Der polnische Bühnenbildner und Regisseur Krystian Lupa fügt in seine Proces Interpretation von Franz Kafka Einblicke in Polens bedrückende Gegenwart.
Krystian Lupas Proces von Franz Kafka
Es ist ein düsterer Innenraum mit Rissen an den Wänden, wo Josef K. auf seine Vermieterin trifft, nebenbei läuft eine Talkshow im Fernseher. Die Sendung verhandelt eine groß angelegte Richterablöse in Polen und die Frage, ob es möglich sei, dass alle diese Richter zurecht gehen mussten. Josef K., Prokurist einer Bank, ist noch ganz im Eindruck seiner Verhaftung. Er steht nun unter Hausarrest, sein Vergehen soll er nie erfahren, das Recht auf Verteidigung ist ihm verwehrt.
Macht auf Abwegen
"Ich lebe doch in einem Rechtsstaat", meint Josef K. verzweifelt, doch seine Wächter lachen nur, während sie sich über sein Frühstück hermachen. Regisseur Lupa, einer der renommiertesten Theatermacher Polens, arbeitet in Proces mit spärlicher Ausstattung. Dafür sorgen eindrucksvolle Raumprojektionen und ebensolche Filmsequenzen für eine albtraumhafte Wirkung, der man sich kaum entziehen kann. Eine in Deutsch gesprochene Kommentarebene versorgt das Publikum mit launigen Gedanken, die wohltuend aus dem düsteren Sog von Kafkas Werk reißen. Immer wieder öffnet der Regisseur die Bühne zum Publikum, indem das Licht den Zuschauerraum erleuchtet und einer der Schauspieler die vierte Wand durchbricht. Etwa als K. vor Gericht erscheint und sich Angesicht zu Angesicht zum Wiener Publikum dreht und fragt: "Wer denkt ihr, das ihr seid?" Als er in das Buch des Gesetzeshüters blickt, ist es voll mit Aktbildern. Seine Einblicke im heruntergekommenen Gerichtsgebäude führen ihn an anderen Angeklagten vorbei, deren Eingaben von Willkür abgeschmettert werden. Er wird Zeuge einer Massenerschießung.
Korruption, Macht und Unterdrückung
Die Leerstellen des unvollendeten Romans füllt Lupa mit Einschüben aus dem Leben von Franz Kafka und vermischt so Werk und Biografie. Er lässt dessen Verlobte Felice Bauer auftreten (herrlich Marta Zieba), deren Freundin Grete Bloch, ebenso wie Max Brod, seinen Freund und späteren Herausgeber, während ein nackter Franz Kafka (Marcin Pempus) teilnahmslos und verzweifelt auf einem rohen Bettgitter dahinvegetiert. Immer wieder geht es um ein Überschreiten einer roten Linie, die physisch die Bühnengrenze zum Publikum markiert, um Kunst und deren Verantwortung in der Welt.
"Wir dürfen der Absurdität, in der wir leben, nicht nachgeben", ist einer der Sätze, der nachhallt. Der sich in unserem gegenwärtigen Europa aktueller zeigt, als einem lieb ist - denkt man an das gerade aufgezeigte, korrupte politische Sittenbild, das demokratische Errungenschaften leichtfertig persönlichem Machtzuwachs zu opfern bereit wäre. "Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht", heißt es in Lupas Prozess-Interpretation, in der er Parallelen zwischen Dystopie bei Franz Kafka und den roten Linien aufzeigt, die heute immer wieder überschritten werden. Es heißt wachsam zu bleiben. //
Text: Veronika Krenn
Fotos: Magda Hueckel
"Proces" wurde in Österreich erstmals im Rahmen der Wiener Festwochen 2019 gezeigt.