Ein rigoroses Smartphone-Verbot, eine Videowall-freie Bühne, keine irrlichternden Effekte und kein Rockklischeehaftes Posing machte das Bob Dylan Konzert am 16. April 2018 zu einem besonderen Ereignis, dies, obwohl das Konzert in der charmefreien und klanglich indisponierten Wiener Stadthalle stattfand. Dieser Verzicht auf Schmäheffekte bedeutete für das knapp 9000 Personen umfassende Publikum vor allem eines: Konzentration auf die Essenz, auf Musik und Text. Was geboten wurde, war erfrischend, vital, eigensinnig, widerborstig, manchmal aber auch leicht zugänglich, und immer gehaltvoll. Die Schlichtheit der Bühne war auch notwendig, um nicht von der Komplexität der Lieder abzulenken. People are crazy and times are strange, hieß es gleich im Einstiegssong "Things have changed", für den der Nobelpreisträger für Literatur von 2016 den Oscar für den besten Filmsong ("Wonder Boys") zugesprochen bekam. In Folge gab es Lieder aus allen Jahrzehnten Dylanscher Schaffensphase zu hören - bezeichnenderweise ausgenommen waren allerdings die 1980er Jahre. In der Bühnenmitte war er nur dreimal zu sehen, ansonsten verschanzte sich Bob Dylan hinterm Klavier und bot dort ein bemerkenswertes Tastenspiel, nicht im Sinne von Virtuosität, aber stark genährt von Individualität. Die Band selbst agiert dabei sehr funktionell, richtet sich mit Spielfreude immer nach dem Meister und ist mit Improvisation vertraut und versiert. Die größte Stärke der Performance war allerdings die Gesangsleistung von Bob Dylan, was jedoch wenig verwundern sollte, ist er doch laut dem Rolling Stone Magazin der beste lebende männliche Sänger.
And every one of them words rang true
And glowed like burnin’ coal
Pourin’ off of every page
Like it was written in my soul from me to you
Ein Highlight für die Dylan-Fan-Kultur war sicherlich Tangled Up In Blue. Für Leute, die ihn nur einmal live sehen wollen, und die Wiener-Stadthallen-Gelegenheit dazu nutzten, löste diese Darbietung vermutlich eine recht große Irritation aus, da Dylan hier für diesen Song einen neuen Weg bahnte. Entstanden ist daraus quasi ein neues Lied mit altem Text. Bei Tangled Up In Blue fiel die Kluft zur Studio-Version am markantesten aus, andere Dylan-Klassiker wie z.B. Blowin’ In The Wind oder Desolation Row erhielten zwar ebenfalls deutliche Erneuerungen, blieben aber (für die nicht so geübte Dylan-Live-Hörerschaft) relativ leicht erkennbar. Am Nächsten zu den Studio-Aufnahmen kamen interessanterweise die Live-Versionen jener Songs, die dem Great American Songbook zuzuordnen sind, Melancholy Mood, Come Rain or Come Shine, sowie Autumn Leaves. Zugleich bot Dylan bei diesen drei Songs die Meisterklasse seiner Gesangskunst - tief unter die Haut gehend, ohne Quentchen Gespieltheit.
I did all I could and I did it right there and then
Was bleibt von dieser Frühlings-Tour 2018, die Bob Dylan und Band quer durch Deutschland, Tschechien, Schweiz, Italien, Spanien, Portugal und Österreich führte? Konzerte mit einer relativ kongruenten Set-List, keine gefälligen Best-of-Abende, sondern ein wohl durchdachtes Arrangement quer durch die Jahrzehnte mit Schwerpunkt später Jahre mit Dylan als grandiosem Sänger und interessantem Klavierspieler, kein Griff zur Gitarre und keine Harp. Live-Versionen für die Ewigkeit von Desolation Row, Love Sick, Early Roman Kings, sowie den drei Standards aus dem Great American Songbook, Nicht zuletzt bot das Bob Dylan Konzert für vermutlich nicht wenige die (allerdings nur bedingt überraschende) Erkenntnis, dass es ganz leicht ist, ca. zwei Stunden auf sein Smartphone verzichten zu können. //
Text und Foto: Manfred Horak
Bob Dylan Setlist, Wien, 16.4.2018
Things Have Changed (aus: The Essential Bob Dylan, 2000)
Don’t Think Twice, It’s All Right (aus: The Freewheelin’ Bob Dylan, 1963)
Highway 61 Revisited (aus: Highway 61 Revisited, 1965)
Simple Twist Of Fate (aus: Blood On The Tracks, 1975)
Duquesne Whistle (aus: Tempest, 2012)
Melancholy Mood (aus: Fallen Angels, 2016)
Honest With Me (aus: “Love And Theft”, 2001)
Tryin’ To Get To Heaven (aus: Time Out Of Mind, 1997)
Come Rain or Come Shine (aus: Fallen Angels, 2016)
Pay In Blood (aus: Tempest, 2012)
Tangled Up In Blue (aus: Blood On The Tracks, 1975)
Early Roman Kings (aus: Tempest, 2012)
Desolation Row (aus: Highway 61 Revisited, 1965)
Love Sick (aus: Time Out Of Mind, 1997)
Autumn Leaves (aus: Shadows in the Night, 2015)
Thunder On The Mountain (aus: Modern Times, 2006)
Soon After Midnight (aus: Tempest, 2012)
Long And Wasted Years (aus: Tempest, 2012)
Blowin’ In The Wind (aus: The Freewheelin’ Bob Dylan, 1963)
Ballad Of A Thin Man (aus: Highway 61 Revisited, 1965)