mit den Schlagworten:
berntzen_julian_teaser

An drei langen und sehr gut besuchten Abenden im Porgy & Bess kam ausnahmsweise kein Jazz zu Gehör sondern zeitgenössisches Liedgut aus der europäischen und amerikanischen Songwritingszene. Der Mix war ein sehr guter, wenn auch so manche Bands (an der Vorlage? An sich?) gescheitert sind. Neue Erkenntnisse wurden dabei ebenfalls gewonnen - so z.B., dass das Lied noch lange nicht am Ende angekommen ist und dass sich die Liedermacherszene zum Teil bis zur Unkenntlichkeit weiterentwickelte. Von Manfred Horak.

Hello Scandinavia

hello_goodbye Als die junge österreichische Liedermacherin Agnes Milewski sich um ca. 2.15 Uhr vom Klavierstuhl erhob wirkte das bis dahin zahlreich ausharrende Publikum doch schon etwas übermüdet, aber irgendwie auch glücklich, dies, weil das Festival zwischen 23. und 25. November 2006 wenn schon nicht alle so doch sehr viele Erwartungen erfüllte. Was (rein subjektiv betrachtet) auffiel war die Steigerung von Abend zu Abend. War der erste Abend der schwächste, gab es bereits am zweiten Abend eine deutliche Steigerung, kulminierend am (gesamt betrachtet) besten Abend am dritten Festivaltag. Somit gleich mal rein in den chronologischen Ablauf: Erschreckend schwach, mehr noch, fehl am Platz die erste Band am ersten Abend, Hello Goodbye. Angekündigt als „verspielter, aber nie oberflächlicher Lo-Fi-Indiepop, die Songs meist unter der Drei-Minuten-Grenze“, bei dem Popharmonien auf Surfsound prallen sollten, kam die norwegisch-schwedische Formation rund um Lisa Lundkvist und Frode Fivel wie eine dilettantische Parodie auf The B-52’s in ihrer schwächsten Karrierephase daher, die dabei gleichzeitig versuchten auch die 1950er Jahre (Eddie Cochran!) bzw. die sehr frühen The Beatles unterzubringen. Die Texte? Vergesst es. Höre Smöre Wencke Möhre kann man da nur sagen. Good bye.

Hohe Melodienquote

broken_beats1broken_beats2 „Aber hallo!“ rief man dafür umso erfreuter, erstaunter und glücklicher aus, nachdem die dänischen Broken Beats ihr erstes Lied absolvierten. Die Band um Kim Munk legte ein hinreißendes Set hin, geschmückt mit vielen Verbeugungen vor der Musikgeschichte und vor allem mit einer ordentlichen Tracht Individualismus und eigener Handschrift. Broken Beats kamen dem schon verdammt nahe, was man sich unter sehr guter zeitgenössischer Liedermacherkunst vorstellt und man kann nur hoffen, dass diese Band mal groß raus kommt – oder zumindest wieder mal nach Österreich. Warum? Die Band arbeitet mit Elan an einer gültigen Verbindung von Wahnsinn und Harmonie, Kratzbürstigkeit und relevanten Texten, und tatsächlich gelingt ihnen das meiste ohne großartig mit der Wimper zucken zu müssen. Hinzu kommt neben der hohen erfrischenden Melodienquote ein formidables Geschichtenerzählertum, wie es in dieser Qualität leider nur noch allzu selten vorkommt mit Liedtexten, die sich vor Niemanden scheuen brauchen, auch nicht vor den Größten des Liedermacherolymps. Sensationell. Nicht mehr. Und schon gar nicht weniger.

Mit dem Paragleiter über die Fjorde

berntzen_julian1berntzen_julian2 Der nächste, Julian Berntzen aus Norwegen, nahm am Klavierstuhl Platz und hielt Broken Beats ein Streichquartett entgegen. Es war also ein sich deutlich abhebender Live-Auftritt im Vergleich zu den beiden Vorgängerbands, da Berntzen mitunter die Stille suchte und dort, explizit, in den Liedermachertopf eintauchte und als verträumter Ebenso wieder auftauchte. Er stöberte in bekannten Quellen – von den Liverpooler Fab Four bis zum kanadischen Cohen und mit Umwegen wieder retour – und schuf eine angenehme Stimmung. Vielleicht sogar ein wenig zu angenehm. Gut, aber nicht essenziell.
ai_phoenix1ai_phoenix2ai_phoenix3

 

 

 

 

 

 


Freakiger ging es da schon mit der norwegischen Partie Ai Phoenix zu, die irgendwo zwischen beständiger Fragilität und sich langsam aufbauenden Klangtürmen bewegen, stets auf der Suche nach jenem Schalter, mit dem man die Zeit anhalten kann. Diese Band ist (im Vergleich zu allen vorhin genannten) am nächsten dran, zu beweisen, dass es auch im Singer-/Songwriter-Bereich einen eigenständigen „skandinavischen“ Sound gibt – und nicht nur im Jazz, wobei mit ähnlichen subtilen Mitteln gehandwerkt wird wie im improvisierten Musikbereich, also mit riesigen Klangflächen, die mal gemächlich, mal stürmischer, wie ein Paragleiter über die Fjorde gleiten und nur ab und zu bei einer abgelegenen Holzhütte landen, um dort wieder zurück in die vertraute Liedstruktur zu finden.

Wo ist der nächste Copy-Shop?

 Tag 2 war nur Dank Sandy Dillon der bessere Blue Bird-Abend. Dies gleich mal vorweg. Wie bereits am ersten Abend ging auch der zweite Abend mit einem deutlichen Fehlstart los. Der österreichische Sänger und Gitarrist Fabian Patzak (falls Ihnen der Name bekannt vorkommen sollte: Sein Vater ist Filmregisseur) huldigte dem großen Townes Van Zandt – was ja an und für sich nicht schlecht ist. Nur, dass Fabian Patzak sich dabei leider zu häufig im Cosotvr_by_rainer_rygalykpy-Shop aufhielt, und zumindest ich halte so etwas überhaupt nicht aus. So stellte sich mir unentwegt (während F.P. spielte) die Frage „Wozu?“ Vielleicht, weil zu wenige Menschen das gigantische Werk von Townes Van Zandt kennen (wie man leider auch bei der Viennale 2006 mit Erschrecken feststellen musste)? Für mich war das zu wenig. Von Eigenständigkeit jedenfalls war er „Some Hundred Million Miles“ entfernt. Dem folgte dafür mit dem Steiermärker Georg Altziebler, dessen Band auf den merkwürdigen Namen Son of the Velvet Rat hört, jemand, der bereits seine eigene Handschrift im Songwriting entwickelte. Viel mehr braucht man über ihn an dieser Stelle auch gar nicht schreiben, denn man wird sicherlich noch einiges über ihn auf Kulturwoche.at lesen können.

Loop me, Baby, loop me!

Die wohl größte Enttäuschung des gesamten Festivals fand Platz zwischen Son of a Velvet Rat und Sandy Dillon, die wiederum so ziemlich das beste Konzert des Festivals, zumindest aber ein sehr Aufsehen erregendes Konzert spielte, und hört auf den Namen Ed Harcourt. Perfektion ist harcourt_edsein zweiter Name und genau diese Perfektion ist zum Gähnen langweilig. Keine Überraschungen, auch nicht ansatzweise – trotz oder wegen seiner Loop-Versuche (die man, by the way, im Jazzbereich, z.B. von Wolfgang Muthspiel, um Eckhäuser aufregender zu hören bekommt) – und trotz oder wegen dieser technischen Firlefanzen nicht überdecken konnte, was ihm bei aller Perfektion und technischem Können fehlt: Songs, die man sich merkt und Texte, bei denen man aufhorcht.

Bluesmutationen einer spindeldürren Sängerin

Ein ganz anderes Kaliber ist da schon Sandy Dillon, wie bereits erwähnt, der einsame Höhepunkt des zweiten Abends und vermutlich auch der Höhepunkt des gesamten Festivals (Ed Harcourt war übrigens ebenfalls in ihrem Set zu hören, als Sideman, und da gefiel er mir schon weitaus besser). Die spindeldürre Sängerin mit der rohen Stimme brachte ihre Bluesmutationen zum Besten und präsentierte etliche Lieder aus ihdillon_sandy_pullthestringsrem neuen Album „Pull the Strings“. Das war ein Live-Set zum Angreifen, da brodelte die Energie wie nur was und da blies einem eine Authentizität mitten ins Gesicht, das man sich nichts Anderes wünschte als jene hochenergetische Musik zu hören. So laut wie nur möglich. Eines meiner Lieblingsalben von Tom Waits ist „Heartattack & Vine“ aus dem Jahr 1980, und die Energie des Titelstücks ist auch eine Energie, die in Sandy Dillon inne wohnt. Und eins ist schon auch klar: Man liebt ihre Musik oder man hasst sie. Dazwischen gibt es wohl nichts, und so war zwar die Zuneigung des Publikums in der Überzahl, so manche aber zweifelten daran, soeben essenzielles zu hören und verzichteten auf den Rest. Der „Rest“ war Punk, Blues, Hootenanny, Improvisationen und Balladen. Ein Meer voller Tränen, Übermut, Wankelhaftigkeit, Überzeugung, Wut, und weiß der Teufel was sonst noch alles (ach ja, Gospel a la Dillon auch). Über allem stand die Macht ihrer Lieder. Eine verzweifelte Macht, die Sehnsucht und Würde sucht und atmet. Ein organisiertes Chaos. „Heartattack & Vine“ war einmal. Jetzt ist „Pull the Strings“ von Sandy Dillon.

Die Kompaktheit des dritten Abends

Was sollte da noch groß nachkommen? Soll ich überhaupt hingehen? Ja, natürlich. Wenn schon, denn schon. So viel Zeit muss sein. Und siehe da: der dritte Abend gefiel mir am kompaktesten, am meisten gelungen. Erstens, weil kein Ausfall war, zweitens, weil das Ganze in sich sehr stimmig ruhte. Ich stellte mir während des Festivals sehr oft die Frage, was die (gerade gehörte) smith_daniel_adam1Band denn noch mit klassischem Singer-/Songwriting zu tun hat, egal ob sie mir nun gefiel oder nicht. Umso weniger fragwürdig gestaltete sich sehr zu meiner Freude das Eröffnungskonzert von Blue Bird 2006, am dritten Abend, nämlich mit Daniel Adam Smith. Seit einigen Jahren lebt der sehr sympathische Amerikaner in Wien und veröffentlichte im September 2006 sein formidables Debütalbum "Saltwater Days" beim Label Buntspecht. Was seine zum Großteil sehr gelungenen Lieder auszeichnet hört auf die Begriffe Melodie und Harmonie und man merkt seinen Songs auch sofort an, dass ihm die Texte ebenso wichtig sind. Und, bitte schön: Was will man von einem Liedermacher mehr erwarten?  Mehr über Daniel Adam Smith folgt in Kürze auf Kulturwoche.at.

Richtig klassisch. Klassisch gut.

Gänzlich eingedrungen ins klassische Liedermachertum ist das Festival mit dem Auftritt von Stuart Moxham & Louis Philippe, einem ungleichen Gespann britischer und französischer Herkunft, das dennoch zueinander fand. Die zwei Sänger und Gitarristen wurden von einem Kontrabassisten, der bisweilen auch am Flügel spielte, begleitet (und der außerdem so manche Harmoniestörungen des Duos zu übertünchen wusste) und spielten zwei Sets. Louis, äh – who? „Louis Philippe ist eins der bestgehüteten Geheimnisse der Musikwelt“, schrieb vor einigen Jahren das Plattensammler-Magazin „Record Collector“, ein Musiker, der vielleicht irgendwann philippe_louis1einmal in Perfektion untergehen wird, und auch am Blue Bird-Abend diesen Drang auslebte und dabei vorführte, wie viel Perfektion sein darf. Dort, wo die Perfektion ein wenig ermattete (was aber nur selten vorkam), war Louis Philippe nicht nur gemeinsam mit dem Kontrabassisten/Pianisten am Werk, sondern auch sein Duettpartner Stuart Moxham, der einstige Mastermind von Young Marble Giants. In manchen Momenten hörte man durchaus, dass sie anscheinend nur selten live zusammen spielen (zumindest aus diesem Programm, das eine Vorschau auf ihr gemeinsames Album präsentierte). Moxham ist sicherlich derjenige von beiden, der weniger gewöhnungsbedürftig ist, aber auch jener, dessen Lieder im Laufe des Konzerts ein wenig an Spannung verloren. Der Franzose hingegen – superb! Allerfeinste Sahne, was er da vom Stapel ließ – Lieder aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts ebenso wie französische Chansons und ein Lied von Brian Wilson, aber natürlich auch Eigenmaterial. Einigen im Publikum (so mein dringender Verdacht) war das zu schlicht und zu altertümlich, viele wurden davon allerdings richtiggehend beseelt. Belüftet. Richtig klassisch. Klassisch gut.

Die lange Nacht der Popmusik

syd_matters_cd_cover Aus Frankreich kam auch Syd Matters und Band. Da wurden mehrere Gänge zugelegt und schon hatte das klassische Songwriting wieder das Nachsehen. Die Performance überzeugte dennoch restlos, da ziemlich viel Druck ausgeübt wurde, sprich: Das Publikum konnte sich wieder freier bewegen, also tanzen, letztendlich war es aber „nur“ hervorragender Pop in einer langen Nacht. Kurzum: Den Namen Syd Matters sollte man sich unbedingt merken. Höchst empfehlenswert ist auch seine CD "A Whisper Not A Sigh" .
Die sehr eigenwillige britische Formation Psapp vollendete den Abend – und auch hier – bzw. noch weniger als bei Syd Matters, stand das klassische Songwriting im Vordergrund – und auch wieder nicht. Psapp brachte luftig-lockeres und psapp_groheulsusisch-melancholisch-verzärtelt-sentimentales zum Vorschein, waren ganz und gar nicht eine Band, die man sich bei einem Songwriting-Festival erwartet und passten kurioserweise doch sehr gut dort hin. Was vielleicht an der Sängerin mit ihren selbst gestrickten Katzen gelegen haben mag, aber nicht nur. Einerseits kramte die Band in allerlei Trickkisten, andererseits dürfte es ein von Beginn bis Schluss wohl durchdachter und organisierter Auftritt gewesen sein ohne großartige Überraschungen für die Band. Aber okay, ihr Schmäh kommt gut an, manchmal erinnerten sie mich sehr stark an Senor Coconut, manchmal nicht, tanzbar wamilewski_agnes3r es immer. Ein Popvergnügen, mehr nicht.


After Midnight

 Mitternacht war da längst schon überschritten, als dann noch als letzte Zugabe Agnes Milewski die Bühne betrat, ihre neue Band und ihre neuen Lieder vorstellte. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten klanglicher Natur bürstete sie ihre Kompositionen zwar nicht gegen den Strich, dafür lehnte sie sich aber manchmal doch ein wenig zu weit Richtung Tori Amos, was einige Längen auslöste und vor allem Müdigkeit. (Text: Manfred Horak; Fotos: Michael Nemeskal, VSA, Rainer Rygalyk, HP von den Bands)

Link-Tipps:
Vienna Songwriting Association
Interview mit Sandy Dillon