Mit 94 Jahren starb Pete Seeger am 27.1.2014. Er war eine Schlüsselfigur der Folk-Szene, Schöpfer genuiner Songs, wie z.B. "We Shall Overcome", "If I Had A Hammer", "Turn, Turn, Turn!", "Where Have All The Flowers Gone?" Der Friedens- und Umweltaktivist veröffentlichte sein erstes Album im Jahr 1941, und noch heuer wurde er für einen Grammy nominiert. Ein Nachruf von Manfred Horak.
"Sag mir wo die Blumen sind": Man kennt dieses große Antikriegslied, vermutlich in der Version von Marlene Dietrich, möglicherweise auch die Live-Version von Udo Lindenberg, oder in einer der zahllosen Versionen in englischer Sprache. "Dieses Lied ist so aktuell, dass man es hoffentlich noch ganz lange singt zur Mahnung an die ewig Uneinsichtigen", erklärte einmal der deutsche Musiker Der Black. Ein Satz, den man nur unterstreichen kann. "Where have all the flowers gone", wie das Lied im Original heißt, stammt von Pete Seeger, der Zeit seines Lebens für Gerechtigkeit, Frieden und Umweltschutz eintrat. In der berüchtigten McCarthy-Ära Mitte der 1950er Jahre in den USA musste Pete Seeger vor den Ausschuss für "unamerikanische Aktivitäten" aussagen, und kam danach auf die schwarze Liste, was mit Berufsverbot gleichkam. Seeger ließ sich davon aber nicht unterkriegen. "How Can I Keep From Singing?" lautete vielmehr seine als Frage formulierte Antwort. "Wie soll ich je aufhören können zu singen?" Ein Song-Titel, den man durchaus programmatisch für das Leben von Pete Seeger sehen kann. Geboren wurde Pete Seeger am 3. Mai 1919 in New York City. Entdeckt wurde er (gemeinsam mit Woody Guthrie), glaubt man der Anekdote aus dem umfangreichen Buch zur 10-CD-Box "Songs For Political Action - Folkmusic, Topical Songs And The American Left, 1926-1953" (Bear Family), von der singenden Gewerkschafterin Aunt Molly Jackson. Sie war laut dieser Quelle auch verantwortlich für das erste Folk-Revival der Musikgeschichte überhaupt. Pete Seeger ist auf dieser opulenten Box eine CD gewidmet und zudem ist er mit den Almanac Singers und The Weavers zu hören. Mit den von ihm und Woody Guthrie gegründeten Almanac Singers (mit dabei waren auch noch Lee Hays, Mill Lampell, Gordon Friesen und Cis Cunningham) sangen sie nicht nur gegen den Faschismus und gegen den Krieg, sondern auch für Gewerkschaften und Landarbeiter. Mit den Almanac Singers war Pete Seeger im Jahr 1941 auch erstmals auf einem Tonträger zu hören. Titel: "Songs for John Doe". Zwei Lieder stammten dabei von Pete Seeger und seinem langjährigen Musikerkumpel Lee Hays, mit dem er wiederum nach dem Zweiten Weltkrieg die Folkband The Weavers gründete. Ein Quartett (mit dabei waren noch Ronnie Gilbert und Fred Hellerman), das sich nach Gerhart Hauptmanns Stück "Die Weber" benannte und nach Anfangsschwierigkeiten einen Plattenvertrag bei Decca erhielt und sich in die Herzen von Millionen von Amerikanern spielte und sang. Das erste Album unter eigenem Namen erschien schließlich im Jahr 1953 unter dem Titel "American Folk Songs for Children".
The Incomplete Folksinger
Pete Seeger war aber eben nicht nur ein exzellenter Musiker, dessen Banjospiel und Schöngesang ein Massenpublikum begeisterte, er war auch Buchautor und eine weitere Passion von ihm war jene des Journalismus. So hat er z.B. im Eigenverlag die heute noch erhältliche Banjoschule "How to Play the Five-String Banjo" (1948) herausgebracht, die die Grundbegriffe anschaulich vermittelt. Als Mitgründer von den Folk-Magazinen Broadside und Sing Out! schrieb er auch regelmäßig journalistische Beiträge. Im Buch "The Incompleat Folksinger" (1972) sind auf über 590 Seiten eben jene gesammelt, was eine bunte Mischung aus Meinungen, Anekdoten und Kulturgeschichtlichen wie politischen Statements ergibt. Als das definitive Buch von und über Pete Seeger gilt allerdings "Where Have All the Flowers Gone" (Sing Out!; 1997). Darin enthalten sind alle Songs von Pete Seeger mit Noten und Akkorden, jede Menge Fotos, sowie autobiografische Anmerkungen und Anekdoten. Apropos: Eine der bekanntesten Anekdoten in der amerikanischen Musikgeschichte hat ebenfalls mit Pete Seeger zu tun. Gemeinsam mit Theodore Bikel, George Wein und Albert Grossmann (dem späteren Manager von u.a. Bob Dylan) rief Pete Seeger im Jahr 1959 das Newport Folk Festival ins Leben, das sich schnell als Karriere-Sprungbrett für Künstler wie Joan Baez und Bob Dylan erwies und allgemein ein Folk-Revival auslöste. Letzten Endes war Pete Seeger nicht nur Geburtshelfer des Festivals, sondern auch der Totengräber sechs Jahre später. Die Anekdote ist allgemein bekannt, daher nur ein paar Stichwörter: Bob Dylan. E-Gitarre. Pete Seeger. Axt.
Für alles kommt die Zeit
Eines meiner absoluten Lieblingslieder - vielleicht ist es für mich sogar das ultimative Lied überhaupt - stammt ebenfalls von Pete Seeger. Letzten Endes ist es auch egal, wessen Interpretation man sich da anhört, ob jene von The Byrds (Gesang: Roger McGuinn) im Jahr 1965, die mit ihrer Version drei Wochen in den US-Singles-Charts Platz Eins belegten, oder jene fast schon überirdisch anmutende Version von Bruce Cockburn im Jahr 1998, oder natürlich das Original von Pete Seeger. Es handelt sich freilich um "Turn, Turn, Turn!" Geschrieben in den späten 1950er Jahren, wurde das Lied 1962 erstmals unter dem Titel "To Everything There Is a Season" auf dem Album "Folk Matinee" der Band The Limeliters (ein Bandmitglied war Roger McGuinn) veröffentlicht und erst ein paar Monate darauf von Pete Seeger selbst auf seinem grandiosen, vielleicht besten, Album "The Bitter and the Sweet". Von Nina Simone bis Dolly Parton, von Amy Grant bis Tori Amos, von Bruce Springsteen bis Chris de Burgh, von Judy Collins bis Marlene Dietrich, von den Puhdys (ex-DDR) bis zur Band Plastic Tree (Japan) reicht die Palette derer, die eine Cover-Version von "Turn, Turn, Turn!" eingespielt haben. Der Text selbst ist eine Adaption des alttestamentlichen Bibeltextes aus dem Buch Kohelet (Kapitel 3, Verse 1-8). "Für alles kommt die Zeit (Glaub', Glaub', Glaub')", heißt der Titel in der deutschen Übersetzung und Pete Seeger reimte folgendermaßen: "To everything - turn, turn, turn / There is a season - turn, turn, turn / A time to gain, a time to lose / A time to rend, a time to sew / A time to love, a time to hate / A time for peace, I swear it's not too late!" Dort, wo Bob Dylan in seinem 1962 erstmals live aufgeführten Song "A Hard Rain's A-Gonna Fall" aus der Offenbarung von Johannes zitierte und die Apokalypse befürchtete, ist das Buch Kohelet aus dem Seeger seinen Text schöpfte, zwar ebenfalls über weite Passagen von Pessimismus geprägt, dennoch finden sich darin auch eine Sammlung von Mut machenden Weisheitssprüchen, praktischen Lebensratschlägen und Warnungen vor falscher Lebensweise. Beide - Dylans Schwarzmalerei und Seegers Farbkleckse - zielen dabei auf eine Botschaft hin: Das Leben zu nutzen und jeden Tag als einzigartig zu genießen, da die Zukunft ungewiss sei. Dabei darf man eines natürlich nicht vergessen: Der Zeitpunkt der Entstehung beider Lieder. Die Zukunft war nämlich mehr als ungewiss, Stichwort Kalter Krieg. Am 22. Oktober 1962 verkündete der damalige US-Präsident John F. Kennedy, dass sowjetische Raketen auf Kuba stationiert worden waren, was zum Beginn der Kubakrise führte. Mit der Kubakrise erreichte der Kalte Krieg eine neue Qualität. Es ist davon auszugehen, dass die beiden Supermächte während des Kuba-Konflikts einer direkten militärischen Konfrontation am nächsten kamen. Erstmals wurden die ungeheuren Gefahren eines möglichen Atomkrieges einer breiten Öffentlichkeit bewusst. "A time to be born, a time to die / A time to plant, a time to reap / A time to kill, a time to heal / A time to laugh, a time to weep". Ansprechend bei diesem Lied ist nicht nur der gehaltvolle Text, sondern auch die verzaubernde Melodie. Hier gelang Pete Seeger wahrhaft großartiges. Eine Melodie, die einem nicht mehr los lässt und ein Text, der sämtliche Zeiten überdauert.
Deutschland, Waldeck 1964
Der Einfluss von Pete Seeger reichte freilich weit über Amerika hinaus. "Wir haben uns gefragt, warum wir in unseren Breiten keinen Georges Brassens oder Yves Montand, keinen Pete Seeger und keine Joan Baez haben. Wir möchten gerne herausfinden, welche Möglichkeiten das Chanson bei uns hat oder haben könnte." Diese einleitenden Worte, gesprochen vom Kulturhistoriker Diethart Krebs war gleichzeitig der Startschuss der deutschsprachigen Folk-Gemeinde am Pfingstsamstag im Jahr 1964 unter dem Motto "Die Wiederentdeckung der Tradition und neue deutsche Lieder" beim Festival "Chansons Folklore International - Junge Europäer singen" auf der Burg Waldeck im Hunsrück. Diese intensive Auseinandersetzung - u.a. mit dem Werk von Pete Seeger - öffnete Unmengen von Türen für die nachfolgenden Musikergenerationen, die in diesem Genre Altes aus längst versunkenen Zeiten aus dem Gedächtnisarchiv hervorholte, aber auch gänzlich neue Wege beschritt. Pete Seeger übte z.B. auch auf Reinhard Mey einen großen Einfluss aus, Mey erklärte einmal, dass er gerne so wie Pete Seeger Songs schreiben würde: "Sehr einfach, trotzdem unglaublich bewegend und mit populären Melodien rübergebracht." Populär blieb Pete Seeger übrigens bis in die Gegenwart hinein. Nach vier erhaltenen Grammy für sein Lebenswerk (1993), sowie für seine Alben "Pete" (1997), "At 89" (2008) und "Tomorrow's Children, Pete Seeger and the Rivertown Kids and Friends" (2010) war Pete Seeger auch beim Grammy-Award 2014 in der Kategorie Best Audio Book für "The Storm King; Stories, Narratives, Poems" nominiert. Abschließend noch ein Zitat vom deutschen Musiker Wenzel über Pete Seeger. Es hätte auch von mir sein können, aber Wenzel kam mir zuvor: "Mit seinem sanften Lächeln gelang es ihm stets das Unrecht der Welt zu attackieren! Seine Lieder sind keine Beweise von Macht oder Wahrheit. Sie sind Gebrauchsgegenstände. Wie Volkslieder. Mit ihnen gelang es, utopische Gesellschaften zu gründen, zumindest für die Länge eines Liedes. Aber danach war die Welt eine andere. Er wurde belächelt, verhöhnt, bedrängt. Er blieb sich treu. Ein dünner Körper, ein langer Hals, ein Banjo, eine Stimme, die den Kopf bewegt. Ich verneige mich vor ihm." Pete Seeger verstarb am 27.1.2014 friedlich an Altersschwäche in New York City. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Fred Palumbo / Library of Congress; Anthony Pepitone
Die wichtigsten Alben von Pete Seeger
Pete Seeger at Carnegie Hall (Folkways, 1963)
The Bitter and the Sweet (Folkways, 1962)
Pete Seeger and Sonny Terry Recorded At Their Carnegie Hall Concert (Folkways, 1957)
American Favourite Ballads (Folkways, 1957)
Darling Corey (Folkways, 1950)
Goofing-Off Suite (Folkways, 1954)