Möglichkeiten der eigenen Person im Raum der Gegenwart anhand Rimini von Ulrich Seidl und 12 Monkeys von Terry Gilliam. Eine Filmanalyse.
Warum Seidl und Gilliam? Im Sommer 2022 habe ich einige Nächte im wunderbaren Augarten Kino Wie Noch Nie verbracht und im Zuge dessen unter anderem Rimini und 12 Monkeys mit neuen Augen gesehen. Beide befassen sich mit der Idee der eigenen Person, die durch den Raum der Zeitlichkeit verfestigt und dabei ebenfalls unweigerlich mit der Veränderung des Selbst konfrontiert wird. Die eigene Wahrnehmung der Gegenwart wird bei beiden Protagonisten, sowohl in Richie Bravos als auch in James Coles Leben, ununterbrochen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, thematisiert. Worin sich die beiden Konzepte ähneln, will ich in diesem Artikel näher hinterfragen.
Rimini im Konzept der Gegenwart
Der österreichische ehemalige Schlagerstar Richie Bravo (brillant verkörpert durch Michael Thomas) kehrt nach dem Begräbnis seiner Mutter wieder in den kalten italienischen Winter Riminis zurück, in dessen Stadt er sich, scheinbar während den goldenen Jahren seiner Karriere, sesshaft gemacht hat. Das gebrochene Versprechen der idyllischen Vorstellung Italiens, das durch verschneite Strände, Wind und Obdachlosigkeit zur harten Realität wird, spiegelt das Innenleben des Protagonisten gekonnt wider. Mit Geldnot und Alkoholsucht ringend, schafft Bravo es nicht, sich von seinem lang verstaubten Erfolg und der damit verbundenen Künstlerfigur des eigenen Selbst loszureißen. Die aktuelle Fanbase des Schlagersängers setzt sich vor allem aus Pensionistinnen zusammen, die mit Ehemann und Reisebus angekommen, großäugig neben dem “Star” in den verschiedenen Hotellobbys Riminis “Amore Mio” trällern und sich später auf ein Busserl und ein Autogramm von Bravo zur Bar entführen lassen. Die Seidl typische Realitätsnähe des schmierigen, sehr traditionellen genderkonformen Macho-Getues und des weiblichen Gefallen- und Begehrt-werden Wollens ist während des gesamten Films präsent und durchgehend schwer zu verdauen. Richie Bravos Haus, das mit unzähligen Bildern und lebensgroßen Pappkarton-Abbildungen seiner Selbst geschmückt ist, wird als Airbnb vermietet während er sich nebenbei von hoffnungsvollen Liebhaberinnen für seine sexuellen “Dienstleistungen” bezahlen lässt, was darauf schließen lässt, dass sein Gesangstalent alleine nicht die Rechnungen begleichen kann. Während Richie die Flucht aus seinem eigenen Leben auch so nicht wirklich gelingen mag, taucht zusätzlich noch die leibliche Tochter des Schlagersängers auf, um das ihr zustehende Geld des Vaters einzufordern.
12 Monkeys im Konzept der Gegenwart
James Cole (gespielt von Bruce Willis) findet sich als Gefangener in einer unterirdischen Zelle in einer düsteren Zukunft 2023 wieder, in der die Menschheit von einem Virus ausgerottet wurde. Die wenigen Überlebenden der Pandemie sind unter die Erde geflüchtet und leben seit 1997 unter schlechtesten Bedingungen. Cole wird von Wissenschaftlern ausgewählt, sich zurück an die Oberfläche und in die Vergangenheit zu begeben, um Informationen über den Grund und die Entstehung des Virus ausfindig zu machen, damit dessen spätere Ausbreitung in einem weiteren Schritt verhindert werden kann. Im Gegenzug wird ihm seine Freiheit in der trostlosen Gegenwart geboten. So reist James des Öfteren in der Zeit zurück, zunächst ins Jahr 1990, wobei er aufgrund der Aussagen zu seiner Person und dem Wissen der bevorstehenden Pandemie sofort in eine psychiatrische Anstalt gesteckt wird. Dort trifft er auf Jeffrey Goins (Brad Pitt) und Psychiaterin Dr. Railly (Madeleine Stowe), die in der sich entfaltenden Geschichte eine zunehmend größere Rolle spielen werden. Nachdem er bei weiteren Zeitreisen vorerst, aufgrund eines Fehlers der Wissenschaftler, in den Ersten Weltkrieg und dann in das Jahr 1996 zurückgeschickt wird, glaubt er der Organisation "12 Monkeys" auf den Spuren zu sein, die er für die Pandemie als verantwortlich vermutet. James Cole fängt an, sich durch die ihm verschriebenen Medikamente in der psychiatrischen Anstalt und den vielen offenen Zeitsträngen und Vorkommnissen seines Lebens selbst und somit auch den zeitlichen Verlauf seines Lebens in Frage zu stellen. Langsam fängt er an, seine eigene Realität zu kreieren und seine zerstückelte Identität in einer geglaubten Gegenwart festzumachen. Aufgrund der vielen Zeitsprünge und des unglaublichen Details Gilliams ist es wahnsinnig schwer eine knappe Zusammenfassung über den Film zu schreiben, im Fokus liegt jedoch auch hier die Idee der Gegenwart und des Selbst in ihr.
Identität als Möglichkeitsraum
Zurück zur Frage der Identität im Raum der Gegenwart, oder breiter ausgedrückt, im Raum der Zeitlichkeit. Die beiden Filme stellen wunderschön dar, dass unsere geglaubte Identität einem äußerst fragilen Konzept der eigenen Erinnerung und Vorstellungskraft unterliegt. Sowohl Bravo als auch Cole versuchen eine Persona für sich festzulegen und an dieser festzuhalten, so weit es ihnen möglich ist. Da weder Bravo noch Cole Einfluss auf den Verlauf der Zeit haben, der eine im Sinne seiner verschmolzenen goldenen Jahre, der andere im sehr wörtlichen Sinne der Zeitreisen, ist beider Bedürfnis nach Kontinuität sehr stark durch das klammern an eine Idee des eigenen Selbst sichtbar, das auch, wenn es durch äußere Umstände gerüttelt wird, im Kern erhalten und selten hinterfragt wird. Bravo umgibt sich sogar im eigenen Haus mit Abbildern des erfolgreichen verjährten Selbst, während Cole den Verlauf der Zeit und damit seine eigene Gegenwart komplett verweigert. Beide Filme, so wage ich zu behaupten, enden jedoch mit einem nihilistischen Zwinkern, der die Idee von Identität, das Konzept der Gegenwart bzw. Zeitlichkeit auf eine Makroebene anhebt und die Sinnhaftigkeit beider hinterfragen lässt. //
Verleih Rimini: Stadtkino Filmverleih und Kinobetriebs Gesellschaft m.b.H.
Verleih 12 Monkeys: Universal Pictures
Text: Lina Reisinger
Fotos: Kino wie noch nie
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