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hotelverywelcomeFünf Rucksacktouristen in Thailand und Indien - auf der Suche nach sich selbst, der ultimativen Party, Liebe und dem richtigen Anschlussflug - begleitet die 1976 in München geborene Sonja Heiss für ihren ersten Langspielfilm Hotel Very Welcome.

 

 

 

Fünf junge Menschen reisen in Asien (konkret: Indien und Thailand) auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer – oder einfach nur der Party ihres Lebens. Sie gehören zu der immer größer werdenden Gemeinde westlicher Individualtouristen, die mit ihrem Rucksack, angefüllt mit Erwartungen, gegen sich selbst und viele kleine Hindernisse kämpfen. 
Regisseurin Sonja Heiss ist mehrere Monate mit ihren Protagonisten durch Asien gereist. Mit der Authentizität eines Dokumentarfilms und dem Pointenreichtum einer Komödie erzählt sie in ihrem ersten Spielfilm Hotel Very Welcome von der Flucht vor der Routine, der Faszination des Reisens, interkulturellen Missverständnissen und einem Telefonflirt der besonderen Art. Am Ende der Reise wartet auf einige der Backpacker ein Neuanfang – und auf die anderen immerhin ein Anschlussflug.
Mit Witz und Ironie beschreibt die Regisseurin die Welt der "Lonely-Planet"-Reisenden. Vor allem aber offenbart sie die komplizierte Gefühlslage ihrer Generation. Deren unermüdliche Glückssuche begleitet Heiss mit Hotel Very Welcome auf sehr persönliche und amüsante Weise, was ihr nicht nur Begeisterungsstürme auf der Berlinale 2007, sondern auch den First Steps Award einbrachte.

hotelverywelcome_plakatKulturwoche.at: Wie ist die Idee zu Hotel Very Welcome entstanden?

Sonja Heiss: Die Idee wurde letztlich auch auf einer Reise geboren. Nikolai von Gaevenitz, der Kameramann und Koautor, und ich sind selbst ganz viel mit dem Rucksack gereist, mitunter auch in Asien. Da haben wir uns natürlich manchmal gefragt, was wir dort eigentlich machen und ob man denn auf diese Weise wirklich in eine andere Kultur eintauchen kann. Außerdem haben wir bemerkt, dass so eine Reise unglaublich viel komisches Potenzial birgt. Trotzdem hat noch nie jemand einen Film über diese Komik gemacht, denn es gibt mit The Beach (2000) ohnehin nur einen Backpacker-Film – und der heroisiert das Thema enorm.

Was finden Sie denn am Reisen so faszinierend?

Letztlich sind es unterschiedliche Aspekte. Für den Film war es natürlich sehr interessant zu sehen, wie die unterschiedlichen Charaktere durch die fremde Umgebung beeinflusst werden, wie sie damit umgehen und wie sie auf dem Weg zu ihren emotionalen Zielen mit sich selbst ringen. Außerdem waren Verlust und Verlorensein wichtige Themen für mich. Alleine durch eine fremde Welt zu reisen ist oftmals nicht einfach. Man muss ziemlich stark sein, um sich nicht irgendwann einsam zu fühlen. So wird eine solche Reise in vielen Momenten eben auch eine Reise in die Tiefen des eigenen Charakters. Und schließlich ging es mir, wie gesagt, um die komischen Aspekte, die kleinen Katastrophen, Absurditäten und Missverständnisse einer Reise. Das Image des Backpackers als großem Abenteurer sollte ruhig ein wenig entmystifiziert werden. 

Ist denn Backpacking das Phänomen einer bestimmten Generation?

Schon die Hippie-Generation ist ja nach Indien gefahren und es gab auch schon viel früher Leute, die mit den Partys in Thailand angefangen haben. Nur heute sind diese Partys eben zu Massenevents geworden. Aber ich glaube, die Gründe für eine solche Reise sind in jeder Generation andere. Meine Generation, also die um die 30-Jährigen, hat viel eher ein Ziel vor Augen, während viele der 19- oder 20-Jährigen, die man an Orten wie thailändischen Party-Inseln trifft, scheinbar ohne Ziel reisen und eigentlich nur Party machen wollen.

Ist das Ganze also auch zu einer Mode geworden?

In gewisser Weise schon. Backpacking ist auf jeden Fall viel verbreiteter als früher, weil es heutzutage nun mal viel billiger und einfacher ist, weit weg zu kommen. Einige Inseln in Thailand werden sogar schon direkt angeflogen. Aber auch generell reisen die Leute ja mittlerweile viel mehr als früher. 

Wenn Sie selbst schon so häufig mit dem Rucksack unterwegs waren, wie viel im Drehbuch stammt dann aus persönlichen Erfahrungen?

Natürlich ist sehr vieles ausgedacht, aber es lässt sich doch einiges an den Charakteren finden, was man selbst schon mal beobachtet hat. Und selbstverständlich habe ich teilweise auch eigene Attribute einfließen lassen. Deswegen machen die Figuren mitunter Sachen, die ich im Laufe der Jahre selber schon einmal gemacht habe.

Entstand denn vieles auch spontan während des Drehs oder war keine Zeit für Improvisationen?

hotelverywelcome17 Das war unterschiedlich. Die Charaktere waren schon im Vorfeld sehr stark ausgearbeitet, mit ganz verschiedenen Details, so dass wir die Schauspieler mit einer kompletten Geschichte ausstatten konnten. Außerdem gab es immer gewisse Punkte in der Handlung, die von vornherein klar waren, teilweise auch ganze Szenen. Aber einiges ist natürlich sehr viel improvisierter entstanden, gerade in Gesprächen der Schauspieler mit echten Menschen. Obwohl wiederum Liams Gespräche mit dem Kamelführer sehr gut vorbereitet waren. Und für Joshs und Adams Dialoge gab es immer fünf bis 15 Punkte, die sie streifen mussten und woran sie sich entlang hangeln konnten. Wir waren also schon flexibel und haben in den vier Monaten, die wir unterwegs waren, immer noch weiter am Drehbuch geschrieben. Manchmal hat uns der Zufall aber auch beschenkt und es sind Momente in der Realität entstanden, die man sich vorher gar nicht vorstellen konnte.

Wie haben Sie eigentlich Ihre Schauspieler gefunden?

Eva Löbau kannte ich über meine Produzentin Maren Ade, in deren Der Wald vor lauter Bäumen sie die Hauptrolle gespielt hatte. Davon abgesehen haben wir viele Castings gemacht, in Deutschland, aber auch in Dänemark, der Schweiz und zwei Mal eben in England, denn Hotel Very Welcome sollte kein Film werden über Deutsche, die reisen, sondern allgemein über Traveller. Dort jedenfalls habe ich sowohl den Iren als auch die beiden Engländer gefunden. Chris O’Dowd ist schon ziemlich bekannt, weil er in zwei großen Serien mitspielt und auch schon mit Regisseuren wie Mike Leigh gearbeitet hat. Ihn zu bekommen war ein ziemliches Glück, und er hat zugesagt, weil er neugierig war auf diese Art des Arbeitens. Ricky Champ und Gareth Llewelyn haben dagegen eigentlich zum ersten Mal richtig vor einer Kamera gestanden und gerade ihre Schauspielschule abgeschlossen.

Und Svenja Steinfelder?

hotelverywelcome02Die ist keine Schauspielerin, sondern eine meiner besten Freundinnen. Mittlerweile ist sie Doktor der Biologie. Sie ist immer wahnsinnig witzig, deswegen kam ich irgendwann auf die Idee, dass sie eine wunderbare Filmfigur wäre. Die Nebendarsteller waren auch Laien, die wir vor Ort angesprochen und gefragt haben, ob sie mitmachen würden. Im Falle des Kamelführers haben wir zum Beispiel einige Testaufnahmen gemacht, bis wir den passenden gefunden hatten.

Sehen Sie Hotel Very Welcome eigentlich als Komödie?

Irgendwie hat man ja als Deutscher manchmal ein wahnsinniges Problem mit diesem Wort, weil der Begriff der „deutschen Komödie“ Assoziationen weckt, die keiner so richtig mag. Engländer oder Amerikaner tun sich damit viel leichter. Aber ich würde mich vielleicht für den Begriff Tragikomödie entscheiden, denn der Film hat ja auch einen ernsten Unterton und erzählt tatsächlich über den Backpacker-Kosmos, über Verständigung und die Suche nach Glück. Deswegen ist es vielleicht keine reine Komödie. Aber es ist auf jeden Fall ein Film, in dem es viel zu lachen gibt – und bei dem mir von Anfang an klar war, dass es ein lustiger werden sollte. 

Ist denn Ihr Blick auf diesen Kosmos auch ein ironischer?

Es ist auf jeden Fall ein selbstironischer. Schließlich mache ich selber auch weiterhin solche Reisen: Direkt nach der Berlinale sind Svenja und ich erst einmal nach Costa Rica und Panama gefahren. Wir haben uns auch dort prompt wieder in Situationen befunden, in denen ich das Gefühl hatte, in meinem eigenen Film zu sein. Aber natürlich steckt in Hotel Very Welcome auch ein klein wenig Kritik an bestimmten Haltungen von Backpackern, denn ich denke, viele von ihnen machen sich vor, dass sie durch diese Art des Reisens wirklich in das Land eintauchen und ganz nah an den Menschen dort sind.  Außerdem fällt einem schon auf, wie absurd das ist, wenn man mal bei so einem Full-Moon-Rave ist. Tausend junge Menschen aus Westeuropa saufen sich am Strand zu und nehmen Drogen, aber eben in einem Land anderer Leute. Obwohl man ja auch zugeben muss, dass es Spaß macht. Trotzdem, gerade auf diesen Party-Inseln gibt es eigentlich gar keinen Austausch zwischen Einheimischen und Reisenden, die da gänzlich unter sich feiern. Und auch die meisten Indien-Reisenden verbringen ihre Zeit fast nur mit anderen Backpackern.

Sind solche Reisen denn immer als eine Art von Flucht zu sehen?

Nicht prinzipiell, denn dafür gibt es sehr verschiedene Motivationen. Für Liam ist die Reise in Hotel Very Welcome eindeutig eine Flucht, aber bei Marion würde ich das nicht so sehen. Bei ihr geht es eher um den Versuch, woanders ein Problem lösen zu können, also die Idee, sich über etwas klar werden zu können, weil man von zu Hause weggeht und dann mehr mit sich ist. Aber es gibt auch noch sehr viel simplere Gründe für eine Reise – und Flucht aus dem Alltag ist ja eigentlich jeder Urlaub.

Hatten Sie mal erwogen, dass sich alle Protagonisten begegnen könnten?

hotelverywelcome18Dadurch dass wir in zwei verschiedenen Ländern gedreht haben, konnten sich ohnehin nicht alle Wege kreuzen. Außerdem mussten wir aufgrund unserer knappen Mittel auch fast immer nacheinander mit den Darstellern drehen. Trotzdem gab es zunächst auch eine Begegnung zwischen Svenja und einem der Engländer. Doch letztlich hat sich herausgestellt, dass es sehr viel besser für den Film ist, wenn man nicht mit allen klassischen Epsiodenfilm-Rezepten arbeitet. Das wäre vielleicht auch zuviel des Guten gewesen, gerade weil Hotel Very Welcome diesen sehr starken Realismus hat. Wenn sich alle begegnet wären, wäre das wohl nicht sonderlich gut für die Glaubwürdigkeit gewesen. 

Die Vermischung von Spielfilm und Dokumentarischem scheint Ihnen allerdings spielend zu gelingen...

Das Komplizierteste daran war eigentlich, das Gleichgewicht zwischen Realität und Fiktion zu halten. Wir balancieren da auf einem sehr schmalen Grat und es gab beim Drehen immer wieder Momente, die entweder viel zu real oder eben zu fiktiv wirkten. Gerade in den Szenen mit den beiden Engländern war das mitunter schwierig, denn die Arbeit mit zwei Schauspielern entwickelte eine ganz andere Dynamik als die Aufnahmen mit einem Schauspieler und einem realen Menschen. Aber mir war diese Mischform sehr wichtig, denn in einem Dokumentarfilm hätte man weder die emotionalen noch die komischen Aspekte des Themas so auf den Punkt bringen können. Gleichzeitig bot natürlich auch die Realität fantastische Möglichkeiten. Durch unser Konzept bekam ich auch Szenen geschenkt, die ich nie hätte schreiben können. 

(Luna Filmverleih; Fotos: © Kinowelt; 2008)

Buch-Tipp:
Jana Binder - Globality. Eine Ethnographie über Backpacker
{sus_amazon id=3825886867&pid=kulturwoche-21} 243 Seiten
Lit-Verlag (2005)
ISBN-13: 978-3825886868

Film-Infos:
Hotel Very Welcome (Länge: 90 Minuten)
Bewertung: @@@@@
Luna Filmverleih

Darsteller/innen: Eva Löbau (Marion), Svenja Steinfelder (Svenja), Chris O’Dowd (Liam), Ricky Champ (Josh), Gareth Llewelyn (Adam)

Drehbuch: Sonja Heiss und Nikolai von Graevenitz
Regie: Sonja Heiss
Produzentinnen: Janine Jackowski, Maren Ade und Sonja Heiss
Associate Producer: Dirk Engelhardt
Redaktion: Christian Cloos, ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Kamera: Nikolai von Graevenitz
Ton: Andreas Prescher
Musik: The Festival und Christian Garcia
Tonmischung: Hubertus Rath
Sounddesign: Daniel Iribarren
Kostüm: Nicole von Graevenitz
Requisite: Tanja Baumgartner
Schnitt: Natali Barrey, Vincent Pluss und Patrick Lambertz
Herstellungsleitung: Nathalie Lambsdorff
Produktionsleitung: Mareike Lueg und Hannah Maag 

 








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