Amos Lee hat die Entscheidung seinen
gelernten Beruf Lehrer zugunsten einer Musikkarriere aufzugeben, bis jetzt sicher
nicht bereut. Neben zwei hoch gelobten Alben bekam der talentierte, junge
Songschreiber auch die Gelegenheit mit seinen Idolen Bob Dylan, Van Morrison und
Elvis Costello auf Tour zu gehen. Robert Fischer sprach mit dem 30-jährigen
Musiker nicht nur über das neue Album "Last Days At The Lodge", sondern auch über
die US-Präsidentschafts-Wahl.
Kulturwoche.at: Hi Amos, wie ist das Wetter in Philadelphia? Amos Lee: Für diese Jahreszeit ist es ziemlich gut. Warm und sonnig. Man könnte glauben, man ist in Kalifornien. "Last Days At The Lodge" ist eine tolle CD. Was unterscheidet sie von Deinen ersten beiden Veröffentlichungen? Na ja, die neue CD haben wir ziemlich schnell aufgenommen. Genauso wie meine erste CD ["Amos Lee", 2003; Anm.] haben wir "Last Days At The Lodge" in nur einer Woche aufgenommen. Und ich singe besser als auf den alten Aufnahmen, zumindest hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt im Studio noch fokussierter singe, als sonst. Wo hast du "Last Days At The Lodge" aufgenommen und welche Musiker sind auf dem Album zu hören?
Was steckt hinter dem Titel "Last Days At The Lodge"? In der derzeitigen Situation in der Plattenindustrie, zurückgehender CD-Verkäufe etc. fühlt man sich als Künstler im Studio schon ein wenig komisch, weil du dich wunderst, ob das die Leute überhaupt noch interessiert. Ich könnte das Album genauso gut in meinem Wohnzimmer aufnehmen, und für viele Leute wäre das sicher kein Problem. Ich weiß nicht, wo diese ganze Entwicklung hinführen wird, aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass uns in diesem Bereich große Veränderungen ins Haus stehen. Warum hast du Don Was als Produzent für dein neues Album ausgesucht?
Du warst ja 2007 mit einem deiner Idole, Bob Dylan, auf Tour. Was hast du für Erinnerungen an diese Tour? Ja, war das eine coole Tour! Wir spielten vornehmlich in großen Hallen, und auf diesem Level aufzutreten war etwas ganz Neues für mich. Es war eine super Erfahrung, vor seinem Publikum und vor Elvis Costello [der ebenfalls Support war; Anm.] 30 bis 45 Minuten aufzutreten. Auch Bob und seine Band jeden Abend live zu sehen, war ein Riesen-Erlebnis und ehrlich gesagt, war ich einfach überglücklich, bei dieser Tour dabei zu sein. |
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Auf deiner neuen CD gibt es den Song "What's Been Going On", der stark an den Soul-Klassiker "What's Going On" von Marvin Gaye erinnert. Was verbindet dich mit Marvin Gaye?
Na ja, ich kenne eigentlich niemanden, der
Musik liebt und Marvin Gaye NICHT mag. Ich mag seine früheren Mowtown-Aufnahmen
genauso wie das spätere Werk und seine Hits wie "What's Going On", "I Want You"
oder "Let's Get It On". Diese Songs sind so kraftvoll, wirklich unglaublich.
Gleichzeitig stark UND sensibel. Und ich glaube, das ist genau der Punkt, warum
so viele Leute auf die Musik von Marvin Gaye stehen.
"What's Going On" von Marvin Gaye hatte ja auch einen stark politische Unterton. Auch manche Deiner Songs beschäftigen sich mit der politischen Situation. Ist es in der aktuellen politischen Situation der USA schwierig, über solche Themen zu schreiben?
Schwer zu sagen. Wenn ich in meinen
Live-Shows Songs mit politischen Inhalten bringe, gibt es immer die eine
Gruppe, die mucksmäuschenstill lauscht und voll hinter mir steht, während die
anderen sich bei solchen Themen lieber lautstark unterhalten. Das ist schon
frustrierend für mich, weil es auf der neuen CD z. B. den Song "Jails &
Bombs" gibt, den ich sehr mag und auch gerne live spiele. Die andere Frage ist
natürlich, ob man so was Leuten überhaupt vorsetzen soll, die vorrangig in die
Show kommen, um sich zu unterhalten. Die Grenze zu finden, zwischen
Unterhaltung und die Leute zum Nachdenken zu bringen ist nicht immer einfach zu
finden. Es ist eine Gratwanderung, aber ich versuche mein Bestes.
Ich habe gelesen, dass du im Wahlkampf Barack Obama unterstützt… [Das Interview fand einige Tage vor der US-Wahl statt; Anm.]
[Unterbricht]…
Schau, ich bin gerade der Phase, in der ich versuche, so viel wie möglich über
die beiden Präsidentschaftskandidaten zu erfahren, sie kennen zu lernen und
möchte mich lieber nicht deklarieren. Meiner Meinung nach ist fast wichtiger zu
wissen, mit welchen Beratern sich McCain und Obama in der Zukunft umgeben
werden bzw. welche zukünftigen Probleme sie lösen müssen. Egal wer gewinnt, die
nächsten Jahre werden sicher kein Honiglecken. In den USA gibt es eine
Bevölkerung von 300 Millionen Menschen. Menschen mit unterschiedlicher Herkunft
und unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedürfnissen. Es ist unglaublich
schwierig, die alle unter einen Hut zu bringen. Selbst wenn einer der Kandidaten
die Wahl mit sechzig Prozent gewinnt, heißt das trotzdem, dass vierzig Prozent
nicht hinter ihm stehen. Und gerade der aktuelle Wahlkampf war sehr trennend,
hat die Nation in zwei Lager gespalten. Deshalb geht es mir auch in der Musik
darum, meine Überzeugungen zu vermitteln bzw. andererseits Menschen zu
verbinden. Ich möchte, dass sich die Menschen besser verstehen und auch meine
Musik in dieser Richtung einsetzen. Übrigens, wenn du dir meine Songs genau
anhörst, ist es kein Geheimnis herauszufinden, wem ich meine Stimme geben
werde.
Du warst vor deiner musikalischen Karriere Lehrer in Philadelphia. In welcher Schule? Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?
Es war eine Grundschule in North
Philadelphia, und viele Schüler, die dort zur Schule gingen, hatten ein
schwieriges Elternhaus. Die ganze Gegend dort ist ein hartes Pflaster. Das eine große Problem ist die Armut, dazu
kommt noch die Gewalt. Ich war ein Jahr dort und habe viel darüber gelernt, was
Kinder aus ärmlichen Verhältnissen so durchmachen.
Du gehst bald wieder auf Tour. Stimmt es, dass Tourneen über größere Distanzen in den USA aufgrund der gestiegenen Energiepreise immer teurer und damit langsam aber sicher unfinanzierbar werden?
Auf jeden Fall! Die Rechnung ist ja ganz einfach: Benzin hat vor einiger Zeit 2,20 Dollar pro Liter gekostet, jetzt kostet es schon 3,10! Aber was meiner Meinung noch dazu kommt, ist, dass die Menschen in Zeiten wie diesen andere Sorgen haben, als in ein Konzert zu gehen. Wenn man sich vorstellt, welche wirtschaftlichen Probleme in der nächsten Zeit auf uns zukommen, bin ich nicht sicher, ob das Besuchen von Live-Konzerten für die Menschen noch Priorität hat. Ich hoffe trotzdem, dass die Leute kommen. Trotzdem ist es ein riesiges Land, es gibt Gegenden in den USA, wo du ohne Auto nirgends hinkommst bzw. es keinen öffentlichen Verkehr gibt, und hohe Benzinpreise schrecken die Leute sicher ab, sich "nur" für ein Konzert ins Auto zu setzen.
Planst du auch eine Europa-Tour?
Wenn die neue CD erfolgreich ist, werden wir sicher für ein paar Shows nach Europa kommen.
Danke für das Interview!
Danke, mach's gut!
(Robert Fischer; Fotos: Lucille Reyboz)
Link-Tipps:
CD-Kritik "Amos Lee"
www.amoslee.com