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Herbert Vesely und seine Welt.
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„Ich habe geklaut, und das weiß sie auch,“ sagt Walter Fendrich – junger Waschmaschinenmechaniker (Christian Doermer) seiner Verlobten Ulla Wickwebe (Vera Tschechowa) – Tochter des Chefs an einem Kaffeetisch sitzend, auf die Uhr schauend und vom Brot redend: „Du weißt nicht, was Brot ist“, während dessen die Kamera sich um ihre Achse drehend dem Zuschauer andere Leute, die an anderen Tischen sitzen, zeigt, und nicht die Hauptprotagonisten.

Es könnte von einer eher prosaischen Filmgeschichte in Schwarz-Weiß vom Jahre 1962 die Rede sein, wenn es nicht ein paar wichtige Details gäbe. Im Zusammenhang mit der äußeren Welt, den Leuten, die das Werk zustande bringen und die Rezeption des Gefilmten vor fast 50 Jahren und heute, gibt dem Film nämlich den Stellenwert, den er heute hat.

„Man hätte die Musik strenger behandeln müssen“, so Regisseur Herbert Vesely selbstkritisch. „Das Resultat fand ich nicht so befriedigend. Es sind zwar sehr viele schöne retardierende und reflektierende Momente drin. Manchmal braucht man eben zwanzige Jahre, bis man auf eine Sache kommt!“

Abgesehen von dieser smoothen Jazz Musik und einer (exzeptionellen) Ausnahmekameraarbeit von Wolf Wirth hat man ein Werk auf der Leinwand, die von der Kritik zur Zeit der Premiere nicht verstanden wurde. Gegenwärtig wird „Das Brot der frühen Jahre“ allerdings als einer der ersten Filme des Neuen deutschen Films bezeichnet und der Regisseur in einer Reihe mit Namen wie Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog, Wim Wenders u. a. gestellt.

Der Film „Das Brot der frühen Jahre“ basiert auf einer gleichnamigen Geschichte von Heinrich Böll, die von einer Ich-Erzählperspektive innerhalb von wenigen Stunden im Buch spielt. Böll war auch für Dialoge im Film zuständig.

Durch seine Regie setzt Vesely durch das Bild und den Ton neue Akzente und dramaturgische Wendungen. Die Treppenlandschaft im ersten Drittel des Films ist nicht wegzudenken: Walter muss die Treppe entweder nach unten steigen oder nach oben - neben dem Haus, wo er noch wohnt, oder am Bahnhof, wo der Film beginnt.

Der Hauptdarsteller wird wie von unsichtbaren Blicken von Unbekannten z.B. aus einem vorbeifahrendem Auto beobachtet, als ob sie ahnen oder sogar wissen, was er als nächstes machen wird. All das sind Kameraperspektiven, die in den 1960er Jahren revolutionär waren.

Der Regisseur verfolgt die Idee dem Zuschauer mehr Gefühl als Inhalt zu übermitteln.

Der Schauplatz ist Westberlin. Die Geschichte handelt von einem jungen Flüchtling aus der Ostzone, der sein neues Leben auf einer Seite glücklich und mit allem Komfort aufbaut, auf der anderen Seite wieder melancholisch wird, wenn er per Zufall einem Mädchen aus seiner Heimat begegnet. (Anna Gromova)