hass_05_tavakoli_wagnerDie Wiener Festwochen warten mit einer Adaption des französischen Filmklassikers "Hass" von Mathieu Kassovitz auf. Hervorragend umgesetzt, wird das alte Gaswerk Leopoldau in vielen Perspektiven bespielt und zeigt auf, wie es ist, wenn man in einer Umgebung aufwächst, in der Respekt keine Rolle spielt und der Hass regiert.

Im Zentrum steht eine kleine Geschichte von einem Mann, der von einem Hochhaus stürzt. Während des Falls sagt er zu sich selbst: "Bis hierher lief noch alles gut. Bis hierher lief noch alles gut." Aber das Wichtige ist nicht der Fall, sondern die Landung.

"Hass" ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Die Landung ist die absolute Eskalation.

Geschildert wird ein Tag im Leben von drei Jugendlichen. David, Daniel und Kamil. Ihr Kumpel Sergeij wird von der Polizei so stark verletzt, dass er im Koma liegt. Fortan herrscht Krieg zwischen der Exekutive und den Bewohnern des Viertels. Die Polizisten wollen mit Gewalt und Festnahmen versuchen die Aufständischen unter Kontrolle zu bringen. Doch der Hass bei den Bewohnern ist groß. Gewachsen in vielen Jahren, in denen sie auf dem Abstellgleis gelandet und geblieben sind. In denen sich kein Politiker für sie interessiert hat und die Öffentlichkeit keine Ahnung hatte wie es in ihrer Welt aussieht.

Nun ist die Chance da! Nun wird der Spieß umgedreht. Die Öffentlichkeit lenkt das Interesse auf die Geschehnisse.

hass_04_skinheadsDie drei Protagonisten David, Daniel und Kamil leben in diesem so genannten Problembezirk. Treffen sich, rauchen Joints, schreien sich gegenseitig an, gehen sich auf die Nerven und haben den Glauben an so vieles verloren. Doch dann fängt die Bombe praktisch an zu ticken. Kamil findet die Waffe, die ein Polizist im Viertel verloren hat. Er hat sich in den Kopf gesetzt, dass er einen Polizisten töten wird, wenn Sergeij stirbt, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. David erkennt die Gefahr und redet immer wieder auf ihn ein, um ihn von seinem Plan abzubringen. Und dann geschieht das, wovor sich jeder gefürchtet hat. Sergeij erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen. Doch David hat es geschafft Kamil zu beschwichtigen. Er übergibt David die Waffe. Kurz darauf wird Kamil von einem Polizisten brutal festgenommen. Er wird bedroht, der Polizist zieht seine Pistole und versehentlich löst sich ein, für Kamil, tödlicher Schuss. Daraufhin stehen sich dann der Polizist und David mit gezogenen Waffen gegenüber. Wird einer der beiden schießen?

Mit diesem offenen Ende wird man aus dem Stück entlassen. Eindrucksvoll umgesetzt hat Regisseur Volker Schmidt den Filmplot mit seinen Schauspielern. Hervorragend ist auch der Spielort ausgewählt. Auf dem Gelände der alten Erdgasanlage werden die Zuseher herumgeführt und folgen den Schauspielern auf ihrem Weg durch die Geschichte. Besonders beeindruckend die Szenerie, die während der Pause bespielt wird. In einer Halle wird man Zeuge einer Breakdanceparty. Hip Hop wird getanzt und es wird gerappt. Dann plötzlich eine Störung. Die Party wird von Polizisten mit Schlagstöcken und Helmen gestürmt. Doch dann wird eine Art zweite Zeitebene eingebaut. In dieser Utopie laufen die Uhren etwas langsamer. Ein Polizist tritt aus der Masse heraus, legt Helm und Schlagstock ab und tritt in einen Breakdancebattle mit einem der Jugendlichen. Hier wird sich ohne Einsatz von Gewalt auf einer Ebene gemessen. Fair und mit Respekt. Doch nach ein paar Minuten zerplatzt diese Utopie und die Polizei nimmt jeden fest, den sie unter Kontrolle bringen kann.

"Hass" ist ein außergewöhnliches Theatererlebnis. Die Produktion versteht es die kargen Flächen und Räume der stillgelegten Anlage voll auszunutzen und verschiedene Stimmungen und Perspektiven zu transportieren. Die Darsteller lassen trotz der Verschlossenheit ihrer Charaktere einen tiefen Blick auf deren Situation zu. Und die zentrale Frage bleibt. Die Gesellschaft fällt. Bis hierher läuft noch alles gut, aber das wichtige ist nicht der Fall, sondern die Landung. Um die Landung zu verhindern, darf man sich den Fall nicht schön reden. Der Fall muss aufgehalten und nicht verschleiert werden. (Text: Katja Kramp; Fotos: Theresa Rauter)

Kurz-Infos:
"Hass" nach dem gleichnamigen Film von Mathieu Kassovitz
Bewertung: @@@@@
Eine Produktion der new space company im Rahmen der Wiener Festwochen 2010
Treffpunkt brut im Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien

Regie: Volker Schmidt
Kostüme:
Anna Sonner
Technische Leitung:
Dieter Gebetsberger
Bühne, Graphische Gestaltung:
Emanuel Jesse

Es spielen: Karim Cherif, Daniel Wagner, David Wurawa, Tamas Ferkay, Miriam Jansen, Marcel Mohab, Morteza Tavakoli, Ivana Nikolic, Karim Rahoma, Firuz Akhmedov, Piotr Znajkowski, Bernhard von Zweydorff, Moditaba Behbodi, Mostafa Behbodi, Elias Buttinger, Cheng Deng, Naima Mazic, Robin Stowasser.