...wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein und trug den Korb in eine Kammer des Schlosses. Sie hatte wohl siebentausend solcher Körbe mit so raren Vögeln im Schlosse...(*)
Die grausigen und wie Zucker schädlichen Märchen der Gebrüder Grimm stehen im Rabenhof Theater am Spielplan und im Mittelpunkt dessen Jakob und Wilhelm, die sich der Anklage zu wehren haben, und den pseudoseriösen Versuch starten sich zu erklären.
Die künstlerische Leiterin Dana Csapo von Theater Kinetis setzt dabei den Fokus auf einen vordergründig brachialen Humor mit langem Abgang. Um zu kapieren, was im Stück abläuft, sollten in erster Linie die Originalausgaben der Märchen bekannt sein, die im Vergleich zu der glatt gestrichenen Kinderausgabe eine wüste Irrfahrt ist. Die Ausgangslage, also die Zeit, in der diese Märchen erstmals veröffentlicht wurden, Beginn des 19. Jahrhunderts, in dem Dichter und Schriftsteller versuchten den Alltag mit einem Schuss Romantik zu bewältigen, sollte bei der Lektüre dieser Märchen ebenso in Betracht gezogen werden. Die Brüder Grimm träumten sich offenbar ins Mittelalter zurück, suchten in den Märchen nach der Seele ihres Volkes und in Bibliotheken nach Handschriften aus dem Mittelalter, zum Beispiel nach Texten von Wolfram von Eschenbach oder Gottfried von Straßburg. Es waren politisch unsichere Zeiten [aber, bitte schön, wann ist eine Zeit jemals vor Politik sicher?; Anm.], und die Sammlung sollte eine Brücke in die Vergangenheit sein. Es ging weniger darum, die Märchen museal aufzubereiten, sondern vielmehr darum, eine lebendige und "reine Volks-Poesie" zu schaffen und zu bewahren. In letzter Instanz wurden die Brüder Grimm denn auch die Begründer der Germanistik und Herausgeber des ersten "Deutschen Wörterbuches". "Wie nennen wir's denn? Erden, Sieden, Duden." "Ich weiß nicht. Was meinst du denn?"
Die schönsten Morde der Gebrüder Grimm
...Da rief sie einen Jäger und sprach: "Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will's nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen." (**) Jakob und Wilhelm Grimm, dargestellt von Jens Claßen und Holger Schober, sowie deren Anwältin, dargestellt von Barbara Horvath, bringen mit ihrer Darbietung schauspielerische Glanzleistungen in den Rabenhof, kalauern sich mit Kalkül durch die wenig komischen Märchenphrasen, zitieren auch mal ganz kurz einen Otto Waalkes, headbangen sich durch die Grimm'sche Seele, wollen als Brüder Grimm zurechtrücken, was sie nicht zurechtrücken können, wollen als Anwältin und Opfer Antworten finden, wo es keine Antworten geben kann, punkten mit siedendheißen Wortspielereien und bringen auch den Antisemitismus von Grimms Märchen "Der Jude im Dorn" zur Sprache und generell den Grimm'schen Einfluss auf den Nationalsozialismus: "...Du hast die Leute genug geschunden, nun soll dir's die Dornhecke nicht besser machen, und fing von neuem an zu geigen, dass der Jude immer höher aufspringen musste und die Fetzen von seinem Rock an den Stacheln hängen blieben..." (***) Um diesen tödlichen Einfluss zu verdeutlichen, sei hier noch André Hellers "Mein Freund Schnuckenack" zitiert: "Mein Freund Schnuckenack, der Zigeuner,/sagt: Ich mach dir eine Phantasie./Und dann zeigt er mir sein rechtes Bein,/ganz aus Leder bis unter das Knie./Das geschah ihm in Mauthausen,/war ein Unfall der SS, zwischen Schüssen/musst er tanzen, und sie riefen: So ist Jazz!". Der Humor in "Grimm's Killers", wie bereits erwähnt, ist vordergründig ein brachialer, der mit der Brechstange gebogen werden möchte. Darunter allerdings verbirgt sich ein schwarzer Humor, Seengroß, keineswegs seicht, vielmehr tief genug, um das Stück lange in bester Erinnerung zu behalten. (Manfred Horak)
(*) aus: Jorinde und Joringel
(**) aus: Sneewittchen
(***) aus: Der Jude im Dorn
Link-Tipp:
www.rabenhof.at