Wenn man über die alte Bernsteinstraße von Horitschon, zwischen sanften, farbig leuchtenden Weinhügeln der Sorte Blaufränkisch, nach Raiding im Bezirk Oberpullendorf kommt, stößt man bereits im Ort auf einen großen Bösendorfer-Konzertflügel. Es ist der Heimatort Franz Liszts und des nach ihm benannten Musikfestivals. Die Herbstausgabe des Lisztfestivals 2016 wurde mit den Hausherren, dem kongenialen Brüderpaar an zwei Klavieren, Eduard und Johannes Kutrowatz und "The Voice"- Kammerschauspieler Peter Matic fulminant eröffnet.
Wer sie noch nicht kennt: Die beiden Brüder Kutrowatz studierten zunächst am Joseph-Haydn Konservatorium in Eisenstadt, später an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, Klavier. Johannes daneben auch Klarinette und Eduard Schlaginstrumente. Sie sind als Pianisten, Kammermusikpartner, Liedbegleiter, Dirigenten, Komponisten tätig, Träger zahlreicher Auszeichnungen und Ehrungen und unterrichten seit vielen Jahren an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, wo ihnen einst ihre gemeinsame Klavierlehrerin, Renate Kramer-Preisenhammer den Anstoß gab, sich mit Originalliteratur für Klavier zu 4 Händen und für 2 Klaviere zu beschäftigen.
Neben Konzertreisen in viele Länder Europas, nach Asien (Japan, Korea), Kanada, in die USA, nach Afrika, nach Australien und Russland, organisieren Eduard und Johannes Kutrowatz seit Jahren Festivals: 2001 erstmals den "Klangfrühling" auf Burg Schlaining, seit 2007 ist Johannes Kutrowatz künstlerischer Leiter des Yamanakako-Klangsommers in Japan, und seit 2009 sind die beiden vielfältigen Musiker Intendanten des Lisztfestivals.
Ein musikalisch-spiritueller Dialog
Kammerschauspieler Peter Matic las ausgewählte Kapitel aus Marcel Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Gedanken über das Einschlafen und Aufwachen und die Glücksgefühle, die durch den Geschmack einer, in Tee getauchten, Madeleine (franz. Feingebäck) ausgelöst wurden, fügten sich im ersten Teil harmonisch zwischen sanfte und besinnliche Bach Choraltranskriptionen und Paraphrasen für zwei Klaviere von Eduard und Johannes Kutrowatz. Wohl kein Musiker wurde so häufig bearbeitet, wie Johann Sebastian Bach. Er ist Basis, Bezugs- und Ausgangspunkt für Musiker und Komponisten und für Eduard Kutrowatz wie "das Glas klaren Wassers am Morgen". Für dieses Programm wählte er Arien aus drei äußerst unterschiedlichen Kantaten und nützte beim Verzicht auf Singstimme und Sprache seine Erfahrungen im Umgang mit dem Klangraum 2 Klaviere, um größtmögliche Deutung, Objektivität und Transparenz zu erzielen. Johannes Kutrowatz ging es in seinen Bearbeitungen "um den Klang gewordenen Hinweis auf etwas, das den Menschen übersteigt." Unter anderem "Wachet auf, ruft uns die Stimme BWV 645", "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit", "Schafen können sicher weiden“, "Sinfonia- Adagio BWV 156", "Jesu bleibet meine Freude".
Musik zur Sammlung und Meditation
250 Jahre nach Bach geboren und doch, durch den spirituellen Tiefgang seiner Werke, in zeitloser Nähe zu diesem, steht, der 1935 in Estland geborene, Arvo Pärt, dessen Werke im zweiten Teil des Abends folgten. Arvo Pärt hat, nach dem Eintritt in die Russisch-Orthodoxe Kirche, der Beschäftigung mit Gregorianik, Musik der Renaissance und der klassischen Vokalpolyphonie, seinen eigenen Stil, im Sinne einer, dem Ideal des Asketischen verpflichteten Balance, entwickelt. Sozusagen Musik zur Sammlung und Meditation. "Hymn to a Great City", aus einigen, nahezu bewegungslosen Akkorden, die die beiden Pianisten einander im Dialog zuspielen, während in "Pari Intervallo" die Stimmen der vierhändigen Fassung so ineinander verschränkt sind, dass die Pianisten mit ständig überkreuzten Händen spielen - und "Für Alina" - in dem die beiden Stimmen in einem meditativen Aufbrechen-und-wieder-zur-Ruhe-kommen, meist parallel laufen.
Liszt für folgende Generationen
Den Abschluss bildeten Liszt-Paraphrasen und Transkriptionen für 2 Klaviere von Eduard Kutrowatz, der in letzter Zeit auch vermehrt als Komponist tätig ist. Liszt hat seine Werke selbst immer wieder überarbeitet und paraphrasiert und vermutlich auch gewünscht, dass dies folgende Generationen machen werden. Eduard Kutrowatz hat sich dieser Aufgabe gestellt, indem er Klavierwerke aus Liszts späteren Lebensjahren "Schlaflos - Frage und Antwort", "En rêve", "Carrousel de Madamme Pelet-Narbonne", sowie die Lieder "La Perla" und "Go not, happy day" einfühlsam, den Grundton der Stücke betonend, deren Struktur aber immer wieder aufbrechend, bearbeitet und kommentiert hat.
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Dazwischen, die zur Musik gewordene Sprache Peter Matics - mit Erinnerungen des Ich-Erzählers an die adelige Gesellschaft im Grandhotel eines französischen Badeortes, an eine "Soirée musicale" bei Mme Verdurin, an eine stürmische Sitznachbarin im Konzert, an Mme Swann am Klavier. Sehr unterhaltsame Textstellen, die mit ihrem Bezug zur Musik und dem Klavierspiel gleichsam die anwesenden Pianisten und das Publikum miteinschlossen und sie Teil davon werden ließen. Das gesamte Werk von Marcel Proust wurde übrigens über einen Zeitraum von acht Jahren mit Peter Matic auf 15 CDs mit circa 19 Stunden Laufzeit aufgenommen und 2010 zum Hörspiel des Jahres gekürt. Besinnlich und eindrücklich schließlich auch die Zugabe: Peter Matics Rezitation von Schuberts "Abschied von der Erde".
Ergänzung durch Unterschiedlichkeit
Um so symbiotisch auf zwei Klavieren spielen zu können, quasi gemeinsam zu atmen, setzt eine konstruktive Auseinandersetzung, einen Dialog, ein Erspüren, ein Kennen des Partners voraus, das sich wohl selten so glücklich fügt, wie im Fall von Brüdern, im Speziellen der Brüder Johannes und Eduard Kutrowatz, die sich gerade auch in ihrer Unterschiedlichkeit so wunderbar ergänzen. Beide hatten sichtlich Freude an diesem Abend beim Lisztfestival, der eine still, der andere schwungvoll bewegt und doch schienen sie in ihrem Spiel in einander zu fließen und zu einem einzigen, grandiosen Klangkörper zu werden. //
CD-Tipps:
Johannes und Eduard Kutrowatz: Johann Sebastian Bach / Arvo Pärt
Ein musikalisch-spiritueller Dialog
Vertrieb: www.eduardkutrowatz.com
Peter Matic: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Verlag: Hörverlag (2010)
Text und Fotos: Andrea Schramek
Zeitensuche. Spurenlese. Klangraum Lisztfestival 2016
von Andrea Schramek
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