Arcane ist eine der erfolgreichsten Animationsserien aller Zeiten und begeistert mit der zweiten und finalen Staffel auf Netflix. Die Videospiel-Adaption von "League of Legends" ist jedoch vor allem eines: Eine Hochhaltung des künstlerischen Anspruchs.
Arcane, das Entzünden eines Leuchtfeuers
Durch einen schnellen Blick auf das Kinojahr 2024 fällt auf: Die monetär erfolgreichsten Filme am Box-Office [Einnahmen, die ein Kinofilm während seiner Spielzeit in den Kinos erwirtschaftet; Anm.] sind alles Franchise-Filme oder Fortsetzungen: "Deadpool & Wolverine", "Inside Out 2", "Moana 2", "Dune: Part Two", "Ich einfach unverbesserlich 4", "Godzilla x Kong: The New Empire", "Kung Fu Panda 4" und "Venom: The Last Dance".
Nicht eine einzige unverbrauchte Geschichte, eine neue Idee oder frische Herangehensweise, um das Kino heterogener und künstlerisch anspruchsvoller zu gestalten. Auch im Bereich der Serien dominieren etablierte Marken wie Star Wars oder Marvel, obgleich die Welt der Serien noch ein wenig mehr Freiraum für kreative Umsetzung lässt. Während also die großen Studios rund um Sony, Disney und Warner Bros. nacheinander ihre etablierten Marken bedienen, kommt ein bestimmter Aspekt der Filmlandschaft zu kurz: Die Kunst. Die Popkultur verlangt nach einem sprichwörtlichen Leuchtfeuer, welches Filme und Serien nicht als das Produkt darstellt, zu dem sie für viele Konsumenten und Konsumentinnen geworden sind, sondern die Kunst hinter dem visuellen Erzählen von Geschichten hervorhebt. Ein Leuchtfeuer, das Netflix 2021 als Serie derart grell entzündet hat, das im gesamten Bereich der Popkultur helle Begeisterung herrscht: "Arcane".
Das Geheimnis von Arcane
Auf den ersten Blick könnte "Arcane" in den gleichen Topf der Unkreativität geworfen werden, wie die aufgezählten Franchise-Filme. Die Animationsserie von Netflix ist die Adaption einer bereits bestehenden und immens erfolgreichen Videospiele-Reihe namens "League of Legends". Die Serie macht Gebrauch vom bestehenden World-Building der Spiele und nutzt die vorhandenen Charaktere. Welches Geheimnis unterscheidet also die teuerste Animations-Serie aller Zeiten von all den genannten Filmen? Ganz einfach: "Every Frame a Painting".
Was als Bezeichnung von filmkritischen Video-Essays begann, ist heute die sprichwörtliche Beschreibung von Filmen und Serien als visuelle Kunst. Ein Gedanke, den keine Serie und kein Film derart wörtlich umsetzt wie "Arcane". Egal zu welchem Zeitpunkt die "League of Legends" Serie pausiert wird, der Bildschirm zeigt ein Gemälde. Es wäre möglich jeden einzelnen "Frame" [engl. Synonym für Bild in der Bildfrequenz; Anm.] zu pausieren und daraus ein Poster zu machen. Die Serie stützt sich auf die bestehende Vorlage des Videospiels, gestaltet aber eine solch visuell beeindruckende Geschichte daraus, dass sie aus dem Topf der Unkreativität hervorquillt.
Mickey-Mousing: Every Frame a Beat
"Arcane" ist also ein visuelles Meisterwerk. Eine "Every Frame a Painting" Serie, die auch mittels charismatischer Charaktere, interessanten Erzählsträngen und einer besonders konsequenten Geschichte punkten kann. Es ist eine Serie, die die schier unendlichen Möglichkeiten der Animation nutzt, um eine kaum zu übertreffende Bildgewalt zu erzeugen. Dieses bildgewaltige Erzählen von Geschichten wird schließlich von einer spezifischen Technik der Filmmusik erweitert: dem "Mickey-Mousing". Eine Technik, bei der die gezeigten Bilder punktgenau von der Musik begleitet werden und die wir heutzutage insbesondere aus Musikvideos kennen. Ihre Anwendung fand das "Mickey Mousing" bereits in der klassischen Musik: im Requiem von Mozart wird beispielsweise im Lacrimosa eine ansteigende Tonfolge verwendet, um die Auferstehung der Toten zu schildern.
Der Soundtrack von "Arcane" und die darin eingesetzten Songs treiben das Ganze auf die Spitze und funktionieren wie aus einem Guss mit den animierten Bildern. So erzeugen sie einen lang anhaltenden Status der Gänsehaut. Jeder Schlag, jeder Sprung und jeder Schuss der Figuren passen sich perfekt an die Musik an. Dabei stellt nicht nur jeder Frame ein Gemälde dar, sondern auch jedes Bild einen Beat. Ein pulsierender Beat, der uns durch die Welt von "League of Legends" begleitet.
Zwischen Kunst und Produktion
Oft befinden sich Filme und Serien in einer Grauzone zwischen Produkt und Kunst. Zum einen gibt es kaum einen Zweig der Kunstbranche, hinter dem eine solch milliardenschwere Industrie steht. Zum anderen vereint die Film- und Serienwelt hunderte Künstler und Künstlerinnen für ein einziges Endergebnis, nur um im besten Fall ein Endprodukt zu erzielen, das sowohl unterhält als auch einen künstlerischen Anspruch hat. Gerade in Zeiten der angesprochenen Unkreativität von Hollywood schafft es eine Serie wie "Arcane" diesen Balanceakt zwischen Produkt und Kunst zu meistern. Durch die im Falle von "Arcane" 250 Millionen Dollar schwere Industrie im Hintergrund und die Zusammenarbeit unterschiedlichster Kunstschaffender, von Drehbuchautorinnen über Animatorinnen bis hin zu Bildmeisterinnen, entstand ein künstlerisches Produkt, das aus der Grauzone entschwinden konnte. Ein farbenfrohes Meisterwerk. "Every Frame a Painting." //
Text: Tobias Schwaiger
Fotos: Netflix
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