Der Kinofilm "Ich war zuhause, aber..." von Angela Schanelec ist eine Erzählung aus Nebenbei-Situationen, die passieren, weil sie müssen, der Chronologie des Lebens wegen.
Ein Kind kehrt von irgendwoher zurück und wartet in dreckiger Kleidung im Klassenzimmer. Von draußen läuft eine Frau ins Gebäude und stürmt die Treppen hoch. Sie reißt die Tür auf und läuft zum Jungen, um ihn zu umarmen. Weil sie vor ihm zu Boden stürzt, erreichen ihre Arme nur seine Füße, aber sie klammern fest.
Es ist ein von tiefer Verlustangst gezeichnetes Bild, mit dem Angela Schanelec ihr Drehbuch begonnen hat. Sie schreibt, wie ihr die Bilder in den Kopf kommen. Dieses war das erste. Was danach erzählt wird, ist nicht die Auflösung von Informationen in der Vergangenheit. Warum der Bub verschwunden ist oder wo er war, wird man nie erfahren. Der Film von Angela Schanelec entwickelt sich in einer voranschreitenden Chronologie von Bildern, eines folgt dem anderen.
Die Mutter im Mittelpunkt des Lebens
Im Mittelpunkt des Films "Ich war zuhause, aber..." steht die großartige Inszenierung Maren Eggerts (Astrid). Als alleinerziehende Mutter zweier Kinder scheint es, als ob sie durchs Leben getragen würde, getragen von Ereignissen, die sie erlebt, seit dem Tod ihres Mannes vor zwei Jahren. Wie Astrid redet, das sind gezielt gewählte Worte. Sie spricht in einer Langsamkeit, die unnatürlich ist. Das ist Theater, das ist Film, aber das ist auch Leben. Ein Leben, das man unter Kontrolle zu bringen versucht, als Versuch der Eroberung eines Zustandes, der weder war noch sein wird. Diese Worte wählt Astrid, als sie über die Situation ihres Sohnes spricht, denn auch Philipp befände sich in einer bestimmten Phase seines Lebens. Er sei weder ein Mann noch werde er einer: "Es gibt kein Wort für diesen Zustand."
Das Aber beim Zuhause-Sein
Es sind scheinbare Banalitäten des Alltags, in denen Astrid aus der Fassung gerät. Dass die Tochter alleine zu Hause kocht. Wenn sie sich mit dem Bruder rauft. Das sind mit die stärksten Szenen des Films, denn man bekommt die tiefen Emotionen, denen dieser Kontrollverlust zugrunde liegt, sehr direkt zu spüren. Das Aber passiert beim Zuhause-Sein, in Situationen, in denen man nicht damit rechnet.
Ein Film über das, was nebenbei passiert
Der Kinofilm von Angela Schanelec ist eine Erzählung aus Nebenbei-Situationen, die passieren, weil sie müssen, der Chronologie des Lebens wegen. Sie finden ihren Platz zwischen großartig geschriebenen Dialogen, schauspielerischen Leistungen, stetig voranschreitenden und präzise arrangierten Bildern. Was dahinter steckt, was langsam und unvermittelt an die Oberfläche kommt, das sind tiefe und festsitzende Gefühle als Identifikationsmoment.
Keine klare Narratologie
Weder ist es eine eindeutige Geschichte, der man folgen könnte, noch würde man diesem Film ein eindeutiges Thema zuschreiben. Die Erzählung von Angela Schanelec ist ein offenes Kunstwerk, das einen eigenen Stil bezeichnet. Diesen allein der Berliner Schule zuzuschreiben, das wäre zu einfach. "Ich war zuhause, aber..." ist ein zutiefst persönliches Werk. Das kann nicht nur durch die autobiographischen Parallelitäten zum Leben der Autorin begründet werden. Auch als Zuseher*in wird man durch die offene und langsame Erzählart herausgefordert, einen individuellen Zugang zum Film zu entwickeln.
Eine langsame Rückkehr in die Realität
Den Antworten, die man nicht bekommt, liegen Fragen zugrunde, die man mit der nächsten Einstellung schon wieder vergessen hat. Am Anfang der Hase, am Ende der Esel. Und im Schulzimmer wird fortwährend Hamlet geübt. Auch mit diesen Worten könnte man die Wirkungskraft dieses Filmes zusammenfassen. Das eine oder andere Fragezeichen muss offen gelassen werden. Was in jedem Fall bleibt, ist ein stark ausgeprägtes Wahrnehmungsbewusstsein: der erste artikulierte Satz, das Drücken auf den Türknopf der Straßenbahn, das Telefonat mit der Freundin, während draußen die Stadt vorbeizieht. All diese Ereignisse werden bewusst erlebt und fühlen sich gleichzeitig ein bisschen zu schnell an. Es wird wohl etwas Zeit brauchen, bis man sich wieder an die wirkliche Geschwindigkeit des Alltags gewöhnt haben wird. //
Text: Julia Polzer
Fotos: Angela Schanelec
Film-Infos:
Ich war zuhause, aber...
Bewertung: @@@@
Länge 105 Min.
Regie und Drehbuch Angela Schanelec
Darsteller Maren Eggert, Jakob Lassalle, Clara Möller, Franz Rogowski, Lilith Stangenberg, Alan Williams, Jirka Zett, Dane Komljen
Kamera Ivan Marković
Schnitt Angela Schanelec
Musik Sounddesign: Rainer Gerlach
Ton Andreas Mücke-Niesytka
Produktion Angela Schanelec
Verleih StadtkinoFilmverleih (2019)