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transamerica_teaserZum wichtigsten Schritt in Bree Osbournes Leben fehlt nur noch eine Unterschrift. Und das ausgerechnet die von einer Psychologin.
Von Patryk Dawid Chlastawa.
 

Bree ist in Wirklichkeit ein Mann, der in „Wirklichkeit“ von einer Frau, nämlich von Felicity Huffman, gespielt wird. Bevor Bree ins Krankenhaus darf, muss sie noch eine letzte Aufgabe erfüllen: Ihren erwachsenen Sohn Toby (Kevin Zegers) kennen zu lernen. Die Verbindung zwischen den Beiden stellt ein gelangweilter Polizist her. Toby ist wegen Kleinkriminalität verhaftet worden. Nichts ahnend, wer ihm helfen will und warum, findet Toby rasch seine Vorteile an dieser Begegnung und lässt sich mit Bree auf einen altbekannten amerikanischen Roadtrip ein.

From New York to L.A.

transamerica_plakatUnterwegs wird sowohl Tobys als auch Brees Vergangenheit gehörig aufgearbeitet. Durch flotte Sprüche, Tränen und zarte Umarmungen. Nach den unzähligen Kilometer entwickelt sich eine grazile Zusammengehörigkeit zwischen ihnen. Das vordergründige Ziel ist den persönlichen Reifungsprozess zu beschleunigen. Toby möchte endlich ein erfolgreicher und selbstständiger Mann sein; und Bree eine „echte“ Frau.
Die gemeinsame Reise endet bei Tonys neuen Großeltern. Im Schlafzimmer. Hier kulminiert Transamerica, und zwar nicht wie man erwartet durch Brees Operation, sondern dank Tobys nach Reibung suchenden Penis. Toby gibt sich Bree hin, weil er die Überzeugung hat sie (er) begehre ihn. Derweil ist Toby derjenige, der einen Vater sucht. Der Zuneigung von Männern wünscht. Und da Liebe in dem Fall mit Sex verwechselt wird, drückt sich Toby genau auf dieser Ebene und auf diese Art, aus. Er spürt eine ihm unerklärliche Verwandtschaft und hat das innige Bedürfnis Bree, mittels seines Körpers, beschenken zu wollen. Bree muss, dadurch an die Grenzen ihrer Moralvorstellungen gebracht, endlich Vaterschaft bekennen, um einerseits die Zusammengehörigkeit zu retten und andererseits um Mutter sein zu dürfen.

Viel Raum für Interpretationsfreiheit

Die Story Transamericas ist eine Einfache, so wie jede gute Story sein sollte. In ihrer Genügsamkeit jedoch, auch unterstrichen durch den Erfolg und Publikumsakzeptanz, entwickelte sie viel Raum für Interpretationsfreiheit. Felicity Huffman, einem „Desperate Housewife“, einen Penis umzuschnallen, damit sie sich von diesem wieder befreien darf, stellt schon fast einen zeitgenössisch-philosophischen Exkurs dar.

Neue Tür zur Wiedererlangung einer archetypischen Weiblichkeit

transamerica1In einer Zeit wo die mediale Potenz der Männer schon längst durch die Omnipotenz der Frau ersetzt wurde, bleibt ja der Frau auf der Leinwand und in der Röhre nichts anderes übrig als selbst die Hosen zu tragen. Wählerisch zu sein, drauf zu hauen, Karriere machen; sich eben von diesen „alten“ Werten zu befreien. Dass diese Art der Emanzipation einer Gebetsmühle gleicht, möchte ich jetzt gar nicht zur Debatte bringen. Dieses Frauenbild erfreut sich nach wie vor einer weit verbreiteten und geschlechtlich unspezifischen Beliebtheit; -weil es noch immer ungesättigte Grundbedürfnisse deckt. Unter anderem den weiblichen Selbstbestimmungsdrang nach kulturell gleichrangiger Identität, und bei Männern, den nach passiver Sexualität und schuldloser Häuslichkeit.
Diese Tendenz ist in Transamerica nicht mehr zu finden. Hier öffnet sich eine neue Tür zur Wiedererlangung einer archetypischen Weiblichkeit. Einer (Wieder-)Entdeckung der Vagina, sowohl durch Männer, als auch Frauen.

Der Penis der Frau

Wenn ich mir erlaube diesen flüchtigen Gedanken nachzugehen, dann kristallisiert sich Felicity Huffmans Penis, als der Penis der Frau in unserer Film und Fernsehlandschaft. Ein Prachtstück, welches, eregiert - durch die Jahre der Unterdrückung und Missachtung seitens der Männer, sich plötzlich und ohne Vorwarnung ehrwürdig aufrichtet.Dass der biologische Träger, durch die Konfrontation mit dieser weiblichen Hoftracht, vom blanken, metaphorischen Penisneid gepackt wird, ist kaum verwunderlich, da geschichtlich fundiert.
Seltsamerweise hieß die Parole nie mehrstimmig: „Der Schwanz muss ab!“, sondern vielmehr: „Ein neuer Schwanz muss her!“
Diese Neustrukturierung der Energien, der Geschlechterdefinitionen, der Identitätsprobleme, führt sich, was unsere kulturgeprägten Moralvorstellungen betrifft, ad absurdum.

Zynischer Lichtblick am verwirrten Geschlechterhimmel

Doch Transamerica ist wie ein zynischer Lichtblick am verwirrten Geschlechterhimmel. Hier ist eine Frau fest entschlossen ihren Penis wieder „zurück in ihren Körper zu stülpen“. Felicity Huffmanns Darstellung ist einwandfrei. Ist all die Preise wert. Sie wird nicht umsonst beschenkt und umjubelt. In ihrer Darstellungskunst bestätigt und feiert sie unseren Zeitgeist.
Mit Hilfe Brees tränenreicher Hinterfragung nach der Operation wird uns allen etwas vor Augen geführt. Die Vergegenwärtigung des alltäglichen geschlechtsunspezifischen Scheiterns. Welches nicht zu lösen ist mit einer neuen Identität, sondern mit einer genaueren Frage nach dieser.

Familientaugliches Spielfilmdebüt

transamerica2Überraschend klein ist der Trubel um Duncan Tucker, Regisseur und Autor. Zwar ist der Film inszenierungstechnisch tatsächlich kein großer Wurf, aber nun ja, das verzeiht man ihm aufgrund der Tatsache, dass es sich hierbei um ein familientaugliches Spielfilmdebüt handelt. Seine Anerkennung steht zwar im Schatten Felicity Huffmanns und Dolly Busters, aber in deren Schatten würde sicher sehr gerne jeder aufstrebende Regisseur stehen. (Patryk Dawid Chlastawa)

Infos zum Film:
Transamerica
USA / 2005 / 103 min
Regie: Duncan Tucker
Darsteller: Felicity Huffman, Kevin Zegers, Fionnula Flanagan, u.a.
Autor: Duncan Tucker
Verleih: Einhorn Film