"Das Licht, das für sich selbst leuchtet, ist Finsternis", lautet ein Spruch aus China und Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin der Literatur, nimmt sich dieser Finsternis in der Sprechoper "Kein Licht" an. Ohrenbetäubende Stille und ein Geisterszenario nach dem Super-GAU bekommt das Publikum vorgesetzt. Bei aller Beklemmung durfte dabei auch (leise) gelacht werden.
Im japanischen Fukushima - nur unweit von Tokio - droht der Super-GAU und die (leider berechtigte) Angst vor einer möglichen Zerstörung der Zivilisation. Dann nämlich, wenn jenes Katastrophen-Szenario eintritt, dass aufgrund der auf die Insel ziehenden Tropenstürme das Gebäude, in dem die Brennstäbe noch lagern, einstürzt. Das Ende September 2013 entdeckte weitere Leck macht die eh schon havarierte Atomanlage mit den darin befindlichen 1300 hoch radioaktiven Brennstäben nämlich noch instabiler. Die freigelegten Brennelemente könnten dabei bis zu 15000-mal mehr radioaktive Strahlung freisetzen als die Atombombe auf Hiroshima. Nukefree.org-Aktivist Harvey Wasserman erklärt (Übersetzung: netzfrauen.org) dazu: "Abgebrannte Brennelemente müssen unbedingt unter Wasser aufbewahrt werden. Die darin enthaltenen Brennstäbe sind mit einer Zirconium-Legierung ummantelt, die sich, wenn sie mit Luft in Berührung kommt, spontan entzündet. Zirconium wurde früher in Blitzlampen für Fotoapparate verwendet und verbrennt mit extrem heller und heißer Flamme. Ein Brennstab ohne Ummantelung strahlt so viel Radioaktivität ab, dass jeder, der sich in seiner Nähe aufhält, in wenigen Minuten stirbt." Das Dilemma dabei: Die Entleerung ist nicht nur höchst riskant, sondern niemand weiß genau, wie das geschehen soll.
Energie wurde geraubt
Fakten und Neuigkeiten, die im Text von Elfriede Jelinek freilich noch nicht vorkommen können, und somit natürlich auch nicht den Ausgangspunkt der Sprechoper "Kein Licht" bildet, aber mit ihrem Weitblick ahnte sie (wusste sie), was da losgetreten wurde. "Nur noch ohrenbetäubende Stille erfüllt die Luft, ein Lärm, der die Welt lautlos unter sich begräbt", heißt es im Prolog, und wir hören ihre Stimme im dunklen Theatersaal und sind angetan von der Rhythmik ihrer Sprache, und zaudern mit dem, was sie formuliert, wenn sie sagt: "Etwas, das der Mensch erschuf, hat sich unumkehrbar gegen ihn gewandt, und das Licht, das früher auf ihn schien, muss er nun selbst abstrahlen, bläulich leuchtend aus den Knochen seines Körpers..." Die Bühne ist nur soweit beleuchtet, dass wir fünf Frauen (je zwei auf der Seite seitlich verschlungene Paare, eine in der Mitte, aber hinten), einen Mann und ein Fahrrad erkennen können. Mit dem Ende des von Elfriede Jelinek gesprochenen Prologs kommt erstmals auch ein wenig Bewegung in Gang. Tränen schreien und immer wieder mal setzt sich doch ein kleiner Lichtstrahl durch, so etwas wie Hoffnung in einer "Verdüsterung, die nie mehr verschwindet".
Im Reich der Toten
Sind es Götter, die da sprechen? Nein, die Erste und die Zweite Geige, die ihre Töne nicht mehr hören können, sind lebende Leichen, die kontaminiert im Ozean treiben, Zombies. Nicht nur Atomverseucht, auch Medienverseucht. Ein Albtraum also, der dennoch in all seiner Schrecklichkeit einen absurden Humor zutage fördert. Eine böse Ironie, die durch das wohl bewusst zaghafte Schauspiel der Protagonistinnen - allesamt hervorragend: Ronja Jenko, Eva Kessler, Mona Kospach, Gina Mattiello und Ninja Reichert - verstärkt zur Geltung kommt. Ein Sprechchor, der einen mit allen Sinnen zu packen versteht, während im zweiten Teil die großartige Libgart Schwarz alleine auf der Bühne zwischen Macht und Ohnmacht fabuliert, monologisiert, irritiert und uns an das Ende des Tunnels bringt. Theaterkritiker-Kollege Tristan Jorde meinte zur Aufführung von "Kein Licht" etwas lapidar: "Eine wunderbare, sprachmächtige Dichterin, poetisch, intensiv und bilderreich assoziativ. Für Romane, aber halt nix fürs Theater. Oder auf neudeutsch: sehr postdramatisch." Nun, es ist eben aber auch kein Theaterstück, sondern eine Sprechoper. Nur halt - äh, zu jung? (o.ä.) - für die hiesigen (Staats, Volks, Kammer) Opernhäuser. Es hat jedenfalls mehr von einem Musikstück als von einem Theaterstück, obwohl nicht gesungen wird und auch die Musik kaum wahrnehmbar ist. "Kein Licht" lässt das Publikum nicht ratlos zurück, die Sprachrhythmik und das, bei allen humoristischen Spitzen, Furcht erregende Szenario, das sich im Theatersaal entfaltet, kann vielmehr als eine Art Denkzettel für die Menschheit verstanden werden. Als Unverständnis gegenüber jenen Menschen, die noch immer für Atomkraftwerke sind, und als Unverständnis gegenüber uns Menschen, die wir es nicht zu verhindern imstande sind, denn merke: "Wir haben etwas gespalten, und jetzt leuchten wir durch diese Spalte." Furios und extraordinär. (Text: Manfred Horak; Fotos: dramagraz)
Kurz-Infos:
Kein Licht
Sprechoper von Elfriede Jelinek
Bewertung: @@@@@
Kritik zur Aufführung am 26.9.2013 im KosmosTheater