viennale06rueckblickAm letzten Viennale-Abend stand nicht nur u.a. das großartig-skurille philosophische Filmessay "The Pervert’s Guide to Cinema" auf meiner ganz persönlichen Viennale-Liste, sondern auch der Besuch in der Zentrale - im Dachgeschoß der Urania, Stichwort Abschluss-Party.

Wurde bei der Viennale 2006, wie man es sich von einem wertvollen Filmfestival erwartet, auf Niveau und Qualität der gezeigten Filme geachtet, so konnten die Musikkuratoren (andere mögen sie DJs nennen) mit den Filmen nicht einmal ansatzweise mithalten. Unverständlich wieso hier die Selbe nichts sagende seelen- und ausdruckslose Musik zur Beschallung kommt wie in einem x-beliebigen drittklassigen Tanztempel. Umso eigenartiger, da ja im Gegensatz dazu während der Viennale auch wunderbare Musikfilme gezeigt wurden – wie z.B. jene (ausverkauften Vorstellungen) über die Musiker Leonard Cohen und Neil Young, jede Menge Konzertfilme mit Bands von Pink Floyd bis Beach Boys oder das berührende (wenn auch schwach besuchte) v06beheret001Porträt über den verstorbenen Liedgiganten Townes Van Zandt (siehe Foto) mit dem Titel „Be Here To Love Me“ aus dem Jahr 2004. Der amerikanische Liedermacher wurde hier in intensiven Einstellungen gewürdigt und als „Musicians Musician“ gefeiert. Der eindringliche Film zeigte all die lichten Höhen und dunklen Schattierungen von Van Zandt und verzichtete dankenswerter Weise auf Lobhudeleien, sondern konzentrierte sich vielmehr auf den Charakter der Person mit all ihren Stärken und Schwächen und schälte zugleich die Kraft seiner Lieder hervor. Und überhaupt steht die Viennale Jahr für Jahr für die hervorragende Auswahl von Dokumentarfilmen. Ob Dokus mit (scheinbar) regionalem Charakter oder solche, die sich vorderhand globaler Themen annehmen: Gezeigt wurden bei der diesjährigen Viennale in der Regel Dokus mit immenser Kraft und Glaubwürdigkeit, gefilmt oft mit einfachen Mitteln unter schwierigen Bedingungen und wenig Budget.

Zweihundertvierundachtzig

Während im wunderbaren Ambiente der Urania die Abschluss-Party zelebriert wurde, stand bereits das Endergebnis der Viennale 2006 fest: 88.900 Zuseher/innen bei 313 Screenings, davon 114 besetzt bis auf den letzten Kinosessel, was eine Gesamtauslastung von 78,40 Prozent (Gesamtauslastung 2005: 77,60 Prozent) bedeutet oder auch in Zahlen ausgedrückt, 284 Zuseher/innen pro gezeigten Film – kurzum: die Viennale 2006 war einmal mehr höchst erfolgreich. Zu Recht. Als zum Reinfallen und Entdecken geeignet erwiesen sich dabei nicht nur die erstmals bei einem Filmfestival gezeigten Filme (ob Dokumentarfilme, Kurzfilme oder Spielfilme) und generell die Filme jüngeren Datums, sondern auch all die Klassiker, Raritäten und vergessenen Filme vergangener Jahrzehnte. Verblüffend gut v06pervert001immer noch „Rebecca“ unter der Leitung von Alfred Hitchcock rund um das famos agierende Schauspielerpaar Joan Fontaine und Laurence Olivier und der genialen Judith Anderson in der Rolle der völlig durchgeknallten Haushälterin. Ein Film, den man nicht oft genug sehen kann basierend auf den lesenswerten Roman von Daphne du Maurier. Der Film entstand im Jahr 1940, ein Jahr darauf folgte von Hitchcock „Suspicion“, ebenfalls mit Joan Fontaine in der Hauptrolle, ihr gegenüber stand Cary Grant. Weist „Rebecca“ keinerlei Verschleißspuren auf, so nagt an „Suspicion“ doch ordentlich der Zahn der Zeit, was vor allem auch an dem völlig misslungenen Schluss liegen mag. Bleiben wir gleich bei Hitchcock: Auch wenn „Psycho“ und „Die Vögel“ nicht gezeigt wurde, so waren diese zwei Filme doch auch Thema bei der diesjährigen Viennale, und zwar dank des hervorragenden Filmogramms „The Pervert’s Guide to Cinema“ von Sophie Fiennes. Der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek führt durch den Film und begibt sich auf die filmanalytischen Spuren von eben erwähnten plus etlichen anderen – von „Alien“ bis „The Great Dictator“, von Krzysztof Kieslowski bis Ingmar Bergman und Stanley Kubrick. Er zeigt uns die echten Tränen, das falsche Blut, die sexuellen Codes. Moral, Humor, Irrwege und Phantasmen werden zu einem Stück verwoben, das dazu einlädt oft gesehen zu werden, das man auch oft sehen sollte, denn nur allzu viel gibt es darin zu entdecken. Erfrischend und hoffentlich bald auf DVD erhältlich. Für mich war dies letzten Endes das Herzstück der Viennale 2006. (Manfred Horak)