Nach dem rundum gelungenen Debüt-Album Sensibility (2011) gelingt der gebürtigen Niederösterreicherin Stephie Hacker mit "Cascade Effect" ein noch ansehnlicheres Jazz-Album mit einer Fülle an Melodienreichtum und starken poetischen Texten. Domino-Effekte sind nicht aufzuhalten. Die Sängerin, Pianistin, Komponistin begab sich 2012 nach New York City, knüpfte dort recht rasch musikalische Kontakte, begab sich auf die Suche nach neuen Erfahrungen, ließ sich (quasi interdisziplinär) inspirieren, schrieb ein paar Songs und nahm diese mit Pete McCann (guit), Dan Fabricatore (b) und Mark Ferber (dr) auf. So (scheinbar) einfach kann es gehen. Elf Lieder sind es geworden, die Stephie Hacker aufs Album packte. Füllmaterial oder Schwächen können auch nach mehrfachem Hören nicht ausgemacht werden. "Cascade Effect" wird denjenigen gefallen, die schnörkellose Arrangements schätzen und dem Jazz auch dann zugetan sind, wenn das smoothige keine Rolle spielt. Die Songs leben von den starken Melodien und den poetischen Texten; Hacker gelang somit nach dem beeindruckenden Debüt-Album ein noch stärkeres zweites Album.
Wunden und Tränen
Die Intensität mancher Songs ist beinahe schmerzhaft, so im Höhepunkt des Albums, dem Song "So In Need". Alleine, wie Hacker das Lied aufbaut ist sensationell. Ein lyrisch gelungener Zweizeiler wird von ihr zunächst gesprochen, um aus diesem kurzen Gedicht eine Gesangsmelodie zu formen und Schicht um Schicht aufzubauen, bis man darin heillos gefangen zu sein scheint in den Wunden, in den Tränen. Fünfeinhalb Minuten, die sicherlich zum Besten des Musikjahres 2013 gehören. Respekt. Mitunter können die anderen Lieder auf "Cascade Effect" da nicht ganz mithalten, gerieten dennoch generell prächtig. So z.B. gleich der Einstand mit "Naked Girl" und diesem wunderbar perlenden Pianolauf, sowie Stephie Hackers wohltemperierter Gesangsstimme. Der darauf folgende Titelsong kann textinhaltlich sehr persönlich genommen werden aber auch gesellschaftspolitisch, musikalisch freilich ebenfalls allerfeinst ummantelt von ihrem superben Pianospiel und einer sich gut in den Dienst des Songs stellenden Band.
Jan Saudek und Pablo Picasso
Der tschechische Fotograf Jan Saudek stand Pate für ihren Song "Blue", während das Lied "Minotaurus" auf einen Besuch im Guggenheim Museum zurück geht und ihrer Begegnung mit dem Gemälde "Minotaurus" von Pablo Picasso. Heraus kam jedenfalls ein freudvoll zündender Song samt super Refrain und einem veritablen Gitarrensolo von Pete McCann, der bereits auf mehr als 60 CDs zu hören ist und mit Größen wie Patti Austin Band, Lee Konitz, Dave Liebman, Kenny Garrett, Peter Erskine, Maria Schneider Orchestra und Curtis Stigers spielte. McCann spielt auch eine zentrale Rolle im feinen Hacker-Song "Today is a Day". Das zweite große Lied des Albums - in jeder Hinsicht. Musikalisch, weil hier dieser Melodienreichtum besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht und die Band einmal mehr unglaubliche Raffinessen von sich gibt. Vom Text her, weil Stephie Hacker hier nicht die Poesie als Stilmittel wählte, sondern eine Geschichte aus der Perspektive einer an sich selbst zweifelnden Person erzählt. Das nächste Lied führt diese Geschichte in gewisser Weise fort, musikalisch eingebettet im Pop-rockigsten Song des Albums. "Stranded Unicorn" bildet sozusagen die Brücke zwischen "Today is a Day" und "So In Need". Steht in "Today is a Day" noch der Selbstzweifel im Fokus, hören wir die Sängerin hier als gestrandetes Einhorn in der inneren Emigration, um etwas später in "So In Need" zu erkenntnisreichen Fragen wie "Why was I too blind to see there's something wrong with you?" zu gelangen. Eine quasi Trilogie, die Sinn macht, und überhaupt die Liedfolge mit Bedacht und sehr klug gewählt wurde. Eine Qualität, die Stephie Hacker übrigens bereits bei ihrem Debüt-Album bewies.
Charlie Chaplin und die Nacht
"Woher komme ich und wohin gehe ich" wird in "Finally Home" gefragt, das von Immigranten und Emigranten handelt und musikalisch ein hübsches Sammelsurium an weltmusikalischen Einflüssen bietet. Das wohl interessanteste Stück des Albums ist das darauf folgende "Self Love Poem" mit einem Text von Charlie Chaplin, geschrieben am 16. April 1959, dem 70. Geburtstag des genialen Filmemachers, Schauspielers und Komponisten (u.a. "Smile"). "Even stars collide, and out of their crashing new worlds are born. Today I know that this is "LIFE"!" heißt es dabei in der abschließenden Textzeile, während Stephie Hacker und ihre wunderbare Band diesem hervorragenden Gedicht die würdige Musik verpassen. Besonders gefällt dabei das Drumming von Mark Ferber, der auch schon u.a. für Don Byron, Fred Hersch und Norah Jones hinterm Schlagzeug saß. Spitze auch, wie Hacker im "Self Love Poem" gesanglich den lichten Höhen folgt, wie es der Text von der Logik her verlangt, zudem fehlt auch nicht die Verspieltheit, die Leichtigkeit. Ergreifend und erstaunlich also, wie gut sich hier Musik und Text vertragen. Kompliment. Apropos Logik: Die letzten zwei Lieder handeln von der Nacht. "Nights are made for Lovers" taucht in die Sehnsucht und das Verlangen ein und begibt sich musikalisch dementsprechend in die Verlorenheit einer einsamen Pianistin, die in Träumen nach ihm schwelgt. Nachtaktiv hingegen der Rausschmeißer des Albums, "Dance". Funky funky kann man da nur sagen. "Dance" gefällt mir neben "So In Need" am Besten - vielleicht, weil hier die Band noch einmal, und diesmal im Kollektiv, groß aufzeigen kann, vielleicht, weil hier dermaßen viele Einflüsse ausgeatmet werden und man es doch nicht zu fassen bekommt, wer hier tatsächlich Pate stand. Vielleicht aber auch nur, weil es einfach gute Musik ist. Verdammt gute Musik. Großartiges Album. //
Text: Manfred Horak
Foto: Ines Hochgerner
CD-Tipp:
Stephie Hacker: Cascade Effect
Musik: @@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Session Work Rec. (2013)
Link-Tipp:
Interview mit Stephie Hacker