Ein Schiff, dem Untergang geweiht, nimmt wissentlich die schlechtere Route mit der Erwartung und der Gewissheit, der Sturm kommt, aber die Hoffnung stirbt ja, wie bekannt, zuletzt... Ein Epos auf die Utopie und die Träume der Menschheit.
Eine Welt von 1914 tut sich auf, greift auch in unser Jahrhundert herüber, spiegelt dazu die Parallelwelt des Stummfilms, der da gekonnt inszeniert wird und manchmal ist es schwer festzustellen, welche der Szenen wohl in die eine oder in die andere Welt / Jahrhundert passt, oder gibt es sie übergreifend, sich wiederholend in allem? Was im Film und der phantasierten Geschichte passiert, passiert auch in der Welt der Schauspieler und Künstler. Das, was sie uns sagen und aufzeigen, hat Parallelen im 21. Jahrhundert.
Die Rahmenhandlung ist ein Besuch der Enkelin, auf einem staubigen und stillgelegten Dachboden nach den beiden Weltkriegen, um endlich die Tagebücher ihres Großvaters zu holen. Dieser Filmemacher des 20. Jahrhunderts hat nach der Romanvorlage "Die Schiffbrüchigen von Jonathan" von Jules Verne einen Stummfilm gedreht, dessen Verlauf in den Tagebüchern aufgezeichnet wird. Parallel dazu werden die Geschehnisse der Zeit kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges geschildert. Die Truppe ist improvisiert, die Schauspieler und auch Nebendarsteller setzen sich aus dem Personal des Gasthauses zusammen, das unterhalb des Dachbodens liegt. Jeder möchte Teil des Ganzen sein. Alle sind motiviert, aber die schwierige politische Zeit gestaltet es schwierig den Film fertig zustellen. Aber es gibt auch andere Schwierigkeiten: Da bricht Liebe aus, wo Abneigung im Drehbuch steht, Gewalt wo Freundlichkeit gefragt ist - und immer wieder ungeplantes und unvorhergesehenes, das in die Handlung verflochten wird.
Ein Spiel mit der Zeit und der Hoffnung, im Sturm der Geschichte nicht unterzugehen
Das Theatre del Soleil lässt uns an diesem eigentümlichen Treiben der Menschheit teilhaben. Die Menschheit zerstört sich und spinnt gleichzeitig die Utopie des ewig glücklichen, gleichwertigen, miteinander Lebens. Es ist eine Frage der Zeit, bis dieses Unterfangen scheitert. Diese Opulenz und das wunderbare Bühnenbild lässt gerne die oft zu plakativen Verweise auf unsere heutige Zeit verzeihen. Die Bühne ist eine wandelnde Leinwand, eine Filmrolle, die Geschichten, Schicksale und Hoffnungen überträgt. Wunderbar, wandelbar und jeder Szenewechsel gekonnt in die Handlung verflochten. Das Publikum wird zum Beobachter eines kreativen Prozesses, der Umsetzung der Tagebücher des Großvaters in einen Stummfilm. Die Handlung lehnt sich an ein fragmentarisches Manuskript von Jules Verne an, das sein Sohn schliesslich fertig geschrieben hat. Während die Erinnerungen an den filmbegeisterten Großvater noch einmal lebendig werden, verknüpft sich das Schicksal der Schauspieler mit der Zeit und der Handlung des Films. Eine Flucht aus den Wirren des Ersten Weltkrieges wird dargestellt, eine Eroberung der letzten, nicht kartographierten Landstriche der Welt, ein Stranden auf einer Insel, die vorerst als nicht erobert gilt und die Utopie eines freien und unabhängig, demokratischen, brüder- und schwesterlichen, gewaltlosen Staates somit bereit hält. Die eingeborenen Bewohner werden übergangen, Feuerland wird eingenommen und eine neue Gesellschaft soll entstehen.
Die Menschheit lernt aus Fehlern meist nicht
Aber auch hier in Patagonien kommt es zu ungeplanten Ereignissen, da machen sich die Häftlinge, die vor dem Schiffbruch im Bauch des Schiffe gefangen waren, selbstständig und versuchen Diktatur, die nicht lange währt, und die Indianer werden schlicht ermordet. Das Schiff, Symbol für die Welt, die Gier, die uns alle in den Abgrund reißt; die Zeit und die Geschichte, die sich wiederholt... die Menschheit lernt aus Fehlern meist nicht. Da die Utopie der Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit seine Zeit der Umsetzung benötigt, hat auch das wunderbare Stück von der gefeierten Theatermacherin Ariane Mnouchkine, die ihren Platz mit mehr als zwanzig Schauspielern benötigt, seine Längen. In der letzten halben Stunde von 22.45 bis 23.15 Uhr sind schon manch einem Besucher die Augen zugefallen. Da die Messehalle Wien, Halle A, aber ausverkauft war, die Bänke somit eng besetzt, gab es für Anlehnung genug Möglichkeiten. Trotz der Länge gab es am Ende einen fast nicht endenden Applaus und Standing Ovations. (Text: Susanne Janowsky-Winkler; Fotos: Charles-Henri Bradier, Michèle Laurent)
Kurz-Infos:
Les Naufrages du Fol Espoir (Aurores)
Schiffbruch mit verrückter Hoffnung (Morgenröte)
Bewertung: @@@@1/2
Kritik zur Aufführung am 28.5.2012 bei den Wiener Festwochen
Kollektivproduktion des Théâtre du Soleil nach einem Roman von Jules Verne
Co-Autorin: Hélène Cixous
Regie: Ariane Mnouchkine
Musik: Jean-Jacques Lemêtre
Mit: Eve Doe-Bruce, Juliana Carneiro da Cunha, Astrid Grant, Olivia Corsini, Paula Giusti, Alice Millequant, Dominique Jambert, Pauline Poignand, Marjolaine Larranaga y Aubin, Judit Jancso, Aline Borsari, Frédérique Voruz, Shaghayegh Beheshti, Maurice Durozier, Duccio Bellugi-Vannuccini, Serge Nicolaï, Sébastien Brottet-Michel, Sylvain Jailloux, Andreas Limma, Seear Kohi, Armand Saribekyan, Vijayan Panikkaveettil, Samir Abdul Jabbar Saed, Vincent Mangado, Sébastien Bonneau, Maixence Bauduin, Jean-Sébastien Merle, Seietsu Onochi.