Stammt das erste Pink Floyd Album "The Piper At The Gates Of Dawn" zu großen Teilen aus der alleinigen Feder von Syd Barrett, so übernahm später Roger Waters mehr und mehr diese Rolle, zuletzt bei "The Final Cut". Diese beiden Alben stehen denn auch im Zentrum von Teil 4 unserer Reihe "Pink Floyd Remastered"."

Syd war mir ein bisschen voraus", meinte einmal Roger Waters über Syd Barrett, und die Band hatte lange, verdammt lange, am Wegfall von Syd Barrett zu nagen. Die bemerkenswerte Entwicklung von Pink Floyd wäre allerdings unter anderen Umständen vermutlich nie zustande gekommen. Der kreative Kopf von Pink Floyd war nämlich von Beginn an Syd Barrett, der Sänger und Gitarrist. An seiner Seite waren Roger Waters (Bass, Gesang), Richard Wright (Organ, Piano, Gesang) und Nick Mason (Schlagzeug). In einer frühen Charakterstudie über die Band hieß es über Syd Barrett: "Er liebt Musik, Malerei und Gespräche mit anderen Leuten, glaubt an die absolute Freiheit, hasst es, andere zu behindern oder zu kritisieren und hasst andere, die andere kritisieren oder ihn behindern wollen. Er macht sich nichts aus Geld und hat keine Angst vor der Zukunft." Aubrey Powell, der bis zum Album "Animals" (1977; s. Teil 3) für Pink Floyd arbeitete erzählte in einem Interview über frühe Live-Gigs von Pink Floyd: "Sie begannen mit einem Song wie 'Astronomy Domine' und steigerten sich bis zur Raserei. Doch dann ebbte das Ganze urplötzlich ab, und es gab diese langen, fast peinlichen Momente, wo du wirklich nicht mehr wusstest, was da abging. [...] Es war unglaublich, was Syd da manchmal machte. Das Ganze war mitunter äußerst verwirrend. Keine Band war so wie sie."

Oh mother tell me more / Tell me more...

Nun: Um nicht zu sehr in der Bandbiografie zu verharren, wenden wir uns gleich mal dem herausragenden Debüt-Album zu. Zu hören sind 11 Songs, acht davon aus der alleinigen Feder von Syd Barrett, ein Lied stammt von Roger Waters ("Take Up Thy Stethoscope And Walk") und zwei Instrumental-Nummern ("PowR.Toc H."; "Interstellar Overdrive") sind im Kollektiv entstanden. Nicht darauf enthalten sind die Singles "Arnold Layne", "See Emily Play" und "Apples and Oranges". Im März 1967 betraten die vier Musiker von Pink Floyd jedenfalls die heiligen Hallen der Abbey Road Studios, um ihr Debüt-Album "The Piper At The Gates Of Dawn" aufzunehmen. Als Produzent bekam das Quartett Norman Smith zur Seite gestellt, der an jedem Album der Beatles bis "Rubber Soul" als Cheftontechniker mitwirkte. Die meisten dieser heute noch umwerfenden Songs entstanden Ende 1966 / Anfang 1967 und tragen gleichermaßen eine Kraft und Kultiviertheit in sich, die beim Zeitpunkt der Veröffentlichung erstaunlich war und 45 Jahre später nichts an Wirkkraft einbüßte. Neben dieser hoch empfindsamen Musik (psychedelisch nannte man es damals) sind auch die Texte von Syd Barrett lesenswert. In "Matilda Mother" erzählt Syd z.B. ein Märchen und erinnert sich daran wie seine Mutter ihm Märchen vorlas: "And fairy stories held me high", singt Barrett, "On clouds of sunlight floating by / Oh mother tell me more / Tell me more..." Ähnliche Motive tauchen auch in "Flaming" auf, wenn Barrett singt, "Lazing in the foggy dew / Sitting on a unicorn no fear / You can't hear me but I can you", sowie in "The Gnome" - "A gnome named Grimble Gromble / And little gnomes stay in their homes / Eating sleeping drinking their wine". Diese fragile Lyrik mit der fast schon kindlichen Naivität wird musikalisch mit einer innovativen Popästhetik ummantelt, die auf inspirierte Entdeckungsreisen einlädt. "The Piper At The Gates Of Dawn" ist ein Superlativ und vermutlich eines der anregendsten und besten Debüt-Albums in der Pop-Geschichte und Syd Barrett einer der größten Tragöden in eben dieser, dessen Zusammenbruch nur wenig später auch fast den Zusammenbruch der Band auslöste. Die Überlebenschancen von Pink Floyd ohne Syd Barrett jedenfalls waren gering, aber wie wir wissen rappelte sich Pink Floyd auf und trat den langen Weg an, aus des genialen Songwriters Schatten zu treten.

Most of them dead / the rest of them dying...

Der einzige Schwachpunkt auf dem Debüt-Album ist übrigens "Take Up Thy Stethoscope And Walk" aus der Feder von Roger Waters. Jener Waters, der nach dem Weggang von Barrett die meisten Lieder für Pink Floyd schrieb und sich zur dominanten Figur bei Pink Floyd entwickelte. Den Schlusspunkt der Roger Waters Ära bei Pink Floyd setzt das Album "The Final Cut". Untertitel: "A Requiem for the Post War Dream by Roger Waters performed by Pink Floyd" (David Gilmour, Nick Mason, Roger Waters). Es gibt durchaus Gemeinsamkeiten zwischen "The Piper At The Gates Of Dawn" und "The Final Cut", und zwar in den Texten. Bezog sich Syd Barrett am Debüt-Album auf Erinnerungen an seine Mutter, so sind es die Erinnerungen an den Vater, die Roger Waters auf "The Final Cut" verarbeitet. Damit hat es sich freilich auch schon, weitere Gemeinsamkeiten zu suchen wäre nämlich vermessen und völlig fehl am Platz, denn besticht das Debüt-Album aus dem Jahr 1967 mit experimentellen Klangfeldern und großen Pop-Melodien, bei dem man die Zeit der Entstehung recht gut heraushört, so ist "The Final Cut" ein vollkommen vom Zeitgeist befreites Klangerlebnis.

...that's how the high command / took my daddy from me

Veröffentlicht im März 1983 sollte es zugleich das letzte Album von Pink Floyd sein - und aus der Sicht von Roger Waters und den Waters-Anhängern unter den Pink Floyd Fans ist "The Final Cut" auch tatsächlich das letzte Album von Pink Floyd (was danach kam kann man in Teil 1 dieser Reihe nachlesen). Das Album wurde bei Erstveröffentlichung von den großen Zeitungen und Radiostationen einigermaßen unhöflich behandelt und weitgehend verrissen, wobei die Vermutung nahe liegt, dass viele wohl nicht genau hingehört haben. Vielleicht war die Schwere des Themas (Krieg) ausschlaggebend, vielleicht passte einigen die Thatcher-Reagan-Kritik nicht in deren Inseratenkonzept. Aber auch die Pink Floyd Fangemeinde verhielt sich zurückhaltend und war enttäuscht, mit "The Final Cut" kein typisches Pink Floyd Album in den Händen zu halten. Aber was ist schon ein typisches Pink Floyd Album? Brüche und quasi musikalische Neuausrichtungen gab es immer wieder, die Experimentierfreudigkeit war nun mal enorm. Und so wird mittlerweile "The Final Cut" auch anders empfunden. So manche aus dem Pink Floyd Fanlager gestehen heute, dass "The Final Cut" einen weitaus geschlosseneren Eindruck vermittelt als das Vorgängeralbum "The Wall". Untypisch für ein Pink Floyd Album ist einzig die Tatsache, dass Roger Waters jedes Lied komponiert und jeden Text geschrieben hat, dass Richard Wright nicht auf dem Album zu hören ist und dass auch David Gilmour und Nick Mason keine tragende Rolle beim Konzeptalbum erhielten bzw. dass sie gar nicht versuchten mehr Raum für sich zu beanspruchen. Die ursprünglichen 12 Lieder (das großartige "When The Tigers Broke Free" kam erst beim 2004er-Remaster als Track 4 auf das Album) sind (mit einer Ausnahme) allesamt sehr ruhig gehalten, und da lange Instrumentalpassagen fehlen blieb mehr Raum für Text. Bereits das (von Roger Waters entworfene!) Album-Cover gibt die Richtung vor und zeigt mehrere Stoffstreifen britischer (bzw. Commonwealth) Militär-Abzeichen aus dem Zweiten Weltkrieg. Krieg gab es auch 1982, Stichwort Falklandkrieg mit Margaret Thatcher als britische Leitfigur, die übrigens unter anderem wegen des britischen Sieges wiedergewählt wurde. Kritik an ihrer Politik wurde in diesen Jahren von zahlreichen Musikern und Bands betrieben - von Linton Kwesi Johnson, UB40 und The Style Council bis hin zu The Clash und The Specials (und viele mehr), ja, und eben auch von Roger Waters auf "The Final Cut". Gleich im Eröffnungslied "The Post War Dream" heißt es Richtung 'Maggie' Thatcher anklagend "and it can't be much fun for them / beneath the rising sun / with all their kids committing suicide / what have we done Maggie what have we done?" Waters schuf mit diesem Songzyklus eine Art Mahnmal, eine Markierung gegen die Sinnlosigkeit aller Kriege.

Foe and friend / we were all equal in the end

Soundcollagen und ein Orchester, das bisweilen wie aus einer fernen Vergangenheit in die von Waters gesungenen Melodien integriert sind, verbinden den Zorn und die Sentimentalität, die Kriegsohnmacht mit den schmerzhaften Erinnerungen an Waters' Vater. "His dream is driving me insane / in the corner of some foreign field / the gunner sleeps tonight / what's done is done / we cannot just write off his final scene / take heed of the dream", heißt es an einer Stelle, und genau diese Textintensität ist auch die ganz große Stärke des Albums. In den Hintergrund rückt hingegen das letzte Stück Bandgefühl. Wer auf weitere geniale Gitarren-Soli von David Gilmour wartet wird enttäuscht sein, denn seine Parts beschränken sich auf zwei Lieder und auch der Part von Nick Mason ist limitiert. Der musikalisch tragende Teil des Albums stammt von Michael Kamen, der am Piano und Harmonium zu hören ist und das National Philharmonic Orchestra dirigiert. Diese musikalische Ausrichtung passt natürlich perfekt zum Thema Zweiter Weltkrieg und Krieg im Allgemeinen. Diese Idee scheint bei Roger Waters bereits längere Zeit im Raum gestanden zu sein, denn bereits in einer frühen Entwicklungsstufe zu "The Wall" (nachzuhören in der Immersion Box) hört man aus fernen Raume das schwelgerisch-orchestrale Momentum des Liedes "We'll Meet Again", gesungen von Vera Lynn im Jahr 1942 [das Lied "Vera" aus "The Wall" ist nach ihr benannt; Anm.]. Vera Lynn ist übrigens die mit 92 Jahren älteste lebende Sängerin, die es schaffte mit einem Album (nämlich mit "We'll Meet Again - The Very Best of Vera Lynn"; 2009) auf Platz 1 der britischen Albumcharts zu kommen. Mit Orchester und Chor sang Lynn für die britischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, mit Orchester und Chor singt Roger Waters gegen den Kriegswahnsinn, teilweise mit radikalem Zynismus, so z.B. in "The Fletcher Memorial Home", wenn er all die Tyrannen und Könige in eine Art Heim steckt, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können. "And they can appear to themselves every day / on closed circuit t.v. / to make sure they're still real", singt Waters da, um sie alle (Reagan, Haig, Begin, Thatcher, Paisley, Brezhnev...) darin zu begrüßen, damit sie ihre Orden polieren können, um am Ende des Liedes, wenn alle da sind, "die Endlösung auf sie angewendet werden kann." Den Schlusspunkt des Albums setzt das Lied "Two Suns in the Sunset", das den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki thematisiert, und Roger Waters schlussfolgert dabei: "Finally I understand / the feelings of the few / ashes and diamonds / foe and friend / we were all equal in the end." Nur wenig später ist das nukleare Desaster erneut Thema bei Roger Waters, nämlich im superben Soundtrack zum Kinofilm "When the Wind Blows" (1986) als gewissermaßen logische Weiterführung zu "The Final Cut", diesem bis heute zu Unrecht grob unterschätzten Requiem von Pink Floyd. //

Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 5 / Teil 6

Text: Manfred Horak
Foto: EMI

Pink Floyd: The Piper At The Gates Of Dawn
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: EMI (1967; Remastered 2011)

Pink Floyd: The Final Cut
Musik: @@@@@
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: EMI (1983; Remastered 2011)

Pink Floyd Discovery: Alle 14 Alben im Box-Set
Musik: @ bis @@@@@@
Klang: @@@@ bis @@@@@@