Zur Debatte stehen vier Kompilationen zum Thema Weihnachtslied aus dem Hause Universal, sowie neue(re) Christmas Alben von und mit Till Brönner, Götz Alsmann und die WDR Big Band, Wallisch & Kollar und Klaus-André Eickhoff.
In der Adventszeit, also im vorweihnachtlichen Rausch- und Konsumdrang, wenn man eilends durch Supermärkte, Kaufhäuser und sonstige Shopping-Erlebnis-Zentren drängelt, ist es ratsam, sich Petersilie in die Ohren zu stopfen, damit das formatierte Weihnachtslied außen vor bleibt. Aber es soll ja sogar Menschen geben, die heute noch gerne "Heidschi Bumbeidschi" von Heintje oder "Oh Du Fröhliche" von Roy Black [nein, falsch, für all jene, die diesen Namen noch nie gehört haben; Roy Black war kein Gothic; Anm.] hören – ja, und manche lieben tatsächlich "Last Christmas" von Wham! [eh schon wissen: das waren die gefönten Scheitelbrüder mit den Norweger-Pullis, die auch der Sportmoderator Robert Seeger so gerne trug; Anm.]. Manch andere wiederum stehen mehr auf Schmuse-Jazz, pardon, Smooth Jazz und fallen sich entzückt in die Arme, wenn ein Lee Ritenour zartestmöglich in den Gitarrensaiten kleben bleibt, ein David Benoit immer unter Garantie die richtigen Klaviertasten streichelt oder ein Till Brönner alles daran setzt, damit sein Trompeten-Ton selbst den kärglichsten Weihnachtsstern zum Funkeln bringt. Andere wiederum gehen es weniger geschmeidig an, möchten lieber Punk-Fun-Bands wie die Roten Rosen diesen einen temporeichen Akkord bis in die christliche Ewigkeit hören. Oder wollen sie lieber einen auf Ballerweihnachtsmann machen? DJ Bobo empfiehlt sich. Nun, da sind wir also schon mittendrin in den diesjährigen Kompilationen, die niemand braucht, aber, so mutmaßlich die Meinung der Musikindustrie, jeder haben sollte. Dass es auch anders geht ist klar und wird von Manfred Horak an dieser Stelle natürlich auch nicht verschwiegen. Zur Rezensionsdebatte stehen: Vier Kompilationen aus dem Hause Universal, sowie neue(re) Weihnachtsalben von und mit Till Brönner, Götz Alsmann und die WDR Big Band, Wallisch & Kollar und Klaus-André Eickhoff. Nun aber ran!
Chart-Show - Die beliebtesten Weihnachts-Hits aller Zeiten
Bewertung: @
Label/Vertrieb: Universal (DoCD; 2007)
Diese Doppel-CD ist nicht für den Endkonsumenten gemacht, sondern für den Handel, denen es egal ist, was gespielt wird, Hauptsache File Under: Christmas. Alleine die Reihenfolge der Interpreten ist ein Wunder an Sinnentleerung. Queen, Bing Crosby, Frankie Goes To Hollywood, Band Aid 20, Barclay James Harvest, Art Garfunkel, Jeanette, Loona, Nina Hagen, Roy Black, Vicky Leandros, Peter Alexander, Heintje, Mike Oldfield. Diese Reihenfolge zu lesen mag vielleicht lustig sein, es zu hören ist eine Beleidigung. Und überhaupt: Wie kommt man in diesem Fall zu dem Superlativ "beliebtesten"? Tatsächlich durch Umfragen – z.B. in der Punkszene in Berlin: "Ey, ick hör am liebsten dat Ave Maria von Nina Hagen." "Nö, du Döskopp, Die Roten Rosen sind rotziger." Oder vielleicht unter progressiven Zölibatbrüdern und –schwestern? "'O Come All Ye Faithful' von Art Garfunkel lässt mir die heilige Oblate auf der Zunge noch schneller vergehen." "Meine spirituellen Sinne steigern sich besonders bei 'Leise rieselt der Schnee' von Vicky Leandros." Oder führte man gar Umfragen in der HipHop-Scene? "Yo man, die Rap Allstars & Leroy Daniels sind echt mega." Wie auch immer: Tatsächlich einen Sinn dahinter zu erkennen ist schwer, wenn alle Interpreten dasselbe Lied interpretierten, hätte es mitunter seinen Reiz. Aber so? Nun, so hat man auch seinen Reiz, aber auf diesen möchte ich nicht näher eingehen. (mh)
Essential Christmas
Bewertung: @@
Label/Vertrieb: Universal (3 CDs; 2007)
Das Cover ist schlimmer als der Inhalt. Auf Essential Christmas ist zumindest ansatzweise eine Struktur erkennbar, Stichwort Soul auf CD 1 und CD 2, sowie Klassik auf CD 3. Wie man allerdings wiederum auf diese doch eher ungewöhnliche Idee verfiel The Temptations, Isaac Hayes, Smokey Robinson, Marvin Gaye und The Supremes auf der einen Seite und Berliner und andere Philharmoniker bzw. Symphoniker auf der anderen Seite auf CD zu bannen ist eine Frage, die in diesem Fall unbeantwortet bleiben muss. Leider tappten die Zusammensteller der CDs auch hier in den Tiefschnee und versanken letztendlich zwischen hochklassiger Musik der bereits erwähnten Soul-Legenden und Allerlei-Ramsch Marke ABBA, Elton John und Engelbert Humperdinck. Was will man damit bezwecken? Hauptsache viel (60 Tracks) und möglichst bunt, weil, es ist eh egal was im Hintergrund läuft, oder steckt da eine universelle Genialität dahinter, die man, Durchschnittskonsument wie man ist, einfach nicht erkennt? (mh)
Rock Christmas The Very Best Of
Bewertung: @
Label/Vertrieb: Polystar/Universal (DoCD; 2007)
Mit der Veröffentlichung dieser Doppel-CD liegt eine glatte Themenverfehlung vor. Oder kann mir jemand erklären was N Sync, A Teens, Loona, Boyz II Men, All-4-One, S Club 7, Doris Day, Mahalia Jackson, Bing Crosby, Ella Fitzgerald und Wham! mit Rockmusik zu tun haben? Zieht man diese (zumindest thematischen) Verfehlungen ab, bleibt der übliche Ballast übrig: Bryan Adams, Band Aid, Queen, Chris Rea, Slade, etc. Als ob das alles wäre. Einfallslosigkeit pur, oder, wie hieß es einmal so schön unartig von Onkel Frank? 'We're only in it for the Money'. (mh)
Smooth Jazz Christmas
Bewertung: @@@@
Label/Vertrieb: Verve/Universal (2007)
Nun, Weihnachten ist – im Gegensatz zu Ostern – ja immer noch das Fest der Liebe, alleine von daher sind die Schmusejazzer ziemlich gut geeignet, weihnachtliche Gefühle musikalisch zu formulieren. Smooth Jazz Christmas ist eine Art Best Of aus dem Hause Verve, also eine Ansammlung von Musikern, die allesamt ihre eigenen Weihnachtsalben bereits veröffentlichten – die Zeitspanne dieser Aufnahmen reicht von 1986 bis 2004 – und hier also erneut zum Beschnuppern sind. Von Lee Ritenour bis David Benoit, von Laura Fygi (ziemlich klass ihre Version von "Sleigh Ride") bis Shirley Horn (auch nicht übel ihre Interpretation von "Winter Wonderland"), von Will Downing bis Joe Williams (hervorragend sein "Kissing by the Mistletoe") reicht die Palette, also Instrumentals sind genauso zu hören wie diverse Vokalleistungen. Meistens freilich im Slow- oder Midtempo gehalten bringen die vorliegenden Interpretationen sicherlich so manche Schneemänner- und Schneefrauenherzen zum Schmelzen, und wenn man die CD nicht allzu leise abspielt kommen einige erstaunliche Konturen zum Vorschein, so z.B. ein unglaublich gehalt- wie stimmungsvolles "Those Soulful Jingle Bells" in der Version von Mark Whitfield. Trotz einiger Ausrutscher Marke Pseudo-Soul-Gefühlsdusel eines Phil Perry z.B. ist Smooth Jazz Christmas durchaus eine Kompilation, die man auch nüchtern gut verträgt. (mh)
Till Brönner – The Christmas Album (Special Gift Edition)
Musik: @@@
Klang: @@@@@@
Verpackung: @@@@@@
Label/Vertrieb: Verve/Universal (CD/DVD; 2007)
Die Hochglanzverpackung mit roter Schleife und goldenem Cover, sowie die Tonqualität mit den satten Tönen und ausgewogener Soundästhetik überzeugen vollends, musikinhaltlich bewegt sich The Christmas Album von Till Brönner allerdings zwischen Eleganz, Glatteis und Gletscherspalte. Erkunden wir zunächst mal die Gletscherspalten. Zweifellos abgründig seine mit Breitwandorchester zugepappte und zudem überlange Version von "Silent Night" und "Auld Lang Syne", bei dieser Glätte ist man rettungslos verloren. Am anderen Ende der Skala rangiert überraschenderweise "White Christmas" und die nicht minder bekannten Weihnachtslieder aus dem Ami-Land namens "Winter Wonderland" mit Stevie Woods als Gastsänger, und "Santa Claus Is Coming To Town" mit den Gesangsstimmen von The New York Voices. Witzig auch das Intro zu "Last Christmas" – die Idee das Lied auf eine andere, nämlich anhörbare Ebene zu bringen ist ein hehrer Gedanke und war auch sicherlich den Versuch wert, nur ist die Originalversion von "Last Christmas" (ob man will oder nicht) derart in den Köpfen verankert, dass ein Versuch dem Lied neue Facetten und vor allem einen neuen Charakter zu geben zum Scheitern verurteilt ist. Till Brönner scheiterte dabei aber immerhin in Würde (ebenso wie vor ein paar Jahren Max Raabe mit seinem Palastorchester). Ein typischer Fall von Glatteis also. Auf der Special Gift Edition gibt es übrigens – im Gegensatz zur herkömmlichen Ausgabe – neben einem erfreulichen Bonus-Track ("Zu Betlehem geboren/Vom Himmel hoch"; Jawoll!) eine DVD beigepackt, worauf das Video von "White Christmas" in einer Extended Version zu sehen ist plus ein Making-Of zur Produktion des Albums. Für Weihnachtsmusik-Fans ist "The Christmas Album" von Till Brönner ein Muss (alleine schon um des Sammelns willen), ansonsten wird das Album wohl heftig polarisieren. (mh)
Götz Alsmann und die WDR Big Band – Winterwunderwelt
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: ROOF Music/Indigo (2006)
Ja, ja, es geschehen immer wieder mal Wunder in dieser Welt, sogar im Winter. Wer hätte nämlich gedacht, dass die WDR Big Band mal ein räudiges Weihnachtsalbum einspielt? Götz Alsmann, der Mann am Mikrofon, sorgt natürlich dafür, dass die Hochheiligkeit der Lieder nicht ganz so hochheilig rüberkommen und begibt sich mitunter in die Tradition vom guten alten Cab Calloway, dessen "Minnie the Moocher" hier eben zum Nikolaus mutiert. Mutig, mutig, und es geht voll auf. Rasanz in der Bläsersektion, Lockerheit im Umgang mit der Sprache, was wegfällt ist der Schein, übrig bleibt das Sein. Das Dasein einer Jazzbigband, die alle Stückerln spielt und so ziemlich alles an die Wand spielt, Weihnachten, Schnee und Winter betreffend. Die Symbiose Götz Alsmann – WDR Big Band [unter der Leitung von Ansgar Striepens, der auch zum Großteil für die herausragenden Arrangements verantwortlich ist; Anm.] greift tief in die Schatzkiste, und holte dabei wahrlich wundersames hervor, angefangen von der wunderbaren Ballade "Die Frau vom Nikolaus" bis hin zum spaßigen "Hei, hei, hei, so eine Schneeballschlacht", vom beinahe schon mysteriös anmutenden "Kling Glöckchen Klingelingeling" bis zur Humoreske "Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä" und deren mehr. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diesem Götz Alsmann in der Figur als Nikolaus bzw. Weihnachtsmann vertrauen kann bzw. will, wenn er von den Glocken, die süßer nie klingen singt, und wenn er um Einlass bittet, weil er ja der fromme Nikolaus vorgibt zu sein, oder uns einfach auffordert froh und munter zu sein. Aber genau diesen Kick macht die Stärke des Dargebotenen aus. Ein ganz großer Wurf dieses Album, das mich vom Geist her an Joe Jackson's Jumpin' Jive erinnert, der ja auch kein Jazzsänger war aber mit einem starken Orchester im Rücken damals zur Hochform auflief und seine Post-Punk-Vergangenheit hinter sich ließ. 13 Stücke hervorragend abgestimmt im schwierigen Balanceakt: humorvoll-ironisch aber auf Dauer nicht nervend, weihnachtliche Stilmittel aber nicht dröge einlullend, ein Schuss Anarchie in der Seele aber immer Jazz in der Musik, glatt genug für die Familie und enorm kantenreich für den Rest. Das beste Weihnachtsalbum seit vielen Jahren. Seit sehr vielen Jahren. (mh)
Wallisch & Kollar – Sunny Christmas
Musik: @@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Tommy Tonebiz (2007)
Weihnachten unter Palmen – diese Idee für uns Durchschnittseuropäer ist ja nichts Neues, wenn auch für viele ein bloß lang gehegter unerfüllter Traum. Das Duo Michaela Kollar und Thomas Wallisch – sie ist die Sängerin, er der Gitarrist, Bassist und auch für Programming verantwortlich – begibt sich also auf die sandige Muschelsuche und erleidet dabei allerlei weihnachtliche Halluzinationsimpressionen im Liegestuhl am Strand, wenn sie z.B. vom "Santa Claus coming to Town" singen oder möglicherweise größere Muscheln für Berge halten um ein "Go tell it on the Mountain" anzubringen. Sanft wiegt sich’s wie es schaukelt. Im Rhythmus und Taktgefühl von Samba, Bossa Nova, Jazz finden sich die gänzlich umgekrempelten Weihnachtslieder wieder, allen voran diese beinahe schon unwirkliche Version des traditionellen Liedes "Es wird scho glei dumpa". Da jubelt das Herz vor lauter Gefühlswärme und Anmut. Das Gitarrenspiel von Wallisch, insbesondere seine Soli, ist ein Triumph – einfach zurücklehnen und ins Meer schauen, äh, hierzulande halt in den Kerzenschein des Adventkranzes. (mh)
Klaus-André Eickhoff – Ach, du fröhliche!
Musik: @@@1/2
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Cap-Music (2007)
Was tun, wenn die Weihnacht vor der Tür steht, während man auf dem Sofa vor sich hin döst und noch lange nicht weihnachtsfit ist? Nun ja, reinkommen kann sie ja mal – Sänger, Pianist und Komponist Klaus-André Eickhoff serviert auf dem Album Ach, du fröhliche! diese muntere Weihnachtsballade neben neun weiteren Eigenkompositionen (plus zwei Bonustitel in schöner Verpackung) zum alljährlichen Thema aller Themen. Mit dem Lied "In fünf Tagen" gelingt ihm neben "Die Weihnacht vor der Tür" ein zweites sehr eigenwilliges wie originelles in der Tradition von Georg Kreisler. Im Gegensatz zum Gros der Weihnachtsalben vertraut Eickhoff also nicht auf traditionelles, sondern vielmehr auf seine Begabung als Liedermacher. Und so dichtet er im Lied "Advent" z.B. noch, "Es sind zu etwa einem Drittel/Kekse jetzt Hauptnahrungsmittel/Auch Kaffeekränzchen sind/wieder in und es wird nicht mehr blind/besessen und wild/jedes Essen gegrillt…", bevor es in "Steriler Sonderfall" nicht mehr ganz so beschaulich zugeht: "Stille Nacht, heilige Nacht/und dann sind wir aufgewacht/Der Holde hat gebrüllt wie am Spieß/so fern vom Paradies". Angesiedelt irgendwo zwischen Ironie und christlicher Sensibilisierung begibt sich Eickhoff sogar mitten in den Blues hinein, damit er alle relevanten "immer selben, sehr berechtigten Fragen" zum kommenden Fest beantworten kann. Er singt über das Kinderkrippenspiel ebenso wie davon, dass er eher glaubt, "dass der Papst noch Alice Schwarzer ehelicht" bevor diese "letzte Bastion" verschwindet, weil "es wird immer irgendeine Radiostation/zu Weihnachten Last Christmas spielen". Das Album dient also durchaus guten Zwecken während der Adventszeit, es eignet sich jedoch definitiv nicht als Hintergrundmusik. Damit "Ach, du fröhliche!" nicht zur Hintergrundmusik gerät, ließ sich Eickhoff ein zusätzliches Geschenk einfallen. Im offiziell letzten Lied des Albums, in "Was ist los? (Ach, du fröhliche Metaebene)" versteckt Eickhoff zitatenweise alle neun restlichen Lieder des Albums. Na, da wünsch ich mal ein gutes Suchen, und frohe Weihnacht sowieso. (mh)