Der österreichische Elektronikmusiker von Weltformat kehrte am 4.4. 2005 im Porgy & Bess zu seinem Ausgangspunkt zurück um den Weg ein zweites Mal zu gehen. Warum er zurückkehren muss um vorwärts zu kommen erzählte er Alfred Krondraf im Interview ehe er sich in die Türkei zu einigen Konzerten auf den Weg machte.
Kulturwoche.at: Sie spielen am 4. April im Porgy & Bess im Rahmen der Reihe "Im Fokus" gemeinsam mit dem Ensemble XX. Jahrhundert drei Stücke die zwischen den Jahren 1992 und 1996 entstanden sind. Warum greifen sie für dieses Konzert auf eher ältere Stücke zurück?
Karlheinz Essl: Was hier auf den ersten Blick wie ein Rückschritt verstanden werden könnte ist nicht nur für mich zurzeit sehr wichtig sondern lässt sich auch durch meine Geschichte sehr leicht erklären. Ich habe zu Beginn meiner Laufbahn sehr viele Auftragswerke komponiert, Werke die von Orchestern und Ensembles aufgeführt wurden, bei denen ich aber nicht live mitwirkte. 1997 war dann für mich das Jahr des Endes und des Anfangs, ich wollte nicht mehr Schreibtischtäter sein, ich wollte nicht mehr nur Stücke für subventionierte Orchester komponieren. Ich begann, mich mehr und mehr mit freier Improvisation und live Elektronik zu befassen. Aber natürlich haben mir die damaligen Kompositionsaufträge sehr geholfen und ich stehe auch heute noch zu meinen Stücken. Deshalb kehre ich nun an diesen Ausgangspunkt zurück um wieder weiterzukommen. Es ist ja kein lineares zurückkehren, es ist vielmehr ein Art Spirale die sich immer weiterdreht und ich habe eben den Punkt erreicht in der die Gegenwart wieder auf die Vergangenheit trifft und die Zukunft nun wieder neue Möglichkeiten bietet.
Kulturwoche.at: Hat sich an den Kompositionen im Lauf der Zeit etwas geändert oder verwenden sie auch für das kommende Konzert die Originalpartituren?
Karlheinz Essl: Es wurden zwar kleine Änderungen, in der Instrumentierung zum Beispiel, vorgenommen, gesamt betrachtet hat sich aber den Kompositionen nichts geändert. Ganz im Gegenteil, ich wollte damals ein Stück nur von 10 Melodicas interpretieren lassen, war aber damals noch nicht mutig genug. Heute hätte ich mit so einer Idee keine Probleme mehr und würde sie auch umsetzen, ich denke, die Zeit und auch ich, wir wären heute reif für so eine Komposition.
Kulturwoche.at: Eines der Stücke nennt sich "Déviation", französisch für Abweichung. Ist der Titel des Stückes Programm und wovon weicht es ab?
Karlheinz Essl: Auch "Déviation" entstand als 1992/93 während meiner Zeit in Paris als Auftragswerk und die Abweichung ist eine mehrfache. Geplant war Déviation als Seitenstück eines Triptychons, das ein Duo, ein Quartett und wieder ein Duo enthalten sollte. Nun: Letzteres wurde, wie man sieht, ein Sextett, was die Symmetrie des Triptychons über den Haufen wirft - auch dies eine Abweichung, ein Umweg, französisch: eine "Déviation". Bei dem Stück stehen sich zwei Gruppen von Musikern gegenüber und aus dieser mikrotonalen Klangwelt steigen die einzelnen Instrumente auf wie "Sumpfblumen". Es entstehen immer wieder Abweichungen vom Ausgangspunkt. Der persönliche Aspekt der Komposition ist auch leicht erklärt weil im Jahr 1993 mein Sohn geboren wurde und dadurch ebenfalls Abweichungen und Umwege erzwungen wurden.
Kulturwoche.at: Haben alle ihre Kompositionen eine derart starke persönliche Prägung oder ergab es sich eben nur bei diesem Stück?
Karlheinz Essl: Jede Komposition hat ihre Geschichte, aber nicht jede ist so derart persönlich gefärbt. "…wird sichtbar am Horizont" ist eine Textzeile aus einem Gedicht von Ingeborg Bachmann und ich habe diese Komposition einer mir sehr nahe stehenden Person gewidmet die damals von uns ging.
Kulturwoche.at: Ihre Musik nannten sie in einem Gespräch einmal "sich selbst erfindende Musik". Ist der Computer also der Komponist?
Karlheinz Essl: Nein, der PC ist nur das ausführende Organ, mein Instrument sozusagen. Er ist ja abhängig von einem Programm und dieses Programm muss ja einmal geschrieben werden. Natürlich hat der PC eine gewisse Entscheidungsfreiheit wie er die Musik generiert, denn Zufallskomponenten sind eingebaut - aber auch hier gilt: diese Zufallskomponenten sind in einem Programm implementiert. In manchen Stücken habe ich auch den Hörern die Möglichkeit geboten, allein durch ihre Anwesenheit die Abfolge der Töne mitzubestimmen. Ich werde auch in meinem Konzert versuchen, das Publikum aktiv in die Abfolge einzubeziehen und werde auch für Fragen zur Verfügung stehen. Nicht allein das Musizieren sondern die Interaktion ist ein wichtiger Bestandteil dieser Performance.
Kulturwoche.at: Eine weitere von ihnen geprägte Bezeichnung ist der Terminus "Raummusik". Ist damit die Aufteilung der Musiker im Raum gemeint?
Karlheinz Essl: Genau so ist es zu verstehen. Das Geschehen ist nicht auf die Bühne fokussiert, die Musiker sind im Raum verteilt und dadurch entstehen, je nach Aufenthaltsort, sowohl der Musiker als auch der Besucher, vollkommen unterschiedliche Eindrücke und musikalische Bilder. Der Ort des Seins wird in die Musik miteinbezogen.
Das Interview führte Alfred Krondraf.