Die in Berlin lebende Singer-Songwriterin Julia A. Noack veröffentlichte mit "Piles & Pieces" ein hervorragendes Debüt-Album. Im virtuellen Gespräch mit Manfred Horak beantwortet sie Fragen über die Berliner Szene, Inspirationen und Qualitätskriterien.
Sie ist Sängerin, spielt Gitarre und schreibt eigene Lieder: Julia A. Noack. Geboren im niederrheinischen Mönchengladbach und aufgewachsen in behütetem Kleinstadtflair nahe der holländischen Grenze, begab sich Julia A. Noack nach der Lektüre Steinbeck's und nach dem Hören erster Dylan-Platten für ein Jahr in die USA. Dort wurde der Grundstein für ihre musikalische Entwicklung gelegt, von dort kam die Musik, die sie begeisterte, und dort schrieb sie ihren ersten eigenen Song. Mittlerweile ansässig in Berlin veröffentlichte sie ihr beachtenswertes Debüt-Album "Piles & Pieces". 13 Lieder sind darauf enthalten, allesamt an der Schnittstelle Singer-Songwriter-Format, Country, Folk & Folk-Rock, und immer getragen von einer kraftvollen, charismatischen und emotionalen Stimme. Das Album überzeugt mit kontrastreichen Liedern und mit eingängigen Melodien. Besonders hörenswert: Das Eröffnungslied "Are you with me now", sowie "House on the Hillside" und das in all seiner Schlichtheit hervorragende "I feel the Winter". Lieder, denen man die Herkunft – Deutschland – nicht anhört. Ein superbes Album mit Langzeitcharakter.
Kulturwoche.at: Wie lange hast Du die Lieder mit Dir herum getragen bis es zur Fertigstellung des Albums "Piles & Pieces" kam? Julia A. Noack: Ich habe die Songs sehr lange mit mir herum getragen. Der älteste Song auf der Scheibe ist, glaube ich, 13 oder 14 Jahre alt. Erst nachdem ich Anfang 2006 nach Berlin gezogen war, fasste ich den Entschluss, eine Platte zu machen und hauptsächlich Musik zu machen. Nur mit 'ner Demo-CD, ohne Platte, geht's einfach nicht. Das ist ja, als wenn ein Schriftsteller immer nur Schnellhefter mit selbst ausgedruckten Word-Dokumenten verteilt. Im August 2006 habe ich dann mit den Aufnahmen begonnen, und ein knappes Jahr später kam das Album heraus. Aus dem Riesen-Repertoire an Songs habe ich dann 13 ausgesucht, und die sind auf dem Album drauf. Es gibt noch mehr Songs, alte, die ich vielleicht irgendwann mal unter dem Titel "The early Julia A." aufnehme. Und neue natürlich. Die gibt's ja immer. Die kommen dann auf die nächste Scheibe. Welchen Stellenwert nehmen Deine Texte, die ja meistens in der Ich-Form geschrieben sind ein, bzw. welche Qualitätskriterien muss ein Text letztendlich erfüllen? Meine Texte sind mir wichtig, schließlich mache ich ja keine Pop-Charts-Songs. Ein Song ist für mich immer Text und Musik. Wenn ich einen Song höre, der gut groovt, und dann ist der Text Banane, bin ich enttäuscht. Und wenn mir ein Text gefällt, aber die Musik macht nichts her, taugt er als Song auch nichts. Dann ist es vielleicht ein gutes Gedicht. Ein Text muss ehrlich sein, oder irgendwie echt, finde ich. Auch wenn ich ihn vielleicht nicht verstehe, weil er kryptisch ist oder sehr persönlich. Vor allem ist es völlig egal, ob der Zuhörer dasselbe mit dem Text assoziiert wie der Verfasser. Deswegen würde ich auch nie eine Ansage machen wie "Diesen Song habe ich über meinen Vater geschrieben" oder so. Das finde ich furchtbar. Damit dränge ich doch dem Zuhörer meine Ansichtsweise auf, bzw. die Art, wie er den Song verstehen soll. Jeder soll das für sich rausziehen, was er will oder mag. Songs können auch ihre Bedeutung verändern bzw. auf verschiedene Situationen anwendbar sein. Manchmal singe ich einen alten Song, den ich jahrelang nicht oder ungern gesungen habe, und auf einmal macht er wieder Spaß oder Sinn. Weil er plötzlich in einem völlig anderen Kontext wieder wahr wird. Also ja, Texte sind sehr wichtig für mich, weil sie, zusammen mit der Musik, eine Art und Weise für mich sind, ein Thema zu behandeln oder zu verarbeiten. In Deiner Kurzbiografie führst Du u.a. Bob Dylan als eine Art Wegweiser an, als einer, der Dich überhaupt dazu brachte, Musik zu machen. Und es taucht auch der Schriftsteller John Steinbeck als Einfluss auf, der 1962 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Sowohl bei Dylan wie auch bei Steinbeck kommen sehr häufig Menschen am Rande der Gesellschaft vor. Bei Dylan weiß man, dass er sich etliche Textideen aus den Zeitungen holt und Steinbeck's "Früchte des Zorn" entstand als Artikelserie im Auftrag einer Zeitung. Wo holst Du Dir Ideen für Texte und Lieder? Dylan hat eine völlig andere Art des Songwriting. Ich glaube, dass er bei seinem Songwriting zum Teil sehr analytisch und aus der Distanz an ein Thema herangeht, welches dann auch nicht zwangsläufig ein emotionales ist. Ich schreibe meine Songs immer, oder meistens, mit weniger Distanz, d.h. sie sind immer recht emotionale Ausbrüche eines Gefühls, in das ich selbst verstrickt bin. Für mich ist die Musik nicht der Kanal für die intellektuelle, sondern für die emotionale Verarbeitung der Dinge. Meistens ist es meine eigene emotionale Achterbahn, die mir Inspiration für die Songs gibt, oft andere Künstler, andere Musik, und Begegnungen bzw. Ereignisse in meinem Leben. Es ist aber in der Tat meistens etwas, in das ich emotional auf irgendeine Weise verstrickt bin. Ansonsten wird kein Song draus, sondern ein Gespräch, eine Diskussion, ein Gedanke, aber eben kein Song. Bob Dylan und Steinbeck's "Grapes of Wrath" haben mich allerdings dazu inspiriert, in die USA zu gehen. Du lebst in Berlin und tourst quer durch Deutschland. Wie sehr reflektiert die Stadt bzw. Deutschland an sich auf Deine Musik und umgekehrt? Berlin inspiriert mich sehr. Ich lebe sehr gerne in Berlin. Auch wenn einen dieser "Cool-Zwang" manchmal ein bisschen nerven kann, hat die Stadt eine ungeheure Energie, die sich auf mich überträgt. Außerdem passiert ständig was. Es entstehen permanent neue Kontakte, neue Möglichkeiten. Man hat das Gefühl, irgendwas geht immer. Selbst dann, wenn nichts geht. Außerdem bin ich gerne auf Reisen. Ich fahre auch oft ins Rheinland, meine alte Heimat, und ich mag das, weil ich damit irgendwie in Bewegung bleibe. Ich bewege mich gerne vorwärts, ohne mich selbst zu bewegen, dabei kann ich am Besten nachdenken. Im Zug, oder im Auto. Dieses Interview beantworte ich gerade im Zug. Nächster Halt: Köln-Ehrenfeld. :-)) Warum kam Dir noch nicht in den Sinn in deutscher Sprache zu singen? Ich habe sogar einen Song auf Deutsch. Den singe ich aber nicht mehr öffentlich, weil er einfach nicht ins Programm passt. Auf Deutsch singe oder schreibe ich meine Songs nicht, weil die deutsche Sprache irgendwie nicht so richtig zu der Art Musik passt, die ich mache. Meine Musik ist ja schon recht amerikanisch oder anglo-saxonisch geprägt, da passt das Deutsche irgendwie nicht. Dass die deutsche Sprache wieder ihren Platz in der deutschen Popmusik findet, gefällt mir gut. Aber wenn man sich anhört, wie sie benutzt wird, stellt man schnell eine fast durchgehend ironische, schroffe, oder eine fast schon über-intellektualisierte Art fest, sie zu benutzen. Was verständlich ist, denn auf Deutsch lyrisch zu werden und dabei trotzdem Popmusik-fähig zu bleiben, ist nicht einfach. Das wird dann schnell kitschig. Bei Gedichten ist das etwas Anderes. Ich lese sehr gerne Gedichte und habe früher auch selber welche geschrieben. Aber dabei muss man nicht leicht bleiben. Da darf es schwer sein. Aber diese Gedichte dann als Songs zu vertonen. - Ich weiß nicht. Ich mag deutsche Songs, habe aber einen sehr hohen Anspruch dabei, was die Texte angeht. Kitschig geht gar nicht, und dieses Pseudo-Intellektuelle geht mir sehr leicht auf die Nerven. Na ja, wer weiß, vielleicht schreibe ich irgendwann ja mal deutsche Songs, aber im Moment kann ich es mir nicht vorstellen. |
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Adäquat zum Lied "Für wen ich singe" vom Liedermacher Hanns Dieter Hüsch die Frage an Dich: Für wen singst Du?
Hm. In erster Linie singe ich, glaube ich, für mich. Einfach, weil es ein Bedürfnis ist, ein Kanal, irgendetwas heraus zu lassen. Ich habe keine Intention dabei. Ich singe nicht, damit es den Menschen besser geht oder damit sie über irgendetwas nachdenken oder irgendetwas empfinden. Ich singe, damit es mir besser geht, und weil ich über etwas nachdenke, und weil ich dabei etwas empfinde. Umso mehr berührt es mich dann, wenn Leute zu mir kommen und mir erzählen, was meine Songs in ihnen auslösen, oder dass sie sie in ganz bestimmten Stimmungen hören. Das find ich toll. Wenn es mir gelingt, bei jemandem mit einem Song, der aus meinem Inneren kommt, irgendwelche eigenen Assoziationen zu wecken, ein Gefühl nachschwingen zu lassen oder ihn damit irgendwie zu berühren, dann ist das die schönste Bestätigung.
In einigen Liedern tauchen bestimmte Sounds auf, wie z.B. in "I Feel The Winter das Schellackhafte, zerkratzte Lo-Fi-Element, aber auch Straßengeräusche tauchen auf wie in "Drawning Consciousness, Delayed" – im letztgenannten singst Du ja auch ein paar Zeilen in französischer Sprache. Wie kam es dazu diese Kunstgriffe anzuwenden?
Hm, also ob es ein Kunstgriff ist, wenn man ein paar Zeilen
auf Französisch singt, weiß ich nicht. In diesem Fall hat die französische
Sprache einfach mit dem Song zu tun. Die Straßengeräusche sind aus Berlin und
haben auch mit dem Song zu tun. Das Lo-Fi-Element in "I Feel The Winter" habe ich eingesetzt,
um dieses sehr Eingängige, fast Naive dieses Songs ein bisschen aufzubrechen. Dabei
haben wir (mein Tontechniker/Co-Produzent Christoph Schneider und ich) meine
Gesangsspur einfach nochmal aus einem Mini-Amp laufen lassen, vor den wir ein
Mikro gestellt hatten.
Grundsätzlich mag ich es sehr gerne, wenn Sachen
aufgebrochen werden. Dieses eher herkömmliche, akustische Element in meiner
Musik möchte ich gerne ein bisschen aufbrechen durch solche Fremdgeräusche und Sounds,
wie sie ja auch z.B. bei "Into The Real" zu hören sind. Meine Songs haben ja oft
recht eingängige Melodien bzw. immer ein akustisches Element, schon allein
durch die Akustikgitarre. Ich mag es, wenn dem dann etwas entgegengestellt
wird, ein Sound oder elektronisches Element, so dass ein Kontrast entsteht.
Auf diesem Album habe ich das alles erst im Ansatz
umgesetzt. Genau daran arbeite ich aber gerade, das ist ein sehr aktuelles
Thema für mich und wird mit Sicherheit eine große Rolle beim nächsten Album
spielen.
Wie weit ist Julia A. Noack eine Band?
Vorrangig ist Julia A. Noack ein Solo-Projekt. Das heißt auf
musikalischer Ebene, dass ich alle Songs alleine schreibe und auch alleine
spielen kann und entscheide, wie ich sie arrangieren möchte. Auf
organisatorischer Ebene bedeutet es, dass ich mich weitestgehend alleine um das
Management kümmere, das Booking, die Finanzierung, etc., und dass eben ich alle
Entscheidungen treffe.
Ich spiele mit verschiedenen Musikern zusammen, eine richtig
feste Band gibt es in dem Sinne nicht. In letzter Zeit habe ich oft mit einem
Kern von Leuten gespielt: Anders Grop (Bass) und Christian Runge (Geige), und
in letzter Zeit auch öfter mit Rainer Winch (drums/percussion). Alle drei sind
erstklassige Musiker und dufte Typen, und ich bin froh und dankbar, dass ich
sie gefunden habe und sie Bock haben auf meine Musik. Mit den Dreien war ich
auch zuletzt auf Tour, wir haben ein bisschen in Ostdeutschland rumgerockt, und
es war super. In solchen Momenten, in denen ich eine ganze Band hinter mir habe
und man zusammen die Songs probt, zum Teil neu arrangiert oder bearbeitet, wird
Julia A. Noack natürlich auch zu einer Art Band. Ich find’s toll, dass die
Jungs sich so mit einbringen und nicht nur einfach meine Musik spielen, sondern
eigene Ideen, Vorschläge und Änderungen mit einbringen und sie so ein bisschen
auch zu ihrer Musik machen. Das bereichert mich und die Songs und macht total
Spaß.
Du hast ein tolles Debüt-Album, dennoch keinen Plattenvertrag, der Vertrieb läuft über das unabhängige Musikvertriebs-Service Phonector.com. Wie lebt es sich als unabhängige Künstlerin in Deutschland?
"Ist ein Musiker beim Arzt. Sagt der Arzt: 'Sie sind leider
unheilbar krank. Aber Sie haben immerhin noch 3 Monate zu leben.' – 'Und
wovon??!'" :-))
Wie bist Du nach Veröffentlichung des Albums "in der Szene" aufgenommen worden? Fühlst Du Dich als integrativer Bestandteil – und ist Dir das auch wichtig, Stichwort Vernetzungen – oder muss man "seinen Weg" mehr oder weniger alleine gehen?
Vernetzungen sind sehr wichtig. Unter anderem deshalb bin ich nach Berlin gezogen, weil da das Netzwerk an Musikern einfach viel größer ist. In den ersten drei Monaten hab ich mich sehr reingekniet, war mindestens 2 oder 3-mal die Woche auf irgendwelchen Konzerten von Berliner Künstlern, um Musiker kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Das hat auch super geklappt. Es gibt ja verschiedene Szenen in den Musikerkreisen. Da sind zum einen natürlich die ganzen Studierten, die größtenteils jazzmäßig unterwegs sind, und in verschiedenen Projekten mitmachen, dann gibt es die Singer/Songwriter-Szene, in der die Leute alle ihr eigenes Projekt haben und in der es dann wiederum weitere, kleine Kreise gibt, z.B. die, die eher in der Indie-Gruppe rumlungern, die Lo-Fi-Gang, die etwas Älteren Kampf-Akustiker, usw. Manchmal sind dabei die Grenzen fließend und es gibt Überschneidungen, jedenfalls ist musikalisch echt viel los in der Stadt, und ich kenne eigentlich sehr viele in der "Szene". Ich mag das, wenn alles irgendwie miteinander verknüpft ist und man auf irgendwelchen Gigs immer irgendwelche anderen Musiker trifft, die man direkt oder um 1-2-3 Ecken kennt. In den Locations, auch und gerade außerhalb von Berlin, geben sich dementsprechend ja auch die Berliner Singer/Songwriter die Klinke in die Hand.
[Die Fragen stellte Manfred Horak; Fotos: K.C. McKanzie, Aileen Orate, Tilo Schönknecht]
CD-Tipp:
Julia A. Noack – Piles & Pieces
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Musik: @@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: phonector (2007)
Link-Tipps:
HP von Julia A. Noack
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