"Die ganze Kultur selbst war längst zur Ware verkommen: korrupt, übergewichtig, lächerlich und unwichtig." Was wie ein heute gesagtes Statement klingt, ist ein Zitat von Malcolm McLaren, bezogen auf die Attraktivität von Punk der 1970er Jahre, Stichwort Sex Pistols. Malcolm McLaren, der gleichermaßen verehrte wie verhasste Provokateur, Anarchist, Modemacher, Manager und Musikschaffender, starb 64-jährig am 8. April 2010 an einem Krebsleiden.
Er war der große Rock'n'Roll-Schwindler, der "Rattenfänger des Pantomimenpop", wie ihn Simon Reynolds im Buch "Rip it up and start again: Schmeiß alles hin und fang neu an: Postpunk 1978-1984" (Hannibal Verlag; 2007) bezeichnete. Er ließ die Sex Pistols als Marionetten auftreten und zog die Fäden. Ohne ihn, McLaren, gäbe es keinen Punk, davon sind viele überzeugt und diese Behauptung kann man tatsächlich durchaus stehen lassen. Wobei die Ursprünge von Punk nicht in der Musik lagen, sondern in der Mode. "Nur die Mode", so McLaren in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitschrift ZEIT, "hat diese außergewöhnliche Kraft, eine massenhafte Identität herzustellen. Sie ist sofort erkennbar als Rüstung, Abzeichen, Uniform - als eine Waffe. Punk war eine fantastische Mode, aber ich brauchte die Musik. Nur zusammen ergaben sie das vollständige Bild von dem, was damals in den Straßen passierte." Dass die Sex Pistols und Malcolm McLaren keine guten Freunde blieben sollte allgemein bekannt sein, ebenso, dass McLaren die Fäden durchgeschnitten wurden, die Pistols also keineswegs seine Marionetten blieben. McLarens offensichtlicher Antrieb, die Kritik an der Warengesellschaft, ging immer wieder so weit, dass er, wie er einmal erwähnte, sobald ein neuer Star geschaffen war, ihn auch wieder zerstören wollte. Nach den Sex Pistols übernahm er die Manager-Rolle von Adam & The Ants, feuerte jedoch den Sänger (bevor sie richtig erfolgreich wurden), ersetzte Adam durch Annabella Lwin und formt aus den adamlosen Ants die Band Bow Wow Wow. Es war ein Patchwork an Ideen, zusammengekleistert aus historischen und tagesaktuellen Themen, verwoben mit zukunftsweisenden Elementen. Ja, McLaren war manchmal seiner Zeit ziemlich weit voraus, und das hatte mehrere Gründe, hier muss man weiter ausholen. 1980 bestand die größte Sorge der Musikindustrie nämlich darin, dass musikbegeisterte Menschen zu Hause Musik aus dem Radio mitschnitten. Kassettenpiraterie heißt dieses Stichwort, was, angesichts von gegenwärtigen Filesharings, nahezu lächerlich wirkt, aber bitte, war eben so. Zudem war gerade der Walkman auf den Markt gekommen. McLaren begriff einerseits - und übrigens schneller als alle anderen - dass Musik mit dem Aufkommen tragbarer und mobiler Tontechnologie Musik für die Menschen allgegenwärtig werden würde, dadurch aber eben auch weniger wichtig werden würde, oder, wie Reynolds schreibt: "Wegwerfsoftware für elegant entworfene, hochgradig fetischisierte Freizeittechnik - wie die MP3-Player und iPods von heute." Andererseits fand McLaren, dass der Ruin der Plattenindustrie ein Grund zum Feiern sei. Und genau das manifestierte sich direkt in der Musik von Bow Wow Wow, nämlich in der Verherrlichung der Kassettenpiraterie anhand des Songs C-30, C-60, C-90 Go!. Nicht nur das, denn so nebenbei "entdeckte" er afrikanische Rhythmen für den Mainstream, genauer formuliert die Burundi-Trommeln, die er mit Post-Punk und Pop verband und so der Weltmusikwelle einige Jahre voraus war. Nun, vermutlich hörte McLaren Joni Mitchells "The Hissing of Summer Lawns" aus dem Jahr 1975 rauf und runter, und hier vor allem das Lied The Jungle Line, als ihm die Idee, die Vision, kam. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren. Dennoch und aus vielerlei Gründen hatte auch Bow Wow Wow ein Ablaufdatum. 1982 trat die Band - mit Go Wild in the Country erfolgreich in den Charts vertreten - in New York auf, dort lernte McLaren HipHop kennen, beschloss sein eigener Star zu werden und ließ also die Band fallen, oder, um nochmals zu wiederholen was er einmal sagte: "Sobald ein neuer Star geschaffen war, wollte ich ihn auch wieder zerstören." Folkdances of the World 1982 war Malcolm McLaren felsenfest davon überzeugt, dass "die allgemeine Wiederentdeckung des Erdigen und Ethnischen unmittelbar bevorstand." Wenn man nach einem Geburtsjahr von World Music sucht, dann kann man daher durchaus das aus diesen Überlegungen entstandene Album "Duck Rock" (Virgin; 1983) als Geburtshelfer in Betracht ziehen. Ursprünglich mit dem Titel "Folkdances of the World" versehen ist dieses Album ein Konglomerat aus Pop aus den südafrikanischen Townships, Hillbilly aus den Appalachen, Merengue aus der Dominikanischen Republik, Cajun, kubanischen Rhythmen und HipHop inklusive Rap und Scratching. "Duck Rock" ist ein ziemlich revolutionäres Album, Scratching taucht hier nämlich genauso zum ersten Mal im Pop-Mainstream auf, wie die Vermengung völlig konträrer Musikkulturen. HipHop und Square Dance wurden in Buffalo Gals zur Einheit, und all die Collagen aus Beats, Bässen und Samples gelten allgemein als Grundstein von Jungle und TripHop, zudem bekam man anhand seiner ethnomusikologischen Feldstudien erstmals eine Ahnung was in der World Music alles noch möglich sein wird. Zwischen Volkstümlichkeit und Kulturpiraterie vermittelt "Duck Rock" eine panglobale Stimmung und enthält mit "Obatala", Double Dutch, "Merengue", "Punk it up", "Legba", "Jive My Baby Jive", "Song for Chango", "Soweto", World's Famous, Duck for the Oyster und natürlich "Buffalo Gals" elf Genialitäten ersten Ranges, umgesetzt wie eine Radio-Sendung im Weltsender. Dass "Duck Rock" in allen Belangen aufging war aber letzten Endes dem Kreativ-Team um McLaren zu verdanken, allen voran Trevor Horn (DEM Starproduzenten von 1982), Arrangeurin und Keyboarderin Anne Dudley und dem Programmierer J.J. Jeczalik, die später mit Art of Noise ihr eigenes Ding drehten und "Duck Rock" sogar als "prototypisches Art-of-Noise-Album" bezeichnen. Aber das interessierte McLaren (leider) gar nicht mehr so richtig, denn noch vor Fertigstellung von "Duck Rock" bastelte er bereits an der nächsten musikalischen Revolution, nämlich an seiner eigenen Kombination aus Pop und Oper. Madame Butterfly war die Hitsingle und das sehr gute Album "Fans" (EMI; 1984) wurde ebenfalls ein anständiger Erfolg, auch wenn es nicht die von ihm angesagte und erhoffte Musikrevolution auslöste. Diese Idee entwickelte McLaren jedoch weiter und veröffentlichte - nach dem "Duck Rock"-Outtake Album "Swamp Thing" (1985) - das reichlich abgefahrene und überladene Waltz Darling (1989), auf dem er den Madonna-Kult der 1990er Jahre vorwegnahm. In den 1990er Jahren wiederum versuchte er eine gültige Kombination aus Pop, Jazz und französischen Chansons zu finden ("Paris", 1994/95), und bat u. a. Catherine Deneuve vors Gesangsmikro. Zuletzt lieferte Malcolm McLaren mit "Tranquilize" (2005) einen entrückten Mix aus Fernost und Europa, HipHop und Kitsch, Elektro und Rock ab. Zu hören ist darauf u.a. eine grandiose chinesische (!) Version des Kraftwerk-Klassikers "Das Model". Ein Monolith von einem Album, eine große dramatische Oper eines großen Meisters und Provokateurs. Der Anarchist, Modemacher, (Punk-)Manager und Musikkreator Malcolm McLaren starb 64-jährig am 8. April 2010 an einem Krebsleiden. (Manfred Horak) |
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