diagonale_06_teaserWas ist ein österreichischer Film? Ein Film, der von jemandem gemacht wurde, der in Österreich lebt bzw. die österreichische Staatsbürgerschaft hat, oder der ganz oder mehrheitlich von einer österreichischen Produktionsfirma produziert wurde. Was macht einen Film österreichisch?! Wenn er sich ungern „einkasteln“ lässt. Von Stephanie Lang.
 

Konzentrierte Zusammenschau aller Genres

Das Festival des österreichischen Films, die Diagonale, feiert seit 1993 den heimischen Film – erst in Salzburg, dann, nach einer dreijährigen Pause, kontinuierlich in Graz. „Wir trauen es dem diagonale_06_sujetösterreichischen Publikum zu, sich auch mit innovativen, provokanten und ungewöhnlichen Inhalten und Strategien jenseits des Mainstream auseinanderzusetzen und sogar sie zu genießen. Auf der Diagonale gibt es dieses phantastische Publikum, das neugierig, aufnahmebereit und kommunikativ ist. So sollte es das ganze Jahr über sein.“, wie es Birgit Flos bei der Eröffnungsrede im dritten Jahr ihrer Intendanz formulierte.
Das Festival versteht sich als eine, so Flos weiter, „einzigartige Möglichkeit, den derzeitigen Produktionsstatus des österreichischen Films in einer konzentrierten Zusammenschau aller Genres und Formate zu erleben. Wir vertreten ein Kino der persönlichen Perspektiven, des erzählenden Risikos, der genauen Beobachtung und der innovativen filmischen Umsetzung.“ Womit die von den Filmschaffenden in den verschiedensten Diskussionen geforderte Diversität, die Vielfalt der kreativen Ausdrucksmöglichkeiten im Gegensatz zu rein kommerziellen Kriterien umschrieben ist. Genau hier beginnt die allgemeine Diskussion, was überhaupt „kommerziell“ ist, und warum der österreichische Film nur 2 Prozent Marktanteil in den heimischen Kinos hat.

Die Gesetze des Markts

Es fanden in diesem Jahr vor allem die begleitenden öffentlichen Diskussionen im Kunsthaus Graz großen Zuspruch. Es wurde dort unter anderem über den Konkurrenzkampf zwischen den kommerziell und den innovativ orientierten Produktionsfirmen diskutiert. Über die Gesetze des Markts, das Festhalten an althergebrachten Verteilungen der Marktmacht und den Auftrag der diagonale_06_chronomopsKulturförderung von Seiten der Politik.
„Wir wollen eher an einer neuen Definition der kommerziellen Kriterien arbeiten als an der
Reduzierung unserer cineastischen Ansprüche.“, wünscht sich Birgit Flos.
Es wurde sich gefragt, warum der österreichische Film in ausländischen Kinos und auf renommierten Festivals Erfolge feiert, während die Hälfte der Zuschauer z.B. bei der Sendung „Gebürtig“ im ORF nach 20 Minuten wegschaltet. Und ob nicht eigentlich die Presse an allem Schuld ist, durch ihre meist scharfe bis polemische Kritik am Selbstproduzierten.
Etliche Vertreter von international erfolgreichen österreichischen Filmen waren auf dem Podium und auch im Publikum. Nur die Vertreter des einzigen öffentlich-rechtlichen Senders konnten der Einladung zu einer Diskussion über seinen kulturellen Auftrag nicht Folge leisten. Es gab wohl kommerziell gewinnbringenderes zu tun.

Drei Verleihfirmen und kein Weltvertrieb

Warum erreicht der französische Film einen Anteil am eigenen Markt von 39 Prozent? In anderen Worten: wie kommt es, dass der Franzose sich im Durchschnitt nach zwei ausländischen mindestens einen französischen Film im Kino anschaut? Margaret Menogez meint, dass es an der starken Filmverleih-Förderung in Frankreich liegt. Zum Vergleich: in Österreich gibt es bisher drei Verleihfirmen und keinen Weltvertrieb, was bedeutet, dass die weltweite Verbreitung der produzierten Filme in den Kinos bisher gar nicht vom eigenen Land ausgehen konnte. Das ändert sich gerade.
diagonale_06_stadtutopienEine weitere Vermutung für kommerzielle Misserfolge war die fehlende Förderung und Betreuung von relevanten und damit für den Zuschauer interessanten Stoffen. Dass es zu wenig finanzielle wie dramaturgische Unterstützung gibt für die notwendigen Vorarbeiten, um ausgereifte Kinofilme herzustellen, egal ob Dokumentar- oder Spielfilm.
Durch fehlendes Vertrauen in das Prozesshafte von kreativer Arbeit, wird gerne direkt die produktive Umsetzung gefördert, sprich, das Geld fließt erst ab dem ersten Drehtag – das ist europaweit ein Problem. Das erschwert es den Machern manchmal einen Misserfolg zu vermeiden, weil man es sich einfach nicht leisten konnte länger mit der Umsetzung seiner Ideen zu warten. Auch wenn man sich bewusst ist, dass es nötig gewesen wäre.

Die großen Entscheidungen treffen immer die, die man nie sieht

diagonale_06_flickerDer diesjährige Eröffnungsfilm der Diagonale 06, „No Name City“ von Florian Flicker, ist ein typisches Ergebnis von vielen Zufällen. Die Produktion hatte viel vor, und wusste recht wenig. Was man im Film sieht, ist ein nicht unkomisches Abbild einer Gesellschaft von Selbstdarstellern und Eigenbrötlern, die es gerne so machen, wie sie es immer schon gemacht haben, auch wenn es nie so richtig funktioniert hat. Sehr österreichisch.
Keiner der Mieter in der Westernstadt wollte die Situation so, wie sie gerade war. Keiner der Filmemacher wollte den Film so, wie er im Endeffekt ist. Schade eigentlich.
Die großen Entscheidungen treffen immer die, die man nie sieht. Und jetzt ist es halt so, wie es ist: der Film ist fertig und die Mieter sind draußen – mehr soll im Vorfeld nicht verraten werden.

Hilfe zur Selbsthilfe

Eines der Erfolgsrezepte des viel zitierten Mainstream-Kinos der Amerikaner ist Investition und Zeit für die Entwicklung von guten Büchern. Man verwirft, bearbeitet und recherchiert neu, bevor man ein Projekt umsetzt. Und dass dies eine Arbeitszeit ist, in der die Filmemacher finanziell überleben müssen, sollte allen klar sein.
Bemerkenswert ist, dass die noch recht junge Produktionsfirma „coop 99“ drei lobende Erwähnungen für den besten Kinospielfilm erhalten hat: „Spiele Leben“, „Grbavica“ und „Der Schläfer“, aber leider deswegen auch nicht ruhiger schlafen kann, da das kein Preisgeld bedeutet.
Denn das bekam Michael Haneke für seinen französischsprachigen Film „Caché“.
Haneke betonte übrigens während einer Diskussion, wie wichtig es für seinen heutigen internationalen Erfolg war, dass seine weitere finanzielle Förderung nicht vom kommerziellen Erfolg seiner Filme, sondern von ihrer Qualität abhängig gemacht wurde.

Wenn sich die Kulturen mischen

diagonale_06_exile_familyAnscheinend wird der österreichische Film richtig gut, wenn er auf andere Kulturen und Mentalitäten trifft. Denn auch die beiden besten Dokumentarfilme behandeln ausländische Themen: „Babooska“ von Tizza Covi & Rainer Frimmel erzählt von einer Familie moderner Nomaden in Italien und „Exile Family Movie“ von Arash von einer iranischen Familie, die in Amerika und Europa verteilt im Exil lebt.
Der Produzentenpreis ging zu gleichen Teilen an Allegro Film für den Dokumentarfilm „We feed the World“ und Lotus Film für „Working Man´s Death“ – beide Filme wurden hauptsächlich im Ausland gedreht.

Ob Fernsehen oder Kino – Film träumt uns

Wünschenswert wäre ein größeres Bewusstsein der Bevölkerung, so wie auch bei den Möglich-Machern für die Forschungsarbeit des Mediums Film. Davon erzählen uns in ihren Ergebnissen und Experimenten die Experimentalfilm-Künstler, die leider kaum andere Sendeplätze haben als Festivals und Galerien. Durch die rapide Entwicklung der Technik, werden verstärkt innovative Aufführungsmöglichkeiten genutzt und erfunden, die am allgemeinen Filmmarkt nicht vorbeigehen sollten und leider auch bei der Diagonale nicht miteinbezogen wurden.

Warum eine Diagonale?

Die Gesetze der globalen Wirtschaft und unsere eigene Entertainment-Sucht sollten die Gesetze der menschlichen Gesundheit nicht übersehen. Und zur Gesundheitsförderung gehört ein gesundes Maß an Konfrontation mit dem Anderen, Unbekannten.
Eine geglückte Irritation kann die erwünschte Provokation zur Eigeninitiative auslösen: „Oiso so an Schas, des kon I scho zehnmoi besser, als wiera di do.“ (Autorin spricht nur bayrisch; Anm.), wovon letztlich die heimische Wirtschaft nur profitieren würde.
Wie sagte noch Birgit Flos bei ihrer Eröffnungsrede: „Auf der Diagonale gibt es dieses phantastische Publikum, das neugierig, aufnahmebereit und kommunikativ ist. So sollte es das ganze Jahr über sein.“ (Stephanie Lang)

Link-Tipp:
www.diagonale.at