Regisseur Stefan Krohmer im Interview.
Bisher waren die Macher des Films der Überzeugung, dass „Sommer 04“ eher ein Festivalfilm sein würde. Das heißt, ein Film der sich an ein Fachpublikum richtet, und nicht unbedingt von der breiteren Masse verstanden und gemocht werden muss. Ob sie damit Recht behalten, wird sich weisen, noch läuft er in den Kinos.
„Sommer 04 an der Schlei“ ist ein langsamer, karger Film. Er bietet keine hollywoodschen Märchenausflüge, keine Alternativen, keine privaten Visionen, um doch alles über den Haufen zu werfen, was man bisher für innerhalb eines fairen Spiels gehalten hat. In seiner Teilnahmslosigkeit ist er zäh und zum Teil schwer erträglich. Vielleicht gerade, weil er sehr präzise die „romantische“ Realität der einzelnen Personen in ihrer Brutalität für die Übriggebliebenen entzaubert. Stephanie Lang traf sich für Kulturwoche.at mit dem Regisseur Stefan Krohmer zu einem sehr lebhaften und anregenden Gespräch.
Kulturwoche.at: Wie würden Sie den Film „Sommer 04“ in einem Satz beschreiben? Ich könnte das nämlich nicht, und war gespannt, wie würde wohl der Regisseur das machen: diesen Film kurz beschreiben.
Stefan Krohmer: Da muss ich Sie leider enttäuschen, ich hab nie vorgehabt den Film in einem Satz zu verkaufen. Ich musste diesen Film auch nie „pitschen“ und bin auch nicht der Meinung, wie Helmut Dietl mal gesagt hat: „Dass es wichtig ist, dass man diesen einen Satz drauf hat.“ Ausgerechnet bei diesem Film ging es uns darum, erstmal das Buch zu schreiben, ohne ein festgelegtes Thema oder Anliegen. Wir sind von Szenen ausgegangen, von Situationen, die uns interessieren. Zum Beispiel: eine 40-jährige Frau sucht einen 38-jährigen Mann auf, um ihm zu unterstellen, dass er ein Verhältnis mit einem 12-jährigen Mädchen hat. Wie sie das anstellt, welche Worte sie wählt, wie sie dabei schaut, was für Pausen sie macht - das war für uns Anlass genug zu sagen, da kann man einen Film draus machen. So ist Daniel Nocke, der Autor, auch vorgegangen. Er hat erstmal nach Szenen geguckt, die ihn in so einer Situation interessieren würden. Und auch die Szenen wegzulassen, die das Publikum sich ohnehin vorstellen kann. Zum Beispiel, wie jemand unmittelbar nach dem Unfall reagiert, hab ich schon zigmal gesehen, und ich gehe auch davon aus, dass das ein Zuschauer schon oft gesehen hat.
Im Film!
Im Film, richtig. Und deswegen können wir ja mal eine Szene wählen, die etwas später liegt. Die natürlich immer noch damit zu tun hat, aber die Auswirkungen an einer anderen Stelle zum Vorschein bringen. Das war die Herangehensweise, deshalb fällt es schwer, diesen Film auf einen Satz zu bringen. Aber im Kern ist es sicherlich eine Charakterstudie dieser Frau. Was für ein Bild sie von sich selbst gemacht hat, und wie sie dieses Bild und auch das Bild von dem jeweiligen Gegenüber schlagartig korrigieren muss. Wenn gleich sie sich vorher doch auch sehr wohl gefühlt hat in ihrem Leben.
Das fand ich einen spannenden Punkt im Film, weil mich erst die Aussage in dem Brief von dem kleinen Mädchen überhaupt auf die Idee gebracht hat, dass zwischen dem Ehepaar vorher etwas nicht gestimmt haben könnte. Das hat man nicht gesehen. Sollte das so sein, ich meine, war das so von Ihnen gewollt?
Ja, also, ich weiß sowieso nicht, was die Menschen wirklich wollen. Das ist mir auch im wirklichen Leben oftmals ein Rätsel. Hier ist es der Versuch einem Menschen nahe zu kommen oder Fragen des Zusammenlebens zu stellen, ohne sie unbedingt zu beantworten. Natürlich sollte der Brief jetzt nicht die Figur der Lydia idealisieren. Dass sie Schicksal spielt, oder so engelsgleich wusste, wofür die anderen bestimmt sind.
So hat sie auch als Charakter nicht gewirkt.
Genau, das ist gut, dass Sie das sagen, weil ich das sehr angenehm fand, als ich das Buch das erste Mal lesen durfte, dass bei Lydia alles aus etwas naivem, spielerischem herauskam. Aus Lust am Kommunizieren. Sie ist abenteuerlustig. Hat offensichtlich Spaß daran, den Leuten irgendwas zu unterstellen. Dass das dann am Ende auf eigentümliche Weise zutrifft, ist witzig, und wir können sie gut nutzen, aber wir wollten nicht von einer Fremdbestimmung erzählen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass es stimmt. André und Miriam machen auf mich in der Tat nicht den Eindruck, als würden sie nicht zusammen passen. Sie haben sich eigentlich gefunden, sie passen sehr viel besser zusammen als Miriam und Bill, nur mal gemessen an dem Milieu, dem sie angehören. Miriam ist ja keine 20 mehr. Ich unterstelle einer 40-jährigen Frau und auch einem 40-jährigen Mann andere Ziele, wenn es darum geht den richtigen Partner zu finden. Sie haben ein gemeinsames Ferienhaus, einen gemeinsamen Sohn. Ich glaube schon, dass Miriam mit dem Bild, was sie von sich hat, sehr zufrieden ist, und dazu gehört auch André. Insofern ist das schon erstmal eine lustige Behauptung von Lydia.
Ließen Sie sich von den Schauspielern überraschen was sie tun? Ich hatte nämlich ein bisschen das Gefühl, dass das Buch eine Sache und die Umsetzung eine andere Sache ist. Mein Eindruck war, dass mehr Emotionalität drin gewesen wäre, als im Film raus kam.
Meinen Sie den Vorwurf, der nach dem Screening (bei der Premiere auf der Viennale 2006) aus dem Publikum kam, dass die Figuren ohne Konturen waren?
Nein, ich meine vielmehr das Gefühl gehabt zu haben, die Schauspieler spielen wie unter Wasser. Martina Gedeck hat das als einzige gut gelöst, weil sie so eine grundlegende Sinnlichkeit hatte. Bei den anderen war es - wie unter Wasser.
In welcher Szene konkret? - Ah, ich ahne, was Sie meinen. Es ist schade, dass Daniel Nocke, der Autor, jetzt nicht hier ist. Ich glaube, er war damit zufrieden wie die Schauspieler die Rollen interpretiert haben. Und das bezieht sich auf alle. Und wenn Sie da was vermissen, glaube ich eher, dass das auch was mit dem Buch zu tun hat. Nämlich dass, wie ich Eingangs schon sagte, bestimmte Szenen gar nicht vorkommen, wo sich Menschen emotional zeigen.
Es wird etwas angedeutet und dann - …
Es wird teilweise ja noch nicht mal angedeutet. Es wird einfach vorausgesetzt, dass man sich diese Szene vorstellen kann. So wird der Fokus auf etwas anderes gelenkt. Ich muss immer wissen: was ist mein Thema. Es war sicher nicht mein Thema, wie gehen Menschen mit so einem Unfall um. So etwas kann passieren, und wir benutzen das auch gerne. Es ist ja eine Geschichte, eine Konstruktion. Wir haben für den Film nicht recherchiert. Okay, das Milieu kennen wir gut, aber es ist überhaupt nichts Autobiographisches - weil es auf manche den Eindruck macht, man hätte da etwas von sich erzählt. Wir haben sogar in dem Ferienhaus der Eltern des Autors gedreht. Dort hat er seine Kindheit verbracht: die Landschaft, die Leute, die Mentalität – also das hat schon etwas mit Kenntnis zu tun, aber die Geschichte ist frei erfunden. Und das andere, dass Sie das Gefühl haben - also die Frage: ist das gut gespielt oder nicht, das ist ja noch mal eine andere. Das muss jeder für sich selbst beantworten. Das ist klar.
Der Film ist ja für mein Empfinden ziemlich realitätsverhaftet. Mir kam vor, dass die Kinogänger bei manchen Dialogen, die „normal“ waren, das als verstörend empfunden haben. Bei dramatischen Dialogen hab ich Lacher gehört. Ich konnte das nicht ganz nachvollziehen. Es gab auch keine Musik, bis auf die Autofahrt und beim Nachspann. Ich fand diese Darstellungsweise sehr interessant, aber das Kinopublikum hatte irgendwie ein Problem damit. Es saß drin und dachte: Der Film, ist nicht so wie ich es gewohnt bin, das verstört mich. Wie kommen Sie mit diesen Reaktionen zurecht?
Das ist eine interessante Beobachtung, das hatte ich auch so empfunden, dass es einigen so ging. Nach hinten hin kamen dann plötzlich auch ganz andere Stimmen, die viel damit anfangen konnten und den Film sehr anregend fanden. Es war wahrscheinlich 50 zu 50. Es ist schon ein Film - es wäre albern, das nicht zu zuzugeben - der es darauf anlegt, dass man sich selbst permanent dazu positionieren muss. Einerseits in der Beurteilung der handelnden Figuren. Aber dann auch in moralischer Hinsicht. Die Frage von Schuld muss ständig beantwortet werden. Damit spielt ja die Erzählung. Und jeder der da drin sitzt, wird dazu angeregt. Aber man muss es halt selbst leisten. Es wird einem weder von dem Film, noch von den einzelnen Figuren abgenommen. Das ist ein Konzept, was uns sehr gefällt und was uns sehr am Herzen liegt. Und wir werden weiterhin versuchen, solche Filme zu machen, weil es auch darum ging einen Film zu machen, den wir selbst gerne im Kino anschauen wollen. Es ist zunächst mal ein Festivalfilm, das kann man ruhig zugeben. Ich freu mich aber auch, wenn ich auf ein Festival komme und merke, ich habe es hier mit einem richtigen Publikum zu tun. Nicht nur Branchen intern, wo du gar keinen Kontakt mehr hast. Ich hab auch versucht, klar zu machen, dass ich nicht davon ausgehe, dass bei diesem Film ein Konsens herrscht. Die eine Frau hat gleich am Anfang der Diskussion gegen die wütenden Kommentare entgegengesetzt, dass sie das sehr berührt hat, und es genossen hat, diese Leerstellen ausfüllen zu können. Und dass sie diese Figuren überhaupt nicht ohne Konturen, sondern als sehr lebendig empfunden hat. Und das ist mir schon wichtig. Ich hab niemals an Kälte gedacht, ich hab an Wärme, an Sommerfrische gedacht.
Mir ist auch aufgefallen, dass relativ viele Männer gegen den Film gewettert haben, während Frauen ihn gut gefunden haben. Martina Gedeck hat erzählt, dass in Athen die Frauen gegen den Film waren. Ist das oft so geschlechtsspezifisch?
Das versuche ich gerade zu beobachten. Hier hatten wir ja das Glück, dass gleich zu Anfang so extreme Reaktionen kamen. Das zeugt von einem tollen Publikum sich frei zu äußern. Der Film spielt in der Jetztzeit und geht mit einer sehr alltäglichen Situation um, dass jeder in dem Moment, wo er sich über den Film äußert, auch von sich selbst spricht. Manchmal wird das verwechselt mit einer Willkür. Wir haben eine sehr bewusste Konstruktion gebaut, und uns sehr strikt an unsere selbst gemachten Vorgaben gehalten. Es geht um eine bestimmte Form von Spannung, um dieses Wechselspiel von Zuschauer und Figuren auf der Leinwand wirklich in Gang zu kriegen. Dass das ständig in Bewegung bleibt. Das ist ein Ziel. Das ist schwer, aber das ist die Art von Kino, die ich mag.
Ich hatte mal ein Erlebnis, noch in Filmschulzeiten als ich nach einer Vorführung von dem unglaublich gut gespielten und wertfrei geschriebenen Film „la vie rêvée des anges“ von Eric Zonca (ein tatsächlich sehr empfehlenswerter Film, Anm. d. R.) ins Café ging. Neben mir saß eine Gruppe von jungen Leuten, die sich angeregt unterhalten hatten über, wie ich dachte, Freunde. Über das Verhalten der beiden in einer bestimmten Situation. Sie hatten sehr unterschiedliche Meinungen und es war sehr emotional. Und plötzlich stellte ich fest: die reden ja über den Film.
Das war für mich schon etwas Besonderes, dass Menschen aus einem Film gehen und darüber so reden, als ob sie alle die gleiche Situation erlebt hätten und dabei etwas ganz unterschiedliches empfinden. Es ist eine Illusion von Filmemachern zu glauben, die Individualität des Zuschauers beschneiden zu können. Und das ist toll.
Danke für das Gespräch.
(Text: Stephanie Lang; Fotos: Filmladen Filmverleih)