Sie gab nie auf Widerstand zu leisten und hat sich längst wieder einen fixen Platz im Universum der Audiophilen erobert - und vor allem gesichert: Vinyl lebt. Wolfgang Rauscher sprach mit zwei Repräsentanten, die sich dem schwarzen Gold verschrieben haben.
Erfreuliche Nachrichten für echte Musikliebhaber, die weiterhin nicht darauf verzichten wollen, Musik auf Vinyl zu hören: Vinyl lebt! Galt die Vinyl-Schallplatte im Jahr 2006 mit 600.000 verkauften Exemplaren schon fast als verloren, wächst ihre Beliebtheit von Jahr zu Jahr. Mit einem Anstieg um 33 Prozent durchbricht sie 2009 sogar wieder die Millionengrenze und verkaufte sich (in Deutschland) 1,2 Millionen Mal (siehe Grafik am Ende des Artikels). Laut dem Jahreswirtschaftsbericht 2009 des Berufsverbands Musikindustrie (BVMI) dürfte der tatsächliche Absatz des "Schwarzen Goldes" jedoch noch weit höher liegen, da viele Langspielplatten in kleinen Spezialgeschäften oder über eingeschworene Online-Communities verkauft werden, deren Absätze wegen fehlender Scannerkassen nicht in der Statistik des BVMI erfasst werden. Die gute alte Langspielplatte (LP) wird sich also auch in Zukunft weiterhin drehen und sorgt im Jazzbereich sogar für Umsatzzuwächse. So jubelte das US-Magazin "Down Beat" im Mai 2009 "Jazz Vinyl Makes Comeback" und schrieb, dass der Verkauf von neu produzierten Platten im Jahr 2008 (in den USA) gegenüber dem Vorjahr um 89 Prozent stieg. Wolfgang Rauscher sprach mit zwei Repräsentanten, die sich dem schwarzen Gold verschrieben haben. Bernd Kammerer ist Inhaber von Da Capo Records, einem feinen Laden in Fürth (D), aber in Wahrheit von uns ebenso nur einen Mausklick entfernt wie der heimische Lokalmatador Thomas Epple alias Vinyltom in Wien (A).
Kulturwoche.at: Die Diskussion, ob nun CD oder Vinyl usw., ist ja seit langem obsolet. Die Schallplatte scheint sich nun auch in der Generation zwei nach ihrer zweiten Geburt langfristig zu behaupten - Vinyl lebt. Worauf führt ihr die ungebrochene Beliebtheit analogen Hörgenusses zurück?
Bernd Kammerer (BK): Es spielen hier verschiedene Faktoren eine Rolle. In erster Linie ist die Schallplatte ein Klangmedium mit sehr guter Klangqualität und langer Lebensdauer. Mit den technischen Fortschritten und entsprechendem Aufwand ist es heutzutage möglich, eine bisher nie da gewesene Qualität zu erreichen. Ein anderer Punkt ist, dass die LP als Medium den Fokus auf die Gesamtheit des Albums legt. Im Vordergrund steht nicht der Hörkonsum einzelner Stücke sondern der Genuss eines ganzen Albums als Gesamtkunstwerk. Eine Schallplatte legt man nicht einfach mal schnell zwischendurch auf und konsumiert nebenbei, eine Schallplatte hört man bewusst. Man nimmt sich Zeit dafür, studiert das Cover, legt die Platte auf und genießt. Das hat etwas mit Kunst und Kultur zu tun. Bei den digitalen Medien sehe ich das nicht in dieser Ausprägung. Was natürlich auch mitspielt ist, dass die Schallplatte einen gewissen nostalgischen Kult-Charakter hat und in der Zeit digitaler Medien man auch etwas "in der Hand haben" möchte.
Thomas Epple (TE): Richtig, die Schallplatte wird die CD und auch Blu-ray locker überleben! Die erfreuliche Trendwende des bewussten Musikhörens - für die Schallplatte muss ich mir Zeit nehmen und sie, zumeist, einmal umdrehen - kann gar nicht genug betont werden. Die Emotionen werden von keinem Tonträger so getriggert, wie von der Schallplatte und das hat nicht nur mit dem weichen Sound zu tun, auch das Artwork für das Cover trägt einiges zum Kultstatus bei. Fragen Sie einfach einmal einen Grafiker - schon alleine das Format ist großartig! Von den 1950er bis ca. 1970er Jahren gab es zudem auch noch echte Persönlichkeiten wie z.B. Lion + Wolff, die Brüder Ertegun, etc., in der Musikbranche, die auf anständige Produktionen Wert legten und somit sehr viele Schallplatten als Gesamtkunstwerk erschienen sind. Solche sind heutzutage in der Musikindustrie leider so gut wie nicht mehr vorhanden... - Und die jungen Leute entdecken wieder die Musik ihrer Eltern und die Liebe zur Schallplatte, indem sie in Papas Plattensammlung stöbern...
Bei aller Nostalgie - ihr seid mit euren Läden ja nur einen Katzensprung, besser: einen Mausklick voneinander und von uns entfernt. Daher zur Sache - gibt es persönliche Schwerpunkte in eurem Sortiment?
BK: Wir haben ein sehr breites Sortiment mit über 30.000 LPs im Angebot und verschließen uns weder vor Neuem noch Exotischem. Unser Schwerpunkt liegt in erster Linie auf "audiophilen" LPs und klanglich vorzüglichen Schallplatten. Musikalisch sind die Schwerpunkte bei uns Jazz, Blues und Rockmusik, insbesondere Classic Rock.
TE: Meine Entscheidung für das virtuelle Plattengeschäft war sicher richtig. Ich starte gerade in das fünfte Jahr und ich werde auch weiterhin nur im Internet präsent sein. Vor kurzem habe ich einen massiven Schwerpunkt in Richtung Jazz gestartet, von Blue Note Originalen bis hin zu Avantgarde und Free Jazz, aber es gibt selbstverständlich auch weiterhin ein ausgewogenes Programm an Rock + Pop der 1960er bis 1980er Jahre, Austropop, Soul + Funk, sowie auch etwas Klassik und Zeitgenössisches, etc.; Insgesamt biete ich ständig weit über 5.000 Schallplatten Online an.
So erfreulich es ist, sich auch im digitalen 21. Jahrhundert mit den schwarzen Scheiben Freude bereiten zu können, so liegt doch ein weiterer Reiz für Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber doch auch darin, wieder an die Originale zu gelangen. Bietet ihr auch die Möglichkeit, Originalpressungen aus ihrer Zeit bei euch zu erwerben?
BK: Unser Sortiment beschränkt sich weitestgehend auf neue und klanglich neu überarbeitete Pressungen. Hier ist für jeden etwas dabei, die Auswahl extrem groß. So genannte "Originale" führen wir nur sehr eingeschränkt im Sortiment, wobei wohl erst mal zu klären wäre, was man als "Originalpressung" bezeichnet.
TE: Neuerscheinungen biete ich seit einiger Zeit überhaupt keine mehr an, da die Musikindustrie leider keinerlei Wert mehr auf Press- und Druckqualität legt, wie ich bereits vorhin erwähnte. Die Preise beginnen bei wohlfeilen 2,- Euro und gehen bei raren Sammlerstücken - in entsprechendem Zustand wohlgemerkt - in den dreistelligen und sogar vierstelligen Euro-Bereich. Ein Jungsammler, der einfach gerne Platten hört und sich auch mit Nachpressungen begnügt, kann hier schon unter 10,- Euro Platten in feiner Qualität erstehen und sich somit recht günstig eine Sammlung zusammenstellen. Auch wenn man bei mir keine Platten anhören kann, garantiere ich den beschriebenen Zustand zu 100 Prozent. Wer aber das Mono Original aus den 1950ern in neuwertigem Zustand sucht, muss schon deutlich tiefer in die Tasche greifen...
Die klangBilder geben in Wien einen perfekten Treffpunkt für eure Klientel ab. Du bist mit deinem Unternehmen ja schon wiederholter Maßen Gast auf Ludwig Flichs Messe. Möchtest du, ehe es hier wieder losgeht, ein Zwischenresümee ziehen?
BK: Die klangBilder sehe ich nicht primär als Messe im üblichen Sinne, eher ist es ein faszinierendes Event in perfekter Umgebung, bei dem man sich ungezwungen und in sehr angenehmer Atmosphäre trifft, seinem Hobby frönt und sich neue Klangwelten erschließt. Es macht einfach Spaß, dabei zu sein. Und wenn es vorbei ist, freut man sich schon wieder aufs nächste Jahr.
Wie sieht es bei dir aus? Sehen wir dich auch auf den klangBildern?
TE: Obwohl ich nach wie vor das Live Konzert und die Schallplatte vorziehe interessieren mich natürlich auch neue Technologien bis zu einem gewissen Grad und da werde ich schon hinschauen und -hören! Außerdem soll es ja auch eine Weinverkostung geben und nach einer solchen kann man ja gerne zur CD greifen, um die Schallplatten zu schonen...
Bei so vielen Scheiben... Hat Bernd Kammerer auch eine absolute Lieblingsplatte?
BK: Eine einzige Lieblingsscheibe habe ich nicht, aber es gibt bestimmte Musik und auch Scheiben, die ich gerne zwischen all den neu zu hörenden Schallplatten auflege. Dazu gehören viele Jazz-LPs wie z.B. "Midnight Blue" von Kenny Burell oder die Blue Note-1500er-Serie, Pop-Alben wie "Piece by Piece" von Katie Melua, aber auch die Blues-Scheiben von Wolfgang Bernreuther. Wichtig für mich ist, dass die LP auch klanglich wirklich gut gelungen ist, denn eine klanglich schlechte Pressung macht einfach keinen Spaß.
...und Thomas "Vinyltom" Epple?
TE: Ja, "Mama Rose" von Archie Shepp, und zwar die Version mit Jasper Van't Hof, war meine erste Jazzplatte, und die trägt auch eine Widmung von Mr. Shepp ["Keep On Swinging Thomas"; Anm.] und ist selbstverständlich unverkäuflich!
Danke für das Gespräch. //
Interview: Wolfgang Rauscher
Mitarbeit: Manfred Horak
Kurz-Infos:
klangBilder
Österreichs Messe für gehobene Unterhaltungselektronik
11.-13. November 2016 im Arcotel Kaiserwasser, 1220 Wien, Wagramer Straße 8
Links:
Dacapo Records von Bernd Kammerer
Vinyltom von Thomas Epple
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