mit den Schlagworten:

pat-metheny-jimmy-katzMit großer Spannung wurde die Präsentation von "Orchestrion", dem neuen Album vom vielfachen Grammy-Gewinner Pat Metheny erwartet, der mit seinen Gitarren und einem Wunderwerk an mechanischen Orchester am 25. Februar 2010 im Wiener Konzerthaus gastierte.


Es war ein langer, sich lohnender Konzertabend, von dem man noch lange zehren wird können. Kurz nach 21 Uhr betrat Pat Metheny die Bühne im Großen Saal vom Konzerthaus Wien, rund um ihn waren ein paar exotisch aussehende Instrumente aufgestellt, zudem Türme von Holzkisten und ein großer roter Vorhang, der einen Teil der metheny-roboterorchester02Bühne verdeckte. Eigentlich stellte man sich das "Orchestrionics" [eine Wortschöpfung aus Orchestra und Electronics; Anm.] weniger einzelteilig, dafür aber weitaus größer vor, schon alleine, weil beim fast gleichnamigen Album die verschiedenen Instrumente des Klangkörpers aufgelistet wurden, und diese Liste ist deutlich länger als das was man zu sehen bekam. Was sich noch als großes Spektakel entpuppen sollte, begann mit einer medleyesken Fingerübung von Herrn Metheny, forderte hernach parolenhaft "Make Peace" (aus "Metheny Meldau"; 2006), um im dritten Stück zu seiner 42-saitigen Pikasso Gitarre zu greifen, den Klang des Wassers nachspürend. Sein "The Sound of Water" (aus "Metheny Meldau Quartet"; 2007), nährte sich gefühlsmäßig aus japanischer Zen-Tradition, gespickt mit den hellen, reinbunten Farben und den metheny-roboterorchester01ineinander fließenden komplementären Kontrastfarben aus dem Impressionismus und ließ erstmals erahnen, dass uns Publikum noch großartiges bevorsteht. Das "Orchestrionics" diente bei den ersten Stücken nur als visueller Anknüpfungspunkt, erstmals musikalisch einbezogen wurde es an diesem Konzertabend bei Methenys Frühwerk "Unity Village" (aus "Bright Size Life"; 1976). Mit dieser ersten Einführung bewies er in erster Linie die prinzipielle Kompatibilität älterer Stücke mit der mechanischen Klangwelt, die fortan das Konzertgeschehen maßgeblich prägen sollte. Nach dieser wunderbaren Performance senkte sich nämlich der rote Vorhang und ein erstauntes Raunen ging durchs Publikum.

Methenys Wundermaschine

Als kleiner Junge, so gab Pat Metheny einmal zu Protokoll, fand er im Keller seines Großvaters ein mechanisches Klavier, das mittels Lochkarten seine Tasten bewegen und Musik erzeugen konnte. Diese Kindheitserinnerung ließ ihn seither nicht mehr los, aber erst vor wenigen Jahren begann er diese Erinnerungen auch insofern aufzuarbeiten, indem er sein "Orchestrionics" bauen ließ, das über elektromagnetische Solenoid-Übertragungen funktioniert [was auf die Tatsache beruht, dass elektrischer Strom eine Magnetnadel ablenkt, sowie der Entwicklung des metheny-roboterorchester05'Multiplikators' im Jahr 1820, also einer Spule bestehend aus mehreren Windungen eines Drahtes, dem 'Solenoid', um damit eine mögliche Wandlung des elektrischen Stromes in eine mechanische Bewegung einzusetzen. Anders formuliert: Methenys "Orchestrionics" funktioniert wie elektrische Telegrafie; Anm.]. Wer aber nun glaubt, dies sei ein rein elektronisches Musikinstrument, irrt, denn Metheny machte aus dieser Wundermaschine, das aus Hunderten von Teilen, Dutzenden von Druckluftpumpen und aus über 40 Musikinstrumenten besteht, eine komplett mechanisch erzeugte Welt akustischer Klänge. metheny-roboterorchester03Was herauskam und sichtbar wurde erfreute gleichermaßen Ohren und Augen. Es blinkte und leuchtete, und wie von Zauberhand wurde auf Becken getrommelt, Gitarre und Bass gespielt, das Vibraphon betätigt, seltsame Geigenklänge auf noch nie gesehenem fabriziert, auf Flaschen geblasen, Klavier gespielt, und ach so vieles mehr. Joe Zawinuls Devise "Spiele elektrisch, klinge akustisch" bekam hier eine völlig neue Bedeutung und an einigen Stellen kam es dem Betrachter so vor, als ob der Spirit von Zawinul bzw. von den frühen Weather Report tatsächlich in Methenys Spiel einfloss, immerhin stand dem Gitarristen auf seinem ersten Album der Weather Reporter und Bass Innovator Jaco Pastorius zur Seite. Wie auch immer: Das Konzerthaus füllte sich nach und nach mit reichhaltigen Orchesterklängen, manchmal zart umschmeichelnd, dann wieder überschwappend großflächig, und mittendrin der Gitarrist, der auf seinem Arbeitsgerät allerhand zu tun hatte, denn er spielte ja nicht nur die Gitarre, sondern übertrug, einem Zauberer gleich, sein Spiel auf das "Orchestrionics" und war somit Dirigent und Musiker, der gleichzeitig unzählige Instrumente spielte. Das kann man sehr gut auch auf dem Album "Orchestrion" nachhören - ein Album, das er zur Gänze live spielte.

Seelensuche

Dieser innovative Zugang Musik zu machen hat dabei überraschenderweise keine Grenzen. Im Vorfeld konnten ja bloß Vermutungen angestellt werden, ob Metheny irgendwo einen Schalter betätigt, damit die metheny-roboterorchester04Roboter-Instrumente ihre künstliche Intelligenz abrufen können und das wiedergeben, was Metheny auf CD vorlegte. Weit gefehlt. Methenys "Orchestrionics" ist die Flexibilität pur und lebt alleine von den Gemütsregungen und Gefühlsausbrüchen des Gitarristen. Er steuert, lenkt und formt, und nachdem er durch war mit den fünf Stücken des "Orchestrion"-Albums, die er im übrigen nicht bloß reproduzierte, tauchte er in eine Improvisation ab, bei der, wie er zuvor meinte, alles passieren kann. Bei dieser ersten Improvisation sah man sehr gut die Reflexartigkeit seiner Musikmaschine, das quasi wie auf Zuruf seitens Metheny auch metheny-roboterorchester06jederzeit gut für Soli ist. Diese Improvisation markierte zudem in gewisser Weise den Übergang zum letzten Drittel des Konzerts, bei dem Metheny in Folge erneut auf älteres Material zurückgriff, so z.B. auf das herrlich agile "Law Years/Broadway Blues" (aus "Bright Size Life"; 1976), auf das verführerische "Dream of the Return" (aus "Letter from Home"; 1993) oder auf das prächtige "Stranger in Town" (aus "We Live Here"; 1995). Das Publikum belohnte Pat Metheny mit lang anhaltenden Standing Ovations, nachdem er nach mehr als zweieinhalb Stunden mit einem überwältigenden "Sueño con México" (aus "New Chautaqua", 1979) die Suche nach der Seele seines mechanischen Klangkörpers beendete. Gefunden hatte er sie bis dahin nämlich schon längst. (Text: Manfred Horak; Fotos: Jimmy Katz, Alexandra Täubler)

Kurz-Infos:
Pat Metheny live
Bewertung: @@@@@@
Die Konzertkritik zum Auftritt am 25. Februar 2010 im Wiener Konzerthaus (Großer Saal) 

metheny-pat01-jimmy-katzSet-List:
01. Metheny Mehldau Medley
02. Make Peace (Metheny Mehldau, 2006)
03. The Sound of Water (Metheny Mehldau Quartet, 2007)
04. Unity Village (Bright Size Life, 1976)
05. Expansion (Orchestrion, 2010)
06. Spirit of the Air (Orchestrion, 2010)
07. Entry Point (Orchestrion, 2010)
08. Orchestrion (Orchestrion, 2010)
09. Soul Search (Orchestrion, 2010)
10. Improvisation
11. Law years / Broadway Blues (Bright Size Life, 1976)
12. Improvisation
13. Antonia (Secret Story, 1992)
14. Improvisation
15. Dream of the Return (Letter from Home, 1993)
16. Stranger in Town (We Live Here, 1995)
17. Sueño con México (New Chautaqua, 1979)
(Mit speziellem Dank an Alexandra Täubler)

pat-metheny-orchestrionCD-Tipp:
Pat Metheny: Orchestrion
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: Nonesuch/Warner (2010)