Ein sperriges Werk, das nicht dazu einlädt nebenher konsumiert zu werden, legt die großartige Kate Bush mit "50 Words For Snow" vor, ihrem 10. Studio-Album, und dem ersten nach "Aerial" (2005) mit gänzlich neuem Liedmaterial.

"50 Words For Snow" ist ein Konzept-Album über - dem Titel entsprechend - Schnee bzw. zur Jahreszeit Winter ohne "Last" oder sonstige "Christmas-es" zu besingen. Man hört zwar winterliche Impressionen wie z.B. Schneesturm und Glocken im Song "Wild Man" - Romantizismen, Klischees oder Verklärungen jedweder Art wie wir sie aus der Weihnachtsliedliteratur kennen, kommen bei Frau Bush jedoch, wenig überraschend, dezidiert nicht vor. Sieben Wunder an Liedern bei einer Gesamtspiellänge von 65 Minuten 11 Sekunden, die recht rasch zum täglichen Fixpunkt im hauseigenen CD-Player werden, zunächst einmal, weil man von dieser Sperrigkeit fasziniert ist, dann, weil man auf diese genuinen Liedgewalten einfach nicht mehr verzichten möchte. Der Einstieg ins Album erfolgt mit dem Lied "Snowflake" mit Albert McIntosh (der Sohn von Kate Bush) als Lead-Sänger, dessen Gesangsstimme sich in unglaubliche Höhe raufschraubt während Mutter Kate wider dem Weltenlärm den quasi Refrain "The world is so loud. Keep falling. I'll find you" über den Schneekristall spricht. Das erste Wunder an Lied, ein in Langsamkeit erstarrter Kristall. In diesem Tempo geht es zunächst weiter, nämlich im zweiten Wunder an Lied, "Lake Tahoe", mit dem Counter-Tenor Stefan Roberts als Gastsänger und die Fernseh-Doku-Stimme des BBC-Historikers Michael Wood. Ein mystisches Vexierbild, eingebettet im Piano-Spiel von Kate Bush, in den Drum-Fantasien von Steve Gadd und den immer breiter werdenden Orchester-Sounds. Der Schneemann steht danach im Zentrum vom dritten Wunder an Lied namens "Misty". Das Schneemann-Lied hat einen deutlichen Jazz-Einschlag, Danny Thompson bedient dabei den Kontrabass, Steve Gadd sitzt (in sechs der sieben Songs übrigens) hinterm Schlagzeug, Kates Lebensgefährte Dan McIntosh spielt die Gitarre und Kate selbst natürlich spielt Klavier. "Roll his body / Give him eyes / Make him smile for me / Give him life", singt sie im Beginn von "Misty", das sich in Fantasien begibt, die den Schneemann lebendig werden lassen: "And when I kiss his ice-cream lips / And his creamy skin / His snowy white arms surround me / So cold next to me / I can feel him melting in my hand". Kate Bush hat ja immer wieder mal explizit sexuell betonte Liedtexte geschrieben, in diesem Fall kann man sogar in die Blues-Literatur zurückgehen, aber garantiert finden sich auch in der klassischen englischen Literatur Metaphern. Wie auch immer: Kate Bush gelang mit "Misty" ein musikalischer Genie-Streich. Das vierte Wunder an Lied ist zugleich der erste Pop-Song auf dem Album und auch die Single-Auskopplung. "Wild Man" handelt vom Yeti und Kate ist also inmitten des Himalaya-Gebirges. "Lying in my tent, I can hear you cry echoing round the mountainside / You sound lonely", singt Kate und wird dabei vom Sänger Andy Fairweather Low (The Who; Roger Waters) begleitet. Bitte lasst den Yeti in Ruhe, meint sie in "Wild Man" sinngemäß, und vor allem, lasst uns doch nicht alle Geheimnisse erklären, Mystik belebt schließlich die Fantasie. Überraschung bereitet das fünfte Wunder an Lied, "Snowed In At Wheeler Street". Hier ist nämlich Sir Elton John als Gastsänger zu hören, das Lied also ebenfalls ein recht poppiges ohne glücklicherweise im üblichen Elton-John-Schmus unterzugehen, im Gegenteil, auch wenn die Geschichte die zwei Königskinder, die einfach nicht und nicht zueinanderfinden, besingt. So viel Ohrwurmpotenzial in diesem Duett auch liegt, der Höhepunkt des Albums ist das Lied danach, das sechste Wunder an Lied, der Titelsong. 50 Wörter für Schnee in der Sprache der Inuit, in der Sprache der Engländer, in der Sprache der Fantasie. Und da hört man dann so schöne Begriffe wie "Vanilla Swarm. Whippoccino. Boomerangablanca. Whirlissimo.", vorgetragen von Professor Joseph Yupik alias Stephen Fry, durchnummeriert und angetrieben von Kate Bush. Dieses Lied steht in der langen Reihe der übermächtigen Lieder von Kate Bush, beginnend bei "Wuthering Heights" bis hin zu "Pi" aus dem Aerial-Album. Gewissermaßen als Zugabe gibt es dann auch noch das siebte Wunder an Lied, "Among Angels", das perfekt den Kreis zum Eröffnungslied "Snowflake" schließt. Ein Album - ihr zweites (nach Director's Cut) im Jahr 2011 - das zusätzlich mit einem herausragenden Art-Work daherkommt und uns als klug durchdachtes Gesamtkonzept den nötigen und auch sinnlichen Halt gibt, um mit Kate Bush über den strengsten Winter zu kommen. //

Text: Manfred Horak
Foto: Fish People

Album-Tipp:
Kate Bush: 50 Words For Snow
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@@
Art-Work: @@@@@@
Label/Vertrieb: Fish People / EMI (2011)

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