.Der Kulturtopograph über einen Troubadour wie er im Buche steht, freilich mit Lederkappe, über Senor Mario Adretti an der Hemmungsorgel und über ein ganz und gar unlustiges Konzert, Marke Shit happens.
31.1. Only A Hobo
Punkt 22 Uhr. Die Band nimmt Aufstellung. Ein Gitarrist, der jeden Frank Zappa Look-alike Wettbewerb mühelos gewinnen würde, aber sein Gesicht mit einer Bären-Fellmütze bedeckt.
Der Sänger, ein Troubadour wie er im Buche steht, mit Lederkappe, stimmt nervös seine etwas klein geratene Gitarre. Der Keyboarder lächelt noch einmal freundlich, auch der Drummer fügt sich in sein Los, macht sich auf den Weg in die kleine Schlagzeug-Rumpelkammer auf der Bühne des Chelsea. Dann geht´s los - entgegen meiner Erwartung haben HOBOTALK wenig mit Country am Hut, sondern spielen einfach schönen Pop mit starken Americana- und Folk-Einflüssen. Während die Band durch einen kompakten Groove besticht, erinnert einem die helle Stimme des Sängers Marc Pilley sofort stark an Tim Hardin. Keyboarder Ali Petri lässt dazu manchmal die Hammond-Orgel aufheulen, die sich besonders bei den souligeren Stücken der Band gut in den Sound einfügt, und wohlige Schauer über den Rücken jagt. Die Zeit scheint still zu stehen bei diesem wunderschönen Konzert, dass nur vom gelegentlichen Nachstimmen der Gitarren sowie den typischen Geräuschen der über dem Lokal dahinbrausenden U-Bahn unterbrochen wird. Bei solcher Musik würde es ja nahe liegen, auf die USA als Ursprungsland zu tippen, doch witzigerweise stammen Hobotalk von der britischen Insel – ja, sind waschechte Schotten. Die Besucher im Chelsea waren jedenfalls nach dem Konzert restlos zufrieden, als Beweis muss der CD- und T-Shirts Verkaufsstand von Hobotalk gelten, der nach der Show regelrecht gestürmt wurde.
1.2. Sehr geehrte Mädel und Buben, an der Hemmungsorgel, Senor Mario Adretti!
Hammond Organ, die Zweite. Harry Pierron widmet sich mit seinem neuen Projekt ADRETTI (u.a. mit Gitarrist Claus Spechtl) den Funk-Jazz Grooves von Orgel-Legenden wie Jimmy Smith, Booker T. And The MG's oder Jazz-Gitarrist Wes Montgomery. Im altehrwürdigen Jazzland am Franz-Josef Kai hatte das einstige Mitglied von Ostbahn Kurti & Die Chefpartie aber noch eine Überraschung besonderer Art parat: Drei junge, talentierte Soul-Sängerinnen hatten sich zur Verstärkung angesagt! Gute Idee, denn obwohl die Band alte Hadern wie „Green Onions“ „Chicken Shack“ oder „Bumpin' On Sunset“ originalgetreu darbot, und Harry Pierron zwischen den Tunes auch als Conferencier mit musikhistorischen Anekdoten gute Figur machte, kam es gerade recht, dass Mary Lamaro, Meena Cryle und Anja Wiesinger zur Abwechslung auch vokale Highlights setzten. Die drei gaben in bester „Blues Brothers“-Manier Soul-Hits von den Staple Singers, Etta James, oder Donovan in mehrstimmigen Arrangements zum Besten, deren Power sich niemand im „Landl“ entziehen konnte. Vor allem Mary Lamaro beeindruckte mit Ihrer tiefen, dunklen bluesigen Stimme und ihrer abgeklärten Performance, aber auch Meena Cryle ist ein Name, den man sich merken sollte, obwohl sie Ihre vokale Phrasierung manchmal noch ein wenig übertrieb. Anyway, trotzdem sehr fein und erfreulich, dass es in Wien so talentierte, junge Sängerinnen gibt!
4.2. Die spinnen die Schweizer!
Das nervt! Ein Konzert, das für 20 Uhr angekündigt ist und erst um 22.30 Uhr beginnt!
Natürlich kann dir auch niemand im Lokal genau über die genaue Beginnzeit Auskunft geben,
eh klar. Was hatte mich dazu geführt, solche Mühsal auf mich zu nehmen? Irgendwo einen Flyer mitgenommen, der das Konzert der PEACOCKS aus der Schweiz als „ melodischer Punk mit Rockabilly-Einflüssen“ anpries, war an allem schuld und führte mich Samstagabend ins winzige Shelter am Wallensteinplatz. Als die Band endlich auf die Bühne steigt, ist es in dem kleinen Saal so eng, dass man sich kaum bewegen kann. Ein Hippie mit langen Haaren, der ausgelassen zu Tanzen beginnt, wird von einigen „harten“ Typen vollkommen übertrieben
aggressiv gestoppt und gewürgt. Zwei andere „Fans“ finden es lustig im Bereich vor der Bühne angedeutete Faustkämpfe auszutragen. Die Musik scheint hier Nebensache zu sein.
Obwohl die Band ganz okay ist, druckvoll spielt und der Bassist mit seinem riesigen, schwarzen Kontrabass sogar echt rockabilly-mäßig herumturnt, kann ich das Konzert nicht mehr genießen. Und auch der CD-Kauf („Höre ich sie halt zuhause!“) nach der Show gerät zu einem einzigen Fiasko: Der Merchandising-Mann ist gezählte 20 Minuten unauffindbar!
File under: Shit happens.
(Robert Fischer)