Packend. Quirlig. Actionreich. Großes Theater und Geschichtslehrbuch. So, in aller Kürze, kann man "Heinrich 4" von William Shakespeare in der gründlichen Neuinszenierung von Gernot Plass zusammenfassen. Die viel bejubelte Premiere ging am 30.10.2013 über die Bühne des TAG. Von Manfred Horak.
Im Jahr 1597 fand die Uraufführung statt, und die Vermutung liegt nahe, dass die historische Aufführung wie auch die deutsche Erstaufführung 1778 in Hamburg doch ein bisschen anders ablief als jene Inszenierung von Gernot Plass im TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße, 1060 Wien). So lautet z.B. der Untertitel dieser Fassung "Jetzt retten wir mal Jesus", aber, Scheiße (ein Kraftausdruck, der sich durchs ganze Stück zieht), dieser Kreuzzug durch Palästina, um das Heilige Land für Jesus zu retten bleibt nur ein Traum für Heinrich 4, da er vorher stirbt. Hohe Politik und Alltag des Volkes, Hofleben und Wirtshauskomik, Herrscherpflichten und Privatleben, Adelsrebellion und Straßenräuberei sind im Original thematisch wie strukturell eng miteinander verzahnt und aufeinander bezogen. Inszenierungen in der (jüngeren) Vergangenheit scheiterten daran, dass der Gesamtzusammenhang aufgrund starker Verkürzungen zerstört wurde, nicht so hingegen bei der Premiere im TAG, im Gegenteil. Gernot Plass hat sein Ensemble auf Hochgeschwindigkeit eingestellt und es gelang ihm ein packendes, quirliges und, scheiße nochmal, verdammt actionreiches Stück auf die Beine zu stellen.
Scheiß auf Ehre!
Mit seiner Fülle an Personen, Schauplätzen und sprachlichen Ausdrucksformen nimmt "Henry IV" in Shakespeares Werk eine gewisse Sonderstellung ein. Majestätische Blankverse reservierte Shakespeare für die ernsten Staatsszenen, während die komischen Szenen in wortwitziger Prosa aufgehen, inklusive doppeldeutiger Anspielungen und sozialen Schattierungen der Sprache - von juristischen Phrasen bis hin zur derben Umgangssprache. Plass bedient sich diesem sprachlichen Füllhorn mit Raffinesse und stellt dabei die komische Vitalität, die das Drama von Beginn an populär machte, in den Mittelpunkt. Mehr als 20 Figuren und ein Gerücht, verkörpert von den großartigen und in jede Rolle aufgehenden Schauspielern Jens Claßen, Horst Heiss, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Georg Schubert und Elisabeth Veit, beleuchten aus ständig neuen Blickwinkeln Themenkreise wie Mut und Feigheit, Instinkt und Ehre. Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! - Wer hat sie? Er, der vergangenen Mittwoch starb: fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. - Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge, und so endigt mein Katechismus. (aus dem Original; Übersetzung A.W. Schlegel). Diese, Falstaffs, berühmte Reflexionen über die Ehre werden in der Plass-Inszenierung auf den Punkt gebracht: "Leben! Scheiß auf Ehre!"
Scheißi-u-Scheißi-u
Black Sabbath liefert den Soundtrack für die Kriegsschweine ("War Pigs"), die Ausstattung von Alexandra Burgstaller, das Bühnenbild, die Kostüme, sehr grau-betont. Wände, Sesseln, Bänke werden im Nu umfunktioniert zum Totenbett, zum Sarg. Das Schlachtfeld ein Wassergraben, das Schauspielensemble stets unter Hochdruck agierend, ja, fürwahr, das ist schlicht und ergreifend, großes Theater und gleichzeitig ein Geschichtslehrbuch, zudem eine exemplarische Warnung an die Gesellschaft soundso, sich nicht durch Rebellion, Scheißi-u-Scheißi-u, zu Gewaltakten hinreißen zu lassen. Die Ernsthaftigkeit des Stücks wird in dieser Inszenierung überdeutlich mit Humor und Schimpfkanonaden vermessen, sei es zwischen dem schlanken Prinzen Hal (wunderbar: Raphael Nicholas) und seinem fetten Freund Falstaff (mitreißend: Georg Schubert), dem vermutlich großartigsten Fettwanst der Literatur, sei es von Heinrich 4 (grandios: Horst Heiss), dieser autoritär grantelnde Vater und König, der nach getaner Wahlwerbung, pardon, nach getanem Feldzug, sein Geld zurückfordert. Wahl 13 lässt grüßen. Dabei spielt das Stück doch in England in der Zeit von 1402 bis 1413. Heinrich 4 bemüht sich, sein durch Gewalt an sich gerissenes Königtum zu legitimieren. Erschwert wird dies durch die Eskapaden seines Sohnes Prinz Heinrich, der lieber mit dem hemmungslosen und der Melancholie zugeneigten Sir John Falstaff durch die Wirtshäuser zieht, sich dem Genuss von Wein und Essen hingibt anstatt am Hof präsent zu sein. Als der Vater ihm ins Gewissen redet, erfolgt bei Prinz Heinrich ein Wandel und er bekämpft (erfolgreich) die Rebellen. Nach dem Tod von Heinrich 4 wird Prinz Heinrich König, sagt sich von Falstaff und seinen ehemaligen Zechkumpanen los und verleugnet diese. Trotz alledem - da kann er noch so sehr bramarbasierender Zeitgenosse sein - ist natürlich Falstaff der Sympathieträger des Stücks. In dieser Inszenierung stecken dermaßen viele Details, Wuchteln und versteckte Anspielungen, dass man sich das Stück, scheiße nochmal, durchaus ein zweites Mal anschauen kann. (Text: Manfred Horak; Fotos: Anna Stöcher)
Kurz-Infos:
Heinrich 4 - Jetzt retten wir mal Jesus
Bewertung: @@@@@
Kritik zur Premiere am 30.10.2013 im dasTAG
Text und Regie: Gernot Plass
Ausstattung: Alexandra Burgstaller
Musik: Dr. Plass
Regieassistenz: Renate Vavera
Regiehospitanz: Melanie Hirner
Ausstattungshospitanz: Anna Peintner
Licht: Hans Egger
Es spielen:
Jens Claßen, Horst Heiss, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Georg Schubert, Elisabeth Veit