Mit überschwänglichem Jubel und Standing Ovations wurde
Marianne Faithfull aus der Wiener Staatsoper verabschiedet, nachdem sie das Publikum
nach 90 Minuten mit einem Country-Hatscher aus ihrem aktuellen Album "Easy
come, easy go" nach Hause schickte.
Diese letztlich entfachte Euphorie im Publikum könnte man auch als Dankbarkeit werten, dass Faithfull sich doch noch nach Wien begab und trotz schwerer Krankheit zum Konzert bat. 2008 musste ja bekanntermaßen ihr Auftritt beim Jazzfest Wien aus Krankheitsgründen - bei der Sängerin wurde Brustkrebs diagnostiziert - abgesagt werden. Dankbarkeit, weil man die großartige Sängerin und Songwriterin zumindest noch einmal in Wien live sehen konnte. Und so übertünchte der Faithfull-Faktor doch so manche musikalische Patzer seitens der Band und verfehlte Einsätze der Sängerin. Oft hatte man das Gefühl, dass Sängerin und Band an gewisse Grenzen in ihrem Zusammenspiel stießen - die Band hatte zwar ihre sehr guten Momente, war allerdings bei weitem nicht immer sattelfest, und so musste Faithfull die Musiker manchmal regelrecht aufwecken, damit der Druck erhöht wird. Interessanterweise galt das weniger bei den rockigen Nummern, sondern vielmehr bei den ländlichen Liedern, wie z.B. bei "Kimbie" oder beim Merle Haggard Hatscher "Sing me back home". Nein, mit Country konnte die Band nicht wirklich umgehen, und so verkam auch die Shel Silverstein Nummer "The Ballad of Lucy Jordan", immerhin Faithfulls größter Hit, beinahe zum Fiasko, da Sängerin und Band in die Tempofalle gerieten. Nicht viel besser erging es übrigens "As Tears Go By", ihrem ersten Hit überhaupt, was aber jedem egal war, da es eigentlich eh nur zur Befriedigung des Publikums diente. Die wirklich starken Momente des Konzerts lagen im rockigen Teil, hier wuchs Faithfulls lebenserfahrene Stimme mit dem Sog der Songgewalt regelrecht zusammen, sei es in ihrer aufmüpfigen Polit-Geste von "Broken English", sei es in ihrem Punk-Seitensprung in "Why D'Ya Do It", sei es in „Salvation“, einem Original vom Black Rebel Motorcycle Club, nachzuhören auch auf Faithfulls jüngstem Album "Easy Come, Easy Go" (2008; naive/Lotus), das übrigens nicht das erste Coverversionen-Album der Enkelin von Leopold von Sacher-Masoch ist, aber möglicherweise ihr bislang bestes. Das liegt einerseits am Star-Ensemble mit u.a. Keith Richards, Marc Ribot, Sean Lennon, Nick Cave, Antony, Rufus Wainwright, und andererseits an der Auswahl der Lieder. Ob Jazz-Standards wie Ellingtons "Solitude", Soul-Klassiker wie "Ooh Baby Baby" von Smokey Robinson (mit der überirdischen Duo-Gesangsstimme von Antony) oder Lieder aus dem Back-Katalog der Musikgeschichte von Randy Newman, Morrissey, Traffic, Brian Eno - Faithfull überzeugt in allen Genres. Was auf dem Album so gut klappte erwies sich im Konzert jedoch oft als Hindernis. Alle Musikgrenzen aufbrechen war mit dieser Band, wie erwähnt, leider nicht möglich. Der alles überstrahlende Moment im Konzert war aber dennoch kein härterer Rocksong, sondern eine Ballade von Randy Newman, nämlich "In Germany before the War", das mit einem gefühlvollen Intro aus der "Moritat von Mackie Messer" von Kurt Weill begann, bevor sich die Band und die Sängerin in diesen großen Newman-Song regelrecht reinkniete. Unterm Strich blieb am 4. Juli 2009 in der Wiener Staatsoper ein mittelmäßiges Konzert mit großen Songs und noch größeren Wehwehchen übrig. (Text: Robert Lewski; Fotos: Rainer Rygalyk)
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