Pearl Jam live in Verona, Milano, Wien.
Sechs Jahre mussten Pearl Jam-Fans in Europa darauf warten, die legendäre Band aus Seattle wieder live zu erleben. Ausgelöst durch die tragische Massenpanik mit Todesfällen beim dänischen Roskilde-Festival im Jahr 2000, machte Pearl Jam in der letzten Zeit einen großen Bogen um die Konzerthallen in Italien, Deutschland und anderen europäischen Ländern. Doch nicht nur wegen der langen Abwesenheit, sondern auch wegen der Live-Premiere der neuen Songs des im Frühjahr 2006 veröffentlichten neuen Studiowerks geriet die aktuelle Tournee zu einem Triumph. Robert Fischer war in Verona, Milano und Wien vor Ort.
15.09. Verona, Arena Di Verona
Samstag
Nachmittag, die altehrwürdige „Arena di Verona“ mitten im Stadtzentrum ist
umlagert von Fans aus ganz Europa, die entspannt dem Soundcheck lauschen und
für den Abend auf ein tolles Konzerterlebnis hoffen. Leider spielt das Wetter nicht
ganz mit - zwei Stunden vor Konzertbeginn in dem Open-Air Theater beginnt es
ausdauernd zu regnen, was die bange Frage aufwirft, ob das Konzert überhaupt stattfinden
kann. Trotz Dauerregen eröffnen
aber wie geplant um halb neun „My Morning
Jacket“ den Abend, geschätzte 3000 Zuseher können vorerst einmal aufatmen. Als
dann die Hauptakteure auf die Bühne kommen, nieselt es zwar immer noch leicht,
doch die begeisternde Energie und Live-Dynamik von Pearl Jam machen das Wetter
sofort zur Nebensache. Nach dem ruhigen Opener „Release“ folgen in den nächsten
70 Minuten fast nur schnelle, rockige Stücke, bei denen die italienischen Fans meistens
lautstark mitsingen. Mit „Jeremy“, „Even Flow“, „Once“ und dem
großen Hit „Alive“ sind die wichtigsten Songs des Erfolgs-Debüts „Ten“ von 1991
in der Setlist vertreten, vielleicht ein kleines Zugeständnis an die
wettergeprüften Fans. Gut kommt bei den Fans auch an, dass Lead-Sänger Eddie
Vedder das Publikum mehrmals in Italienisch anspricht, und im ersten der beiden
langen Zugaben-Blöcken mit den Songs „Come Back“ und „I Believe In Miracles“ auf
den verstorbenen Johnny Ramone verweist. Die Gitarristen Mike McCready und
Stone Gossard liefern sich wie gewohnt heiße Gitarren-Duelle, und bei „Rocking
In The Free World“ von Neil Young hält es Eddie Vedder auch nicht mehr auf der
Bühne – er stürmt die Stufen links und rechts der Bühne hinauf, sucht den
Kontakt mit den Fans. Die Arena tobt. Fazit: Pearl Jam beweist wieder einmal
aufs Neue ihren Ruf als hervorragende Live-Band, die es durchaus versteht, auch
Regenschirme tanzen zu lassen.
16.09. Milano, Datch Forum
„I
think Verona was more a kind of a romantic show, tonight they will really rock“
meint mit etwas Ironie ein PJ-Fan aus Sardinien, den ich auf der Fahrt zur
Konzerthalle treffe. Doch er soll Recht behalten. Obwohl sich das „Forum“ als
unansehnlicher Betonblock am Stadtrand erweist, ist die Begeisterung für Pearl
Jam hier hörbar noch größer als in Verona. Tosender Applaus empfängt die Band,
als sie auf die Bühne kommt. Kein Bedarf also, mit einem langsamen Song zu
starten, darum geht’s heute gleich mit dem dröhnenden Rocker „Go“ los. Kurz
darauf folgt „World Wide Suicide“, einer der Schlüsselsongs und die erste Single
der aktuellen Pearl Jam-CD. Mit „Man Of The Hour“ kommt ein selten gespieltes
Stück vom „Big Fish“-Soundtrack zu Live-Ehren, während bei „Daughter“ Eddie
Vedder wieder seine Improvisationskunst beweisen kann. Mit „Another Brick In
The Wall“ zitiert er kurz Pink Floyd, dann folgt fast nebenbei, aber treffend,
ein kurzes politisches Statement: „President Bush, please leave this world
alone!“. Mit ein paar Brocken italienisch bei den Ansagen findet der 42-jährige
Frontmann wieder schnell Kontakt zum Publikum und hat für die Fans zu Beginn
der ersten Zugabe auch eine faustdicke Überraschung parat. Der Tom Waits Song
„Picture in a frame“, den Vedder solo spielt, ist neben der Widmung an seine
Familie anscheinend auch eine versteckte Liebeserklärung an Italien und das
italienische Publikum. Eine Gelegenheit, sich für dieses Präsent postwendend zu
revanchieren kommt in Form des Klassikers „Black“, das die Fans noch
minutenlang singend fortsetzen, als die Musiker Ihre Instrumente schon längst
abgestellt haben. Kollektive Gänsehaut. Spätestens jetzt ist allen Anwesenden
klar, dass diese Show einen Ausnahmestatus hat. Erschöpft, aber glücklich
geht’s nach 130 Minuten Rock feinster Güte zum Ausgang.
25.09. Wien, Stadthalle
Hits
oder Raritäten? Eine der Vorzüge, Pearl Jam mehrmals live zu sehen ist, dass die
Setlist täglich wechselt bzw. die Band ihre Songs aus einem reichen Fundus von
mittlerweile acht Studio-Alben und zahlreichen Covers auswählt. So hat jedes
Konzert einen individuellen Charakter, mit ein bisschen Glück kann man auch
eine Live-Pemiere wie „Picture In A Frame“ in Mailand miterleben. Trotzdem ist
es immer wieder ein Spagat, einerseits die mitreisenden Hardcore-Fans (die sich
mehrere Konzerte einer Tour ansehen) als auch den 0815-Pearl Jam
Konzert-Besucher zu befriedigen, der einfach nur die Hits hören will. Kann mir
da z.B. die Show in der Wiener Stadthalle nach den beiden Italien-Konzerten noch
etwas Neues bieten? Oh ja, sie kann. „Diesen Song haben wir mit Neil Young in
Seattle geschrieben“, erklärt Eddie Vedder dem Publikum in Deutsch, bevor die
Band „I Got Shit“ spielt, das von den legendären Sessions zum 1995er „Mirrorball“-Album
stammt. Gleich darauf folgt das ein wenig Beatles-eske „Parachutes“ vom
aktuellen Album mit einem Gitarrensolo, das ein wenig nach – richtig erraten - George
Harrison klingt. Doch die Hommage an die Mannen der berühmten Band aus
Liverpool setzt sich auch im nächsten Song noch fort, als der Pearl Jam-Frontmann
Teile von John Lennon´s „Gimme Some Truth“ an den eigenen Song „Wishlist“
anhängt. Die Begeisterung in der Stadthalle ist jedenfalls schon nach dem
ersten Set übergroß, und steigert sich noch, als Vedder für die erste Zugabe
„Last Kiss“ mitten in der Menge beim Mischpult auftaucht und von dort singt.
Während dem Security-Personal die Schweißperlen auf der Stirn stehen, flippt
das Publikum aus. So mutieren die beiden überlangen Zugabenblöcke zu einem
wahren Freudenfest, alle tanzen zu „Alive“. Als der Abend mit einem erneuten
Neil Young-Cover („Fuckin´Up“) und dem Fan-Favoriten „Yellow Leadbetter“ inklusive
„Little Wing“ von Jimi Hendrix ausklingt, verabschiedet sich Eddie Vedder mit einer
Art Versprechen bei den Fans: „Goodbye, ich hoffe bis zum nächsten Mal dauert
es nicht wieder 6 Jahre!“
Text:
Robert Fischer
Fotos:
Robert Fischer (Milano) und Ian Howe (Verona)