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Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem ein. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. (Genesis, 2 4-7)  

Stille. In der Dunkelheit bilden sich die Umrisse einer Nase ab. Tiefes Einatmen. Mit einem Zug werden wir eingesaugt.

Patrick Süsskinds Bestseller "Das Parfum" (Volksmund, veraltet: Nuttendiesel) diente natürlich als Vorlage zum Film. Das Debattieren, ob nun das Buch besser sei als die Verfilmung, ist sofort entflammt. So ziemlich jede namhafte Bücherei hat auch dementsprechend reagiert, um dem Problem aushelfen zu können. In dieser Angelegenheit unterstütze ich gern Alfred Hitchchocks These. Dieser meinte, dass, wenn man einer Ziege ein Buch und eine Filmrolle vorlegt, sie Beides zu fressen versucht.

De fakto haben wir es hier mit zwei grundverschiedenen Kunstformen zu tun. Über die strukturellen Unterschiede zwischen einem Drehbuch und einem Roman braucht man erst gar nicht zum Diskutieren anfangen. Spätestens bei der Filmbesetzung ist die Vorlage gänzlich dahin. Was bleibt, ist der Impuls und das Themengebiet. Doch leider betreibt die Filmindustrie selbst, mit dem Versprechen ein erfolgreiches Buch naturgetreu verfilmen zu können, bewusste Irreführung, wenn nicht intellektuellen Missbrauch.

Die Quelle der Zuflucht, im Gestank der Welt zu verlieren

Doch nun zum Film. Dessen Inhalt, die Suche nach "DEM Duft" ist. Die Geschichte eines Mörders ist nämlich die Geschichte eines Riechenden. Natürlich meine ich damit seinen stark ausgeprägten Geruchssinn und nicht sein Odeur. Sehr subtil setzt Tom Tykwer die "Lola rennt"-Thematik fort. Indem er an uns (durch geringe Schärfentiefe) geruchsintensive Motive vorbeisausen lässt, welche mit ihrer Intensität unser verarmtes Riechorgan zu inspirieren versuchen. Der variable Zeitfaktor "Lolas" wurde durch ein Geruchsinventar ausgetauscht.

Wenn wir nach der Reise durch die ekelhaftesten Buketts die Mirabellenverkäuferin antreffen, so sind wir dementsprechend durch das Meer der Bilder (Düfte!) betäubt, sodass der Unfall, die Ermordung des Mädchens, nicht so schwerwiegend erscheint. Ben Whishaw stellt überzeugend das Drama dar, die einzige Quelle der Zuflucht im Gestank der Welt zu verlieren.

Diese nun begriffene Einsamkeit entflammt im Jean-Baptiste Grenouille den Schöpfungswillen. Sein Talent hat jedoch eine bittere Schattenseite, er selbst besitzt keinen Körpergeruch. Was kann man aus dem nun schlussfolgern? Mordet Jean-Baptiste weil er einen Duft konservieren will der ihm Trost spendet, oder mordet er weil ihm sein eigener Geruch fehlt? Gewissenhaft betrachtet, ergänzen sich beide Thesen in einer verzweifelten Identitätssuche; in der der Duft eine Existenzberechtigung darstellt. Man kann es ein wenig leichtfertiger damit untermauern, dass Grenouille oft als Tier bezeichnet wird. Ein Tier tötet nicht nach Lust und Laune, sondern gezwungen durch Hunger und Not.

Ist eine Hinrichtung nicht auch eine Form der Volksekstase?

flacon_innocent Wo gehobelt wird, da fallen auch Spänne, also ist es auch kein Wunder, dass Jean-Baptiste zielergeben gegen das Gesetz verstößt. Tykwer inszeniert diesen Teil der Geschichte locker, fast schon komödiantisch, um teilweise die Schwere aufzuheben, wenn auch mehr die Unmoral die mit Verbrechen betrieben wird, zu betonen. Die Opfer haben in diesem Fall einem "höheren" Zweck gedient und dieser heiligt die Mittel. Die kaltblütige Haltung Jean-Babtistes ist am deutlichsten bei der Befragung nach seinem Mordmotiv veranschaulicht. Der fassungslose Vater (Alan Rickman) kennt Grenouilles Mission nicht. Doch letztlich ist es nicht nur die Trauer um die Tochter, sondern die Wut um die verpatzte Geldhochzeit, die ihn so vehement gegen Jean-Babtiste vorgehen lässt. Auch diese hätte seine Tochter umgebracht, aber "nur" im übertragenen Sinn. So begegnen sich zwei verwandte Seelen, wie uns wunderschön das zweite Zusammentreffen offenbart.

Das Finale, die Betäubung der Masse, eskaliert filmtechnisch in einer sichtbaren räumlichen Bewegung des Duftes. Die Hinrichtung Grenouilles wird durch eine Sexorgie verhindert. Man beginnt sich hierbei zu fragen, ob eine Exekution nicht auch eine Form der Volksekstase ist. Wobei sich, ironischer Weise, die Orgie unschuldiger vorstellt.

Gewagter Schachzug von Bernd Eichinger

Der Film ist insgesamt leicht verständlich, unterhaltsam und bildlich eindrucksvoll. Die Musik ist "dufte". Die Schauspieler, vor allem Ben Whishaw und Dustin Hoffman, sind bemerkenswert.

Namhafte Regisseure wie Martin Scorsese, Milos Forman, Ridley Scott, Tim Burton und Stanley Kubrick haben sich um die Rechte bemüht. Dass es letztlich ein deutscher Regisseur wie Tom Tykwer inszenieren durfte, ist ein kluger und gewagter Schachzug von Bernd Eichinger. In beiden Karrieren stellt diese Kooperation einen wichtigen Schlüsselmoment dar.

Ob der Film mehr als eine Debatte zwischen Buch und Verfilmung hinterlässt ist weiterhin ungewiss, da es eine Sache gibt die diesem Film zum Verhängnis werden könnte. Doch vielleicht ist es auch gleichzeitig seine verborgene Qualität: Er verflüchtigt sich nämlich sehr schnell aus der Erinnerung, ähnlich wie ein Duft. (Patryk Dawid Chlastawa)

DVD-Infos:
Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders (2007)
Constantin Film (DVD-Verleih in A: Rainbow Home Entertainment)
Regie: Tom Tykwer
Darsteller: Ben Whishaw, Dustin Hoffman, Alan Rickman, Rachel Hurd-Wood, Birgit Minichmayr Autor: Andrew Birkin, Bernd Eichinger
Kamera: Frank Griebe

Der Duft zum Film (siehe Abbildung):
"Innocent" von Thierry Mugler

Link-Tipps:
IMDB
Das Parfum