Mit zwei Uraufführungen startete der Dschungel Wien - das Theaterhaus für junges Publikum - in die Spielsaison 2017/18, bei denen sich zwei unterschiedliche Gefühlswelten auftaten. Quasi im Vorabendprogramm wurde das Stück "Gott und die Welt" (6+) von schallundrauch agency gezeigt, danach ging im Hauptabendprogramm das Rhythmusbetonte "Groove!" (13+) von Theater foXXfire! über die Bühne.
Jesus die Zunge zeigen
Unter der gekonnten Regie von Gabriele Wappel - sie steht auch gemeinsam mit René Friesacher,Elina Lautamäki und Martin Wax auf der Bühne - breitet sich hier ein ganzer Kosmos an Einfällen und Witzigkeiten für Kinder ab 6 Jahren aus. Kosmos? Nein, keine staatliche Ordnung, Verfassung, sondern eher eine ganze Kosmologie, also die Lehre von der Welt. Das will nämlich hinterfragt werden, wie das alles begann und wo das alles enden soll und warum Gott immer einen Bart hat und nicht auch einmal eine Frau sein kann. Und wenn Papa sagt, Gott ist tot, ist er dann ein Philosoph oder hat er diesen Gedanken von jemanden geklaut? Und warum ist eine Notlüge erlaubt, eine Lüge aber nicht? Steckt hinter den vielen verschiedenen Religionen immer der gleiche Gott oder gibt es mehrere, bessere und schlechtere? Darf man auf Gott so böse sein, dass man mit ihm eine Woche oder länger nicht spricht und darf man Jesus die Zunge zeigen? Ja, es gibt viele Fragen und wir kennen nur bedingt Antworten beim Thema Religion und Glaube. Aber: Das Stück verheddert sich weder in rein geistlichen Themen noch wird einer bestimmten Glaubensrichtung der Vorzug gegeben. Der Titel des Stücks ist Programm, und wenn es schon "Gott und die Welt" heißt, so spricht man in diesen äußerst kurzweiligen 60 Minuten auch dementsprechend über alles und nichts.
My God is great, my God is good / but don’t waste His time
Das großartige Schauspiel-Quartett bezieht die Philosophiererei und Traumerzählungen aus Eigenerfahrungen, erzählt bestens aufgearbeitet für die Altersklasse 6+ Anekdoten über Opa, Oma, Mama, Papa, aber auch über die Katze, über Nachbarn und Freunde. Die erste Liebe. Haare im Kakao. Dem jungen Publikum gefällt all das, was es zu hören und sehen bekommt, quietscht und lacht vergnügt. Das Quartett punktet mit Spielfreude und großer Schauspiellaune, mit live dargebrachten Ohrwurm verdächtigen Gospel-Songs und mit allerlei Sprachwitz. Ohne jemals den roten Faden zu verlieren bestimmen Überraschungen und Wendungen den Handlungsverlauf. In "Gott und die Welt" darf jede/r glauben, was sie/er will. Das junge Publikum (und freilich nicht nur die) erfahren im Stück denn auch, dass jeder Mensch an irgend etwas glaubt. Und das stimmt ja auch. Ich z.B. glaube, dass Jesus nur deshalb übers Wasser gehen konnte, weil er wusste, wo die Steine sind. Dass die vier Schauspieler, die auch gemeinsam das Stück entwickelten, mit der Abhaltung eines Konzils [Versammlung einer Kirche, bei der in der Regel die bischöflichen Gewalten Lehre, Leitung und Heiligung besprochen werden; Anm.] mit Hilfe des Publikums eine super Pointe für ein Ende fanden, war letztendlich das i-Tüpfelchen für ein Theaterstück, das mit spielerischer Leichtigkeit des Seins das kleine und große Publikum zu überzeugen verstand. Große Begeisterung. Noch mehr Applaus.
So geht Rhythmus
So vergnüglich und Herzerwärmend der erste Teil des Abends mit "Gott und die Welt" vonstatten ging, so redundant und enttäuschend entpuppte sich das zweite Stück, "Groove!", in dem es um Rhythmus geht. Alles ist Rhythmus und alles hat Rhythmus, sogar eine U-Bahn. Ja, eh. Im allgemeinen musikalischen Sprachgebrauch heißt Rhythmus der formbildende, durch Notenwerte wie auch Akzente ausgedrückte Wechsel von leichten und schweren Teilen eines gegebenen Taktes. Unter der Regie und musikalischen Leitung von Richard Schmetterer entstand so - obwohl es nur 60 Minuten dauert - ein Stück, das sich locker auf die Hälfte der Spieldauer reduzieren ließe. Festzustellen war nämlich eine deutliche Handlungsarmut bzw. rhythmische Vorhersehbarkeiten ohne zündenden Groove. Da half all das Schnippen, Klatschen, Stampfen, Klopfen nichts und noch weniger das Kreischen.
Two hands clap and there is a sound. What is the sound of one hand?
Die Aufführung schwächelte zudem auch hinsichtlich mancher Darstellungskünste. Richtig überzeugen konnte vom sechsköpfigen Ensemble einzig Futurelove Sibanda, der tatsächlich den Groove intus hat. Richtig gut war auch die Bühne von Karoline Hogl und Hannes Röbisch. Nervend hingegen so manch dramaturgische Einfälle, wie z.B. das militärische Marschgedröhns, das wie eine Ewigkeit anmutete, aber auch die Liebes- und Eifersuchtssequenz, die in erster Linie schrill und auch etwas unbeholfen daherkam. Auf den Mut dem Rhythmus der Stille oder dem "Sound of One Hand Clapping" folgen zu dürfen, wartete man hingegen vergeblich. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Rainer Berson, Theresa Pewal
Gott und die Welt
Bewertung: @@@@@@
Kritik zur Uraufführung im Dschungel Wien am 21.9.2017
60 Min.
Altersempfehlung: 6+
Regie: Gabriele Wappel
Künstlerische Beratung: Janina Sollmann
Performance, Stückentwicklung: René Friesacher, Elina Lautamäki, Gabriele Wappel, Martin Wax
Bühne, Licht: Silvia Auer
Coaching, Dramaturgie: Frans Poelstra
Musikalischer Coach: Sebastian Radon
Regieassistenz: Sara Wilnauer
Groove!
Bewertung: @@
Kritik zur Uraufführung im Dschungel Wien am 21.9.2017
Rhythmus-Tanztheater, 60 Min.
Altersempfehlung: 13+
Regie, musikalische Leitung: Richard Schmetterer
Choreografie: Melanie Hunger
Bühne: Karoline Hogl, Hannes Röbisch
Kostüm: Karoline Hogl
Regieassistenz: Jana Püscher
DarstellerInnen: Eldina Džananović, Sophie Riedl, Sandra Schwann, Victoria Sedlacek, Futurelove Sibanda, Luis Widmoser