Ein niederösterreichischer Germanistiklektor findet in einer Buchhandlung in Sarajevo das Drama eines niederösterreichischen Autors über den Krieg in Bosnien, das in einem Kärntner slowenischen Verlag erschienen ist, und beschließt es mit seiner bosnischen Theatergruppe, bestehend aus seinen Studentinnen, in deutscher Sprache vor Ort aufzuführen.
Das hört sich wie der Beginn eines Märchens an. Wie real dieses Märchen ist, davon kann sich ein österreichsches Publikum in der Woche von 17. bis 21. Mai überzeugen, wenn die Theatergruppe ARS VIVENDI aus der Industriestadt Tuzla durch Österreich tourt. Oskar Terš, Germanistiklektor an der Filozofski Fakultet von Tuzla, hat im Jahr 2003 mit großem Engagement einige seiner Studenten und Studentinnen zum Theaterensemble "Ars Vivendi" zusammengeschmiedet. Das Stück "Haus.Frauen.Sex" von Margit Schreiner wurde mit großem Erfolg in Tuzla und Novi Sad aufgeführt. Im Oktober 2004 erfolgte in Tuzla dann die Welturaufführung von "Freitag in Sarajevo".
Im Jahr 2003 erschien im Drava Verlag die mit Originalzitaten angehäufte Tragikomödie des Autors und Festivalleiters von Balkan Fever. Die Handlung in knappen Worten: Die Protagonistin Fiona Freitag (aka die mittlerweile verstorbene Susan Sontag) bringt während der Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo Becketts "Warten auf Godot" auf die Bühne. Ein französischer Philosoph im Kampfanzug erschießt aus Versehen den Hauptdarsteller der geplanten Inszenierung und muss zur Strafe dessen Rolle übernehmen.
Soweit die Kürzestzusammenfassung von "Freitag in Sarajevo", der wahnwitzigen Realsatire über die Kulturschickeria. Die Dialoge und Monologe vermengen sich wie bereits erwähnt aus Originalzitaten und Fiktion, wobei Schuberth im Gegensatz zu z.B. "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus die Originalzitate kenntlich macht und die Quelle als Fußnote versieht. Die vier Hauptcharaktere - neben Fiona Freitag sind dies Jean-Pierre Léaud (der nichts mit dem gleichnamigen Schauspieler zu tun hat, sondern vielmehr mit dem französischen Philosophen Henri-Bernard Lévy), Hanuman Knülch von der "Deutschen Gesellschaft für liebreizende Völker in der Bredouille" (der in Ansätzen Tilman Zülch von der "Deutschen Gesellschaft für Bedrohte Völker" entspricht), sowie Tahir Tahirovic (der, laut Schuberth, niemandem gleicht und leider auch niemand ihm gleichen dürfte) - bekommen dabei ein sehr starkes Gesicht. Schuberth liefert in herrlich schnoddriger Sprache und mit viel Gefühl zum Detail absurd-witzige Wortkaskaden in schauriger Szenerie, die Lacher und das Kopfschütteln sind dem Leser sicher - die Wiederfindung im Stück vielleicht auch.
Richard Schuberth schrieb in einem Essay über sein Stück und über die erstmalige Umsetzung als Bühnenfassung in Bosnien in der Tageszeitung "Die Presse":
"So kehrte die Tragikomödie dorthin zurück, wo sie hingehörte, nach Bosnien, dort würde das Thema immer ziehen. Und die ökonomischen Bedenken fielen gleichfalls weg, denn die GermanistikstudentInnen von ‚Ars Vivendi' hatten keine anderen Beweggründe als das blanke Engagement und die Hoffnung, ihre Heimat für Gastspiele in Serbien, Österreich, Ungarn und Lettland zumindest kurzzeitig verlassen zu können. Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass meinem Stück nichts Besseres passieren konnte." Das bosnische Publikum nahm die Inszenierung, in der auch Richard Schuberth eine kleine Rolle als paramilitärischer Kommandant übernahm, begeistert auf. Gerne schienen die Zuseher über sich sowie über die westlichen Interventionisten, die in ihrem Land so viel missverstanden hatten, zu lachen.
Und, zu guter letzt, denn dies sollte man auch noch wissen: Die meisten Figuren unterzogen sich einer "Geschlechtsumwandlung". In seiner Inszenierung wird der Krieg von Söldnerinnen und Generalinnen geführt, ein ironischer Effekt, der sich letztlich als Himmelsgeschenk erweisen wird. (Manfred Horak)
Freitag in Sarajevo
von Richard Schuberth
Eine Tragikomödie
Regie: Oskar Terš
Dramaturgie: Raphael Protiwensky-Schenk
HauptdarstellerInnen: Ðana Tufekcic ,Mirsad Smailovic, Eldar Husic und Dina Dindo
18. Mai 2005: Sargfabrik, Wien (20 Uhr)
19. Mai 2005 KUGA, Großwarasdorf (20 Uhr)
20. Mai 2005: Ehem. Forumkino, St. Pölten (20 Uhr)
21. Mai 2005: Stockwerk, Graz (21 Uhr)