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agitation-freeIn der nicht näher definierten Krautrock-Reihe von SPV erscheinen seit einigen Jahren unzählige Alben, die allesamt die musikalische Aufbruchstimmung in Deutschland - ausgehend vom Summer of Love 1967 - zum Ausdruck brachten. Die Band Agitation Free ist eine davon. "Last", "Live '74", "Fragments" und "River of Return" erinnern an die unbändige Kraft und Vitalität dieser Formation.

 

 

Irgendwie stellt sich schon auch die Frage, was eigentlich aus all den Musikern wurde, die zumeist in Wechselwirkung mit anderen Bands in Deutschland einen großen Einfluss auf die Musikkultur ausübte, und die, so individuell die Bands auch waren, im großen Genre-Topf namens Krautrock vereint waren. Nun, im Falle der Musiker von Agitation Free, die bis Ende 1974 mit improvisiertem Space-Rock glänzten, gab es kein Schwarzes Loch, in das sie hineinfielen. Die Musiker wechselten zu Tangerine Dream, Guru Guru, Ashra und sind bis heute aktiv. Der Gitarrist Lutz "Lüül" Ulbrich z.B. spielt in der sehr hippen und sehr guten Band 17 Hippies, die bereits beim KlezMORE Festival 2007 in Wien zu hören waren, und aktuell mit dem Album "El Dorado" in der Liederbestenliste Deutschland vertreten sind.

Rock-Improvisation ohne Alterserscheinungen

agitation-free-lastAber wieder zurück zu den Klangfantasien von Agitation Free. Auf "Last" waren gerade mal 3 Stücke am Original-Album vertreten, "Soundpool" (Dauer: 5:50), "Laila II" (Dauer: 16:52) und das psychedelisch-epische "Looping IV" (Dauer: 22:19), auf dem vorliegenden Re-Release gibt es mit "Schwingspule" (Dauer: 10:59) noch einen weiteren Track zum Ohren-Staunen. Die weiten Klangflächen und das Ignorieren von Zeit ist das beherrschende Element der Band, die sogar, man glaubt es kaum, denkt man an gegenwärtige "Kulturprogramme" bei Großveranstaltungen, im Rahmen der Olympischen Spiele 1972 in München auftraten. Undenkbar, wenn man an den kulturellen und medialen Einheitsbrei von Heute denkt. Agitation Free ist gefühlte, gelebte, progressive, Musik, durch den Schutzmantel der Rock-Improvisation fehlt jeglicher Alterungsprozess, oft abstrakt, meistens einfach schön, selten verloren im Irgendwo.

Vogelgezwitscher inklusive

agitation-free-live74Wie überzeugend die Band ihre Agitationen behauptete kann man noch mehr als auf "Last" beim erstmals 1998 veröffentlichten Album "Live '74 (At the Cliffs of River Rhine)" nachempfinden, das nun zusätzlich mit dem Bonus-Track "Big Fuzz" aufwartet. Ohne Effekthascherei baut die Band hier Türme ohne Sprachverwirrung auf, findet zu Knotenpunkten und Meditationsgemälden und führt durch die Spannungswelten von "Through the Moods", in das expressionistische "First Communication", ins druckvolle wie selbstverliebte "Laila" und vor allem in das wunderbare "In the Silence of the Morning Sunrise". Der Titel gibt die erwachende Gefühlsregung vor, Vogelgezwitscher inklusive.

We are Men

agitation-free-fragmentsAgitation Free bei der Arbeit zuzusehen ist wieder möglich, und zwar auf dem Album "Fragments", via Quicktime Movie. Bis man dahin kommt darf man sich fünf außergewöhnliche Stücke der Band anhören, bei der sogar gesungen wird. Im Zentrum des Geschehens stehen allerdings weiterhin die konzentrierten Vermischungsaktionen aus Loops, Jazz-Ausflügen, Rock-Visionen, Space-Experimenten und komplexen Wegen. Das 18-minütige "Someone's Secret" bildet dabei den Auftakt in das Lebensgefühl der Berliner Band, dem folgen die jeweils 10-minütigen imposanten musikalischen Ausflüge "Mickey's Laugh" und "We are Men", sowie der 4-minütige Flug in die mediterrane Außenwelt der Stille und des Friedens. Als Bonus gibt es neben dem erwähnten Film "Agitation Free at Work" 13 Minuten geballte Ladung "Crashending", mitten aus den unendlichen Weiten des Weltalls, Logbuch Space-Rock 12.1971. Ein Album, das keine Widersprüche zulässt, nur Anerkennung oder Ablehnung. Erstaunlich anregende Musik einer Band, die dem Band-Namen voll gerecht wurde.

Das kleine Uhrwerk

agitation-free-riverofreturnDie Ausgangslage vom Album "River of Return" ist hingegen eine gänzlich andere als die drei bisher erwähnten Alben, was man, sobald die Musik zu spielen beginnt, auch sofort hört. Im Gegensatz zu den nicht produzierten Alben der frühen 1970er Jahre fällt einem spontan die Glätte auf. Die Veränderung geht auf den Zeitabstand zwischen den Aufnahmen zurück, "River of Return" entstand nämlich 1999 (im selben Jahr wurde es auch veröffentlicht), also fast 25 Jahre nach der Trennung, und Agitation Free hatte mit Potsch Potschka, dem früheren Gitarristen von Spliff, erstmals einen Produzenten mit dabei. Das Konzept der Band blieb im Wesentlichen gleich, nur dass eben das ungestüme progressive, das rohe rockige Element, bei den acht Stücken (plus zwei Bonus Tracks) wegfällt. Was blieb sind die überraschenden Spurenwechsel, das spacige, das hier allerdings eher in die meditative bzw. verträumte Seelenlandschaft eintaucht. Agitation Free, so scheint es, sind mit "River of Return" angekommen. Wo auch immer. Vielleicht dort, wo die Zufriedenheit das Verlangen nach Veränderung ablöste. Es sind keine Störwerke mehr, sondern kleine Uhrwerke, bestens abgestimmt, gut funktionierend. Manchmal versprühen die Stücke sogar so etwas Ähnliches wie Eitelkeit, und, eigenartig, dadurch, dass durch die technischen Klangmöglichkeiten es scheinbar an nichts fehlt, geht einem ganz schön viel ab. Der Fluss der Zeit spült eben alle Ecken und Kanten weg und irgendwann wird aus einem Berg ein Stein. (Manfred Horak)

CD-Tipps:

Agitation Free – Last

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Musik: @@@@1/2
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: SPV (1976/2008)

Agitation Free – Live '74 (At the Cliffs of River Rhine)
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Musik: @@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: SPV (1998/2008)

Agitation Free – Fragments
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Musik: @@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: SPV (1996/2009)

Agitation Free – River of Return
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Musik: @@@1/2
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: SPV (1999/2009)