interieur-001Der 91-jährige französische Meisterregisseur Claude Régy zeigt bei den Wiener Festwochen Maurice Maeterlincks selten gespieltes Stück Intérieur, das mit seiner surrealen Langsamkeit und dem konsequent verfolgten Minimalismus zu begeistern verstand.

Möglichst ruhig soll das Publikum den Saal der Halle G (MQ Wien) betreten, um die atmosphärische Stille nicht zu stören, wie im Programmheft angegeben. Erfahrene Régy-Theatergänger erahnen bereits die für den renommierten französischen Regisseur so bezeichnende andächtige Atmosphäre, die vom Bühnenraum ausstrahlt und sofort in den Bann von Maeterlincks und Régys Kosmos zieht.

interieur-003In aller Stille und Dunkelheit schreitet eine Frau mit einem Kind an der Hand mit ihren andächtigen Schritten in Richtung Bühnenmitte. Das Kind legt sich zum Schlaf hin. Das Geschehen in Maeterlincks Handlung dreht sich um das Überbringen einer Todesbotschaft: Ein Mann soll einer Familie die Nachricht vom Tod der ältesten Tochter überbringen. Noch zuvor betrachtet er durch ein Fenster das häusliche Familienidyll und beginnt gemeinsam mit anderen "Lebensbetrachtern" von Außen diesen Zustand des Dazwischen, der Koexistenz von Leben und Tod, Wissen und Unwissen in Maeterlincks lyrischen Monologen zu sinnieren. Régys konsequent verfolgter Minimalismus mit seinen minutiös erarbeiteten Gesten und Gebärden will an einen vorsprachlichen Ort fernab von rein logozentrischem Denken vordringen, wo fernes wie nahes, Bewusstes und Unbewusstes nahtlos ineinander übergehen. Demensprechend kommentiert der Überbringer der Hiobsbotschaft das Tableau Vivant der Familie, die noch ahnungslos in der Idylle agiert: "Es ist, als säh' ich sie im Traum".

interieur-004Die behutsam komponierten Sprachmelodien und choreografierten Gebärden von surrealer Langsamkeit erzeugen eine atmosphärische Intensität, wie eine kollektive religiöse Meditation. Der Kunstgriff, die kargen vorgetragenen Phrasen in japanischer Sprache nur teilweise oder nachträglich auf Deutsch zu übertiteln, um (Zitat Programmheft) "die Atmosphäre der Inszenierung zu wahren", verleiht dem für das Stück programmatischen "Unsagbaren" umso mehr Raum und Wirkung.

Régy, der Interieur bereits zweimal für die Bühne bearbeitet hat - 1985 in Paris und 2013 in Japan - ist vom japanischen Figurentheater Bunraku dermaßen inspiriert, dass er Maeterlincks symbolistisches Stück über die Präsenz des Todes im Leben auch mit japanischen Darstellern umsetzt. Régy selbst sagt, dass die zweiteilige Grundkonstellation des lyrischen Dramas von Maeterlinck, einem still agierenden Raum einen Sprechenden gegenüberzustellen, ihn zum traditionellen Bunraku geführt habe. Intérieur ist neben Les Aveugles, sowie L'Intruse Teil von Maeterlincks Tod-Trilogie, deren entpersonalisierte Sprecherfiguren er idealerweise durch Marionetten verkörpert sah. Insofern hat der Autor mit Régys reduktionistischer Lektüre und antipsychologischen Spielästhetik einen treuen Komplizen gefunden, wofür er und das hochkonzentrierte, auf der Bühne über die eineinhalb Stunden dauerpräsente Ensemble, gebührenden Applaus einlösen konnte.

Der mittlerweile 91-jährige, mehrfach ausgezeichnete französische Regisseur, der bei all seinen Vorstellungen in persona zugegen ist (!), wird mit La Barque le soir/Boot am Abend des norwegischen Autors Tarjei Vesaas ein weiteres Stück (mit Darstellern aus Frankreich), und diesmal zum existentiellen Überlebenstrieb des Menschen, im Juni bei den Festwochen präsentieren. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: Koichi Miura)

interieur-002Kurz-Infos:
Intérieur
Bewertung: @@@@@
Kritik zur Aufführung am 13.5.2014
Wiener Festwochen
Halle G im MuseumsQuartier

Text von Maurice Maeterlinck
Bearbeitung Claude Régy
Japanische Übersetzung Yoshiji Yokoyama

Inszenierung Claude Régy
Assistenz Alexandre Barry
Bühne Sallahdyn Khatir
Licht Rémi Godfroy
Kostüme Sallahdyn Khatir, Mai Ooka
Dolmetscherin für das künstlerische Team Hiromi Asai
Bühne und technische Leitung Sallahdyn Khatir
Inspizienz Akiko Uchino
Lichttechnik Pierre Gaillardot
Garderobe Makiko Tango
Produktionsleiter Bertrand Krill

Der Greis Soichiro Yoshiue
Der Fremde Yoji Izumi
Marie Asuka Fuse
Marthe Miki Takii
Der Vater Tsuyoshi Kijima
Die Mutter Haruyo Suzuki
Die zwei Mädchen Kaori Ibii, Mana Yumii
Ein Bauer Gentaro Shimofusa
Leute Hiroko Matsuda, Yusuke Oba
Das Kind Hibiki Sekin