schrumpfenBarbara Herolds Regiearbeit "Ins Weite schrumpfen" von Katja Hensel ist ein großer Theaterabend als Augen- Ohren und Nachdenkschmaus im Kosmos Theater. Ein Abend, der uns mit dem Gedanken versöhnt, dass die Anzahl unserer grauen Zellen ja auch permanent schrumpft.

Verkümmern unsere Seelen im Überfluss? Geht das Wesentliche durch Tempo und Überflutung verloren? Das sind nur einige der Fragen, die der Text von Katja Hensel aufwirft. Und sie tut das mit Wortwitz und (leise, subtilem) Humor. Die Verkümmerung unserer Innenwelt, die wir durch unseren beschleunigten Alltag zu überwinden versuchen, setzt Hensel, die in Hamburg geboren wurde und über das Schauspiel zum Schreiben kam, mit dem Schrumpfen der Städte in unserem Mitteleuropa gleich. Eine pessimistische Aussage? Mitnichten, denn Hensel sieht in dem schrumpfenden Verlust die Chance auf einen Neubeginn. Dieses Schrumpfen bietet die Möglichkeit einer Rückbesinnung auf das eigentliche durch die 'Entschleunigung' des Lebens. Die Leerräume begreift sie als kreatives Potenzial.

Stammbuch-Satz für alle erfolgreichen politischen (Auf)Hetzer

Städteplaner haben sich in den letzten Jahren auch dazu entschlossen, die Brache zuzulassen und sie nicht einem bestimmten Zweck zu widmen. Gerade in Wien sind einige 'Städtedschungel' entstanden. Der Abend hat aber noch eine sehr aktuelle politische Aussage: die Identität ist nicht an den äußeren Raum gebunden, sondern viel mehr an unsere Identität, an unsere Innenwelt mit all ihren Erfahrungen und Erinnerungen. Ein Satz, den sich alle momentan erfolgreichen politischen (Auf)Hetzer ins Stammbuch schreiben sollten. Wie sind aber alle diese Ideen in ein Theaterstück verarbeitet worden? Robert, der als Reiseredakteur arbeitet, hat ein Problem mit der Schnelllebigkeit unserer Zeit. Er widmet sich einem neuen Thema, nämlich der urbanen Wüste. Seine Freundin Anka plant ihre Hochzeit und will alle seine alten Kleidungsstücke entsorgen. Tatsächlich heiratet sie auch, aber den Austauschstudenten Igor, dem sie damit ein besseres Leben bescheren möchte.

Neubeginn in der stetig schrumpfenden eigenen Wüste

Robert begibt sich auf eine äußere Reise, die in sein Inneres führt. Dabei trifft er auf Vivi, die im Fitnessstudio arbeitet und die Stadt zum Kotzen findet, auf Herrn und Frau Montag, die in einer verlassenen Siedlung am Stadtrand leben, um dann in ein Shopping Center zu ziehen, auf seinen Bruder Klaas, der Robert aufzeigt, wie asozial er sich seiner Familie gegenüber verhält und letztlich auf Daniele, die von ihm ein Kind erwartet und die sich gegen eine Beziehung, aber für das Baby entscheidet. Zuletzt bleibt Robert in seiner eigenen Wüste, einem Dorf, das stetig schrumpft, umgeben von wilden Pflanzen und in dem er einen Neubeginn sieht.

Räumliche Brache vs. Dynamik des Alltags

Barbara Herold, die unter anderem am Münchner Volkstheater, am Landestheater für Vorarlberg und am Westfälischen Landestheater ihre Erfolge feierte, führt ein großartiges Schauspielensemble klar in der Erschaffung verschiedener Charaktere und sprachlich exakt, vertraut der sprachlichen Qualität des Textes, der in keiner Sekunde etwas Artifizielles hat. Geschickt variiert Herold das Tempo, lässt Raum, dem Gesagten nachzuspüren in dieser Inszenierung, die auch optisch glänzen kann. Zu verdanken ist dies Ursula N. Müllers Bühnenbild, das räumliche Brache genauso darstellt wie unsere Dynamik des Alltags und das alles durch den Einsatz von rollbarem Mobiliar, das stylisch nüchtern anmutet. Die witzigen Projektionen und animierten Visuals von Marc Altmann unterstützen die Optik dieser Produktion noch. Ein großes Lob gilt auch der Lichtsetzung, die unaufdringlich die verschiedenen Räumlichkeiten unterstützt.

Ein Held der leisen Töne

Barbara Herold kann bei den Schauspielern aus dem Vollen schöpfen: Martin Schwanda ist als Robert ein Held der leisen Töne, der seine innere resignative Haltung perfekt nach Außen kehren kann. Maria Fliri variiert als seine Freundin Anka kongenial die Emotionen und Stimmungen in einer atemberaubenden Akkuratesse und Präzision. Peter Bocek, der gleich in vier verschiedenen Rollen zu sehen ist, läuft in keiner Sekunde Gefahr, die Charakterzeichnung zu übertreiben und schafft es nur durch Haltungsänderungen nuancierte Figuren zu erschaffen. Ingrid Lang, die ebenfalls vier Figuren kreiiert, tut dies ebenfalls nie auf Kosten einer inneren Vielschichtigkeit der Charaktere. Kurzum: Das gesamte Ensemble lässt keine Wünsche offen. (Text: Marius Schiener; Fotos: Bettina Frenzel)

schrumpfen2Kurz-Infos:
Ins Weite schrumpfen
Bewertung: @
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Regie: Barbara Herold

Buch: Katja Hensel
Kosmos Theater