Marlene Monteiro Freitas Gesicht verändert sich im Sekundentakt. Gepeitscht von einer permanenten Trommelfanfare steigt sie in "Guintche" in einen auf der Bühne im brut im Künstlerhaus aufgebauten Boxring. Ihr Gesicht wird an diesem Abend Identitäten wechseln, als wäre ihre Haut aus Wachs, wandelbar und bis zur Unkenntlichkeit formbar. Von Veronika Krenn.
Ein Kampf wird gefochten
Am Einlass empfängt ein stark geschminktes, seltsames Wesen in gebückter Haltung und blauem Seidenumhang, das sich alsdann am Bühnenrand für seinen Auftritt bereit macht. Der Auftakt beginnt mit einem satten Percussion-Intro, das allerdings die nächste halbe Stunde das Maximum bis zur Unerträglichkeit halten wird. Marlene Monteiro Freitas wirft den Seidenumhang von den Schultern und steigt in den Ring. Sie wirft sich in Position und - vornehmlich ihr Unterleib und ihr Gesicht - fechten den Kampf mit - ja mit wem?
Ist es ein Mann oder eine Frau?
Ein unsichtbares Gegenüber scheint die Kämpferin herauszufordern, ihr Schläge zu versetzen, sie zu verunsichern bis zur nackten Verzweiflung, sie an alle Grenzen zu bringen. Die Ausdrücke ihres Gesichts sind schier unendlich, selbst ihr Geschlecht wird immer unklarer. Ist es ein Mann oder eine Frau, man beginnt zu zweifeln.Ihr gegenüber sitzt stumm und unbeweglich in Dunkelheit gehüllt das Publikum, die unbekannte Masse. Sind es die vielfältigen Erwartungen der hier Anwesenden an die Künstlerin, die diesem Wesen auf der Bühne so zusetzen?
Da schwingen die Hüften
Die Tänzerin, die Künstlerin, befindet sich im Boxring des Lebens und auf der Bühne, das scheint die zuweilen bis an der Grenze des Erträglichen kratzende Performance zu suggerieren. Ein Kampf, der mit den Mitteln des Tanzes gefochten wird. Da schwingen die Hüften in straffem Rhythmus, doch weiter oben in den Körperregionen, da werden die Haare gerauft, da blähen sich die Lippen zu einer blutigen Fratze oder einem traurigen Grinsen, da baumeln hilflos die Arme. Nach der ersten Hälfte der Performance kehrt schlagartig Stille ein und die Lichtverhältnisse werden umgekehrt. Nun wird das Publikum zum Objekt, auf das die Scheinwerfer gerichtet sind. Freitas, nun selbst im Dämmerlicht, hat die Macht des (Über-)Blicks über den Schauplatz erlangt.
Gesten, die nichts mehr bedeuten
Nach diesem Intermezzo geht es clownesk weiter und das Setting ändert sich: Aus dem Boxkampf werden alltägliche Situationen und Ausschnitte aus dem Bühnenalltag einer Tänzerin. Sprünge und Figuren erinnern an Ballett-Posen und zeigen die Hilflosigkeit angesichts von zu leerer Tradition verkommenen Gesten und Tanz, der nichts mehr bedeutet. Im ersten Teil noch stimmig eingebettet sind die, Franz Xaver Messerschmidt oder Zeichnungen von Goya zitierenden, Grimassen, die die Tänzerin aufgreift. In der zweiten Performancehälfte wirken diese aber aufgesetzt und nicht mehr eingebettet ins Geschehen. Dem Publikum gefällt es trotz alledem, es applaudiert heftig. (Text: Veronika Krenn; Fotos: João Figueira, Laurent Paillier)
Kurz-Infos:
Guintche
Bewertung: @@@
Kritik zur Österreich-Premiere am 22.5.2014
brut im Künstlerhaus
Wiener Festwochen 2014
Choreografie Marlene Monteiro Freitas
Licht Yannick Fouassier
Musik Cookie
Kostüme Marlene Monteiro Freitas, Catarina Varatojo
Mit Marlene Monteiro Freitas