Das Label Schallter veröffentlichte im März 1982 sechs LPs an der Schnittstelle Underground und Überflieger. Keine Angst, das Solo-Debüt-Album von Hansi Lang, war eines davon. Es markierte, neben Falcos Einzelhaft, zudem die endgültige Befreiung aus der Erstarrung. Die Szene lebte, man hörte es im Radio und sah es an den Häuserwänden.
Der gute Ton Es war das Jahr von Falco, Shakin' Stevens, Andi Borg und Nicole. Dieses kurios anmutende Quartett teilte sich die ersten drei Plätze der österreichischen Album und Single-Charts des Jahres 1982. Der Höhenflug von Falco war zudem die Speerspitze dessen, was sich in der hiesigen Musikszene tat. Längst war es kein Grundeln und Brodeln mehr, sondern ein Ausbruch an Kreativität, vielfältig, von, im besten Sinne, begleitender obskurer Eleganz und avantgardistischer (Schein)-Ästhetik oder einfach geradeaus rockend. Powerrock nannte es zu diesem Zeitpunkt Wilfried, der sein Album "Ganz Normal" (Polydor; 1981) "der aufgewachten österreichischen Rockszene gewidmet" hat, ein Erwachen, das auch das Label Schallter, gegründet 1981von Eberhard Forcher (Tom Petting) und Rudi Nemeczek (Minisex), hervorbrachte, das mit dem markanten Slogan "Der gute Ton" warb und das sich folgendermaßen eigen definierte: "Schallter will neue Tendenzen, Ideen und Möglichkeiten vornehmlich der österreichischen Musikszene reflektieren. Schallter wird von Künstlern mit Künstlern gemacht." Die ersten sechs Produktionen aus dem Hause Schallter im März 1982 waren denn auch sechs extraordinäre LPs bzw. Mini-LPs. Tom Pettings Hertzattacken veröffentlichten "traumhaft triviale Popsongs in der bislang gelungensten Kombination angloamerikanischer Rhythmen, osttirolerischer Frische und wienerisch-wehmütiger Schlagwortpoesie für alle Jahreszeiten", mit so erfrischenden Liedern wie "Onanie Manie", "Deine Augen", "Madln und Buam" und, allen voran, "Endlich im Radio", ein Lied, das gar nicht mal so spekulativ war wie es vielleicht den Anschein hatte. Außerhalb des Kreises und mitten in den Charts Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde auch das Album "Außerhalb des Kreises" von der famosen Band Rosachrom. Die Band destillierte "synthetische Schlager für fortgeschrittene Stadtneurotiker und skurille Liebeserklärungen im eleganten, halbelektronischen Design für alle Klangästheten von da nach dort nach da."
Keine Angst vor Visionen Und auch die Hallucination Company von Wickerl Adam war Teil der ersten sechs Schallter-Veröffentlichungen. Mit "Vision" konservierte die flexible Band ihren tönenden Wahnwitz mit "Zuckerln aus einem halben Jahrzehnt." Motto: "Rock is a Cabaret"! Einer der zehn Hallucination Company-Musiker war übrigens Hansi Lang, der darüber hinaus auch mit der Mini-LP "Keine Angst" sein Solo-Debüt-Album bei Schallter ablieferte. "Wiens rasanteste Rauhkehle", so ließ es uns das Label wissen, "rockt mit erstklassigem Ensemble gegen das Endzeitgefühl und die latente Angst unserer Tage." Gerade mal sechs Lieder fanden Platz auf diesem Album, aber diese sechs Lieder haben es auch heute noch in sich. Eröffnet wurde die LP mit dem Vierzeiler "Zucker". Mit diesem tönenden Aufmarsch mit Power-Groove und Saxofon-Solo kippte man ohne Umschweife sofort in die Musikfantasien von Hansi Lang hinein. Nein, keine Fantasien. Das war mehr. Visionen. Zumindest. Realität wieder spiegelnde Visionen. "Der neben dir glaubt er hat die Erde in der Hand", sprach Hansi Lang in dem Liedjuwel namens "Realstadt", und: "Seit ich in Realstadt war/Hab ich ein Stück davon im Bauch". Gänsehaut-Stimmung pur. Ein Album, ebenbürtig mit Falcos Debüt-Album aus dem gleichen Jahr, "Einzelhaft", nur, dass halt Falco damit die Charts dominierte, Hansi Lang hingegen blieb außerhalb der kommerziellen Wertung, seine Album-Titel gebende Parole fand sich dafür auf unzähligen Häuserwänden, so, wie er es im Lied auch rausschrie: "Ich lauf hinaus auf die Straße/und schreib auf jede Fassade/meine Liebe, meinen Hass/und es macht mir immer mehr Spaß/Ich schreibe/Keine Angst". Ein Klassiker von Beginn an und prägend für eine ganze Subkultur-Generation in Wien. Ich will wieder gut sein Das Album "Keine Angst" ist aber eigentlich kein astreines Rock-Album, streng genommen erfüllen nur zwei Lieder das Rock-Kriterium "harte Stromgitarre, Bass und Power-Drum", nämlich das Titellied und "Addio Westwelt", letzteres zählt für mich heute noch zu den besten Liedern, die jemals ein Österreicher hervorbrachte. "Addio Westwelt" ist Punk-Rock – oder was davon noch übrig blieb im Jahr 1982 – in Vollendung, gepaart mit einem politischen Text, der auch auf einem Clash-Album nicht fehl am Platz gewesen wäre. Eine Wucht und eine Wut von einem Text mit Passagen wie "Drum zieh' Dir nur die Schuhe aus/und mach's Dir recht bequem/denn auf Kanal Eins/ist die Menschenhändler Band zu sehen". Musikalisch fetzt es dreieinhalb Minuten dahin wie "Police on my back" von The Clash aus "Sandinista!" Kompromisslos wie nur was. Eine gänzlich andere Stimmung verbreitet hingegen "Ich will wieder gut sein", Hansi Langs erste Komposition, die auch Anleihen an "Birdland" von Weather Report nahm. "Wir konnten nicht so virtuos spielen, wie wir es uns wünschten", erzählte mir Hansi Lang einmal, "daher sind da nur Fragmente und Ansätze von Birdland darin enthalten. Da muss man schon sehr genau hinhören um es zu erkennen." Stimmt. Vielleicht war es einfach "die Welt, wo ich sein sollte", wie er es im atmosphärisch gehaltenen "Bild aus Glas" flüstert, die aber nicht hier ist, "vielleicht war sie da/wo ich sein wollte/[…]/Das Bild aus Glas/das hör ich auf zu sein." Ein selten gutes Album mit den Stilelementen Rock, Punk, Jazz-Funk, New Wave und meditativen Balladen mit unglaublich starken Texten, allesamt von Hansi Lang geschrieben. Ein selten gutes Album und tatsächlich eine Rarität, da nicht mehr im Handel erhältlich. (Manfred Horak) Link-Tipp: Interview-Tipp: |
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