatte den Eindruck, es geht bei Slumming um lauter ‚abhängige Einzelkämpfer’.
Also, was mir jetzt zu Maria Bill einfällt, also auch zu ihrer Rolle im Film, ist, dass sie vielleicht sogar einen der Schlüsselsätze sagt. Wenn sie nämlich aus ihrer Welt des Trinkens in diesem Beisl herausgerissen wird, und mit Pia nach Tschechien fährt. Da sitzt sie ja einmal im Auto, und sagt: „Eigentlich komisch, wem so was einfallt.“ Dass sie ihren Freund ins andere Land führen. Und dann nimmt sie, glaub ich, einen Zug von ihrer Zigarette und sagt: „Aber eigentlich finde ich des ganz lustig.“ (lacht) Und das ist etwas, was für mich den Film oder diese Art, die Sie früher auch beschrieben haben, dieses: „Soll ich das jetzt ernst nehmen?“ so auf den Punkt bringt, weil das ist es ja. Obwohl es auf der Oberfläche eine schreckliche Tat ist, denkt sich ja jeder im Insgeheimen, im zweiten Schritt, „aber eigentlich ist ja des ganz lustig. Die Idee hod jo wos.“ Und in dieser Schere drinnen, glaub ich, funktioniert der ganze Film. Insofern ist sie vielleicht eine Nebenfigur, hat aber auch, wie sie richtig sagen, vieles von den anderen Figuren auch in dieser Einzelkämpferhaftigkeit. Sie ist aber auch eine wichtige Figur darin, dass man den soft streak (die weiche Seite) von Kalman auch mitkriegt, weil er kümmert sich ja um sie sehr liebevoll, was ja sonst nicht so seine Art ist der Welt gegenüber. Auf sie passt er auf, und sie ruft er an, und sie bedeutet ihm was. Und insofern ist sie, obwohl sie eine kleine Rolle ist, glaub ich eine sehr feine. - Großartig gespielt.
Ja. Für mich war auch noch einer der Hauptsätze, dieses: „Man is alla, oder man is am meisten alla, wenn ma morgens alla ist, -
Ah so, ja.
- obwohl ma nicht alla ist. er lacht Oder so.
„Wachst auf, bist alla. Bist net alla, bist a alla.“
Wo sie ihren Beruf ja nicht unbedingt als Arbeit empfinden er lacht - wir kommen jetzt in eine Zeit, wo es immer weniger Arbeit gibt, zumindest wie sie früher definiert war, als etwas, „das uns das Kreuz bricht“. Was für eine Entwicklung prognostizieren Sie, wenn jeder immer mehr Möglichkeiten hat, das Ihre zu machen?
Na ja. Früher war der Privatier ein Reicher. Der Privatier war eigentlich ein Schöngeist, der sich entschlossen hat auf Grund seiner ökonomischen Verhältnisse nur mehr zu lesen und auf Gesellschaften zu gehen und gebildet zu sein. Ich denke schon, dass es irgendwo dort – also, zumindest in dem kleinen Teil der Welt, in der wir leben, also in Mitteleuropa, oder in wenigen Orten in den Vereinigten Staaten vielleicht, oder in kleinen Teilen Asiens, solche Problematiken gibt. Im Großteil der Welt gibt es diese Problematiken nicht! - weil die Welt einen ganz anderen Zustand hat. Wir tun immer, wie wenn die ganze Welt Mitteleuropa wäre, was ja nicht der Fall ist. Aber hier wird es sicher so sein, dass man die Leute wird entlohnen müssen, obwohl sie nichts tun. Also, die Arbeitslose wird zu einem System werden. Das glaube ich, wird früher oder später kommen. Und was das mit der Psyche der Leute tut, und wie sehr sie das hinnehmen können und wollen – weil, früher war es ja immer so ein Wunschgebilde „nichts tun zu müssen und dafür Geld zu bekommen“. Ob uns das so glücklich macht, das ist, glaub ich, dahingestellt.
Paulus Manker spielt den Sandler sehr genussvoll. Das heißt, „das Schlimme“, was man ihm angetan hat, merk ich kaum, weil er es nicht als schlimm empfindet. War das so beabsichtigt?
Für mich ist das einer der wichtigsten Punkte des Films! Und zwar deshalb, weil ich eigentlich zeigen will, dass aus einer bösen Tat etwas Gutes erwachsen kann, und umgekehrt. Oder vielleicht noch anders formuliert: auch die richtigen Entscheidungen werden aus den falschen Gründen getroffen. Ich glaube, dass so die Welt funktioniert, und dass sie nicht so funktioniert, dass man etwas Böses tut, und dafür bestraft wird. Weil - - sonst müsste es ja so etwas wie einen gerechten Gott geben, und da es diesen offensichtlich nicht gibt - er lacht - da es keinen Schiedsrichter gibt, funktioniert die Welt auf eine sehr kryptische Art und Weise. Und auf eine Art und Weise, die sich aus so vielen Entscheidungen zusammensetzt, die wir im Leben treffen. Und oft führen Entscheidungen gar nicht zu dem, was wir damit haben erreichen wollen, sondern zu etwas ganz etwas Anderem. Eigentlich sogar meistens, und das ist fast irgendwie die Kernaussage dieses Filmes.
Was ich noch sehr lustig fand, war die Szene in der es plötzlich ganz praktisch wurde: es ging „ums Tixo“.
Ums Tixo, absolut. „Des nutzt nichts. Des Tixo hoit net.“ Maria Bill hätte das 'Post it’ für Bäume erfunden. Ich wollte immer der Erfinder von 'Post it' sein. Das ist so eine Erfindung, die alle Menschen glücklich macht. Alles hams so gern, dass man des so drauf picken kann – der ist sicher reich geworden. Ich finde, man müsste Dinge erfinden, die Menschen glücklich machen und 'Post it' gehört dazu.
Was ist ihr nächstes Ziel?
Ich habe eigentlich drei Projekte. Ich mache einen Film der heißt „Contact High“. Das ist so ein bisschen ein Nachfolgeprojekt zu meinem Film „Nacktschnecken“. Dann eine Verfilmung eines österreichischen Romans von Josef Haslinger, „Das Vaterspiel“. Und wieder einen Dokumentarfilm über Prostitution.
Und letzterer wird wo stattfinden – wieder in der ganzen Welt?
Ja, wieder in der ganzen Welt. Ich komme gerade von einer siebenwöchigen Reise durch Asien.
Ich habe letztens den Ausspruch von einem Produzenten gehört: Uih, das macht ihm ja Spaß. Das ist gut, dann brauchen wir ihn nicht zu bezahlen.
lacht
Was sagen Sie dazu – einem jungen Menschen?
Das ist mein Leben - sag ich dazu.
Aber das kann man doch nicht so stehen lassen?
Aber so ist es.
Das heißt, man muss also nach außen hin so tun, als ob...
Man muss nicht, aber man wird wahrscheinlich wirklich weniger dafür bezahlt.
Verrückte Welt. Wie kommen Sie mit der Welt zurecht, so wie sie ist?
Ich komm gut damit zurecht. Ich hab auch keine Berührungsängste mit der Welt – vielleicht durch meinen Beruf.
Ich hab gelesen, dass Sie früher mit Theaterleuten oder mit Theater generell nicht so gerne arbeiten wollten. Und dann kam das Grazer Theater im Bahnhof – bzw. Nacktschnecken.
Das war eine völlig neue Form für mich. Aber ich komm nicht vom Theater. Mein ganzes Denken und Arbeiten – ich hab ja auf einer Schule studiert, die eine Mischung aus Experimentalfilm und Bildender Kunst war. Ich komme eher von der Seite Photographie als von der Seite Theater. Erst sehr spät habe ich mich dazu entschlossen wirklich auch narrative Geschichten zu machen.
Ihre Bildwelten sind so, dass ich Sie als einen Maler unserer Zeit bezeichnen würde. (Kamera Slumming: Martin Gschlacht). Trotzdem ist mir aufgefallen, dass Sie gerade bei „Slumming“ mit besonders erfahrenen Menschen vom Theater arbeiten.
Sehr verschieden. Der Film ist ja besetzt quer durch die Schauspieler-Landschaft. Von Leuten, die wirkliche Theatergrößen sind, bis Leuten, die wirklich fast Improvisationskino machen.
Gehen Sie dann unterschiedlich damit um, oder können Sie mit allen gleich arbeiten?
Nein. Jeder Schauspieler - Schauspieler sind ja oft sehr eigen, und mimosenhaft oder auch nicht - ist eine eigene Geschichte und ein eigenes Erfahrungskapitel.
Gibt es eine bestimmte Arbeitsweise, die Sie bevorzugen, bzw. mögen Sie Improvisationen, oder eher nicht so?
Bei manchen Rollen macht es einfach nicht so viel Sinn. Aber das ergibt sich dann von selber. Da fängt man ja in den Proben schon zu feilen an. Dann steht der Text. Und bei anderen ist es unbedingt notwendig, dass viel improvisiert wird.
Also, Sie sind nicht gegen Improvisation.
Ganz im Gegenteil. In Slumming gibt es sehr viel davon.
Vielen Dank für den Film und das Gespräch.
(Das Interview führte Stephanie Lang. Foto: Lotus Film/Andrea Gurtner; Fotobearbeitung: mh.)
Link-Tipps:
Slumming - die Filmkritik
Doonesbury - das Cartoon