lorenzaccio-burgtheaterWir schreiben das Jahr 1537 und befinden uns in Florenz: Es regiert der Herzog Alessandro de Medici, der sich mehr für seinen ausschweifenden Lebensstil interessiert, als die Politik. Statt zu murren, gleichgültige Beteiligung der Bevölkerung. Die Stadt versinkt im Chaos. Wir schreiben das Jahr 2009 und befinden uns in Wien: Es regiert der Wissenschaftsminister Johannes Hahn, der sich weder für Ausschweifung noch für Politik interessiert. Die Studenten protestieren auch im Burgtheater. Für manchen Bürger eine unbequeme Störung des Betriebs.

Stefan Bachmanns Inszenierung von Alfred de Mussets "Lorenzaccio" verführt in den Wohlfühlabgrund: Ein güldener Guckkasten, der Boden mit Erde bedeckt, ein überlanges Sofa als einziges Möbelstück: das fleischliche Vergnügen steht im Vordergrund. Mädchen sind schließlich dazu da, dass ein Mann mit ihnen schlafen kann. Am Hof des Fürsten traben als Pferde maskierte Damen und Herren in schwarzer Wäsche. Alessandro selbst belastet sich auch nicht allzu sehr mit Kleidung. Die Kirche sieht zu. Das Volk beteiligt sich, wo es geht. Kritische Mäuler werden mit Geld gestopft. Einzig die Republikaner wollen aufbegehren, sind aber zu blöde und planlos. Was man von Lorenzaccio nicht behaupten kann.

lorenzaccio01In der Rolle des Fürsten räkelt sich Seine Stattlichkeit Nicholas Ofczarek. An seiner Seite windet sich als sein engster Vertrauter Lorenzaccio Michael Maertens in Höchstform zwischen Ausschweifung, Ekel und Verschwörung. Melanie Kretschmann verleiht der schönen, emanzipierten Marchesa anmutige, energische Kraft. Daniel Jesch zeigt als rassiger Lustknabe in Stiefeln, Fechthandschuh und Degen, alles was sein Luxuskörper zu bieten hat, und verwandelt sich wenige Augenblicke später wieder in den schüchternen, nicht allzu hellen Leo Strozzi. Sein Vater Filippo (Martin Schwab) ist als Anführer der Republikaner der erklärte Gegenspieler des Fürsten. Dessen  hitziger anderer Sohn Pietro (Jörg Ratjen) bringt sich durch unüberlegtes Handeln kurzfristig selbst ins Gefängnis. Das zweite Sorgenkind ist Luisa. Deren Kleider darf sich Gerrit Jansen überziehen, ehe er wieder als armer Tropf in gelben Strumpfhosen für das wachsame Auge der Kirche - den Kardinal (Sebastian Blomberg) - spionieren muss. Silvia Fenz bleibt in allen Rollen etwas hölzern. Unauffällig huscht Mavie Hörbiger durch ihre Szenen.

Politische Desillusionierung und persönlicher Utopieverlust

Im großen Zwiegespräch von Strozzi und Lorenzo legt letzterer seine Beweggründe offen. Wie er zum Lebemann wurde, dem sein Dasein gefällt und davor ekelt zugleich. Von politischer Desillusionierung und persönlichem Utopieverlust ist da die Rede. Der Tyrannenmord war sein Ziel und ist sein einziger Strohhalm geblieben, um nicht völlig in den Abgrund zu rutschen. Die Vorbereitungen dafür sind auch schon getroffen. Ob sich dadurch etwas ändert? Er wettet mit Strozzi, dass eine Neuordnung nicht möglich ist, weil das Volk zu gleichgültig bleibt. Dann hat das Stück Pause.

Kurzfristig beansprucht die Realität die Bühne: Ein Teil der Studenten, die seit Tagen das Audimax der Universität Wien besetzt haben, ist gekommen um ihren Protesten Gehör zu verschaffen. Auf dem Transparent prangt das Brecht-Zitat: "Schwierigkeiten werden nicht dadurch überwunden, dass sie verschwiegen werden." Damit sich kein Bürger ängstigen muss, ist die allererste Botschaft: "Keine Sorge, wir gehen in ein paar Minuten wieder." Trotzdem haben viele im Publikum anscheinend ein Problem damit, nicht mehr fein abstrahierte, historische Missstände zu sehen, sondern womöglich den eigenen Denkapparat anwerfen zu müssen.

Wessen Theater? - Unser Theater.
Wessen Uni? - Unsere Uni.
Wessen Bildung? - Unsere Bildung.
Wessen Zukunft? - Unsere Zukunft.

Das Theater als Ort, an dem jeder einmal was sagen darf. Zumal die Saisonvorschau darauf verweist, dass hier die Gedanken der Menschen aufgesogen werden. Derjenigen mit der lautesten Stimme gelingt es dann auch über die Buhrufe hinweg die Forderungen der Studierenden vorzubringen (Nachzulesen HIER ). Es regnet Flugblätter von der Galerie und dann verlassen die Studenten unter Applaus und Gezeter wieder geordnet den Saal.

Liebe Familie, ich finde es bewundernswert, dass junge Leute heute hier zusammenkommen um für berechtigte Anliegen zu kämpfen. Aber, ich habe euch heute hier zusammengerufen, weil ich eure Hilfe brauche...

lorenzaccio02Das Stück geht weiter. Die Republikaner haben sich versammelt. Martin Schwab findet ruhig und überlegt die richtigen Worte für die Überleitung. Szenenapplaus. Seine Ansprache ist noch nicht einmal zu Ende, da kippt seine Tochter Luisa vergiftet vom Sofa. Damit hat Strozzi genug. Ein Sohn ist schon im Gefängnis. Um nicht alle sterben zu sehen, geht er fort. Die Revolte bleibt damit auf der Strecke.

Es bleibt an Lorenzaccio seinen Plan auszuführen, um etwas an den herrschenden Verhältnissen zu ändern. Er versucht dem Volk klar zu machen, was er tun wird. Keiner nimmt ihn ernst. Also malt er sich aus (und dabei das Sofa an), wie es sein wird den Herzog umzubringen. Es geht dann leichter, als gedacht. Alessandro ist beseitigt. Auf Lorenzo wird Kopfgeld ausgesetzt. Das sichert sich sein Liebhaber. Unruhen brechen aus. Keiner ist da, der handelt. Und so macht die Kirche einen ihr gefügigen Medici, den armen Tropf, zum neuen Fürsten. Für Florenz hat Lorenzaccio seine Wette gewonnen. Wie sieht es mit den österreichischen Universitäten aus? (Christine Koblitz; Fotos: Burgtheater; C. Koblitz)

Kurz-Infos:
Lorenzaccio von Alfred de Musset
Bewertung: @@@@1/2
Burgtheater Wien (November 2009)
Regie: Stefan Bachmann
Ausstattung: Johannes Schütz
Musik: Felix Huber
Licht: Friedrich Rom
Dramaturgie: Barbara Sommer

Mit:
Silvia Fenz
Mavie Hörbiger
Melanie Kretschmann
Sebastian Blomberg
Gerrit Jansen
Daniel Jesch
Michael Maertens
Nicholas Ofczarek
Jörg Ratjen
Martin Schwab