Manche Dinge sollten besser begraben bleiben. Zum Beispiel The Police, deren Schaffensperiode (zumindest was die Veröffentlichung der fünf Studioalben betrifft) in den Postpunk-Jahren lag, also zwischen 1978 und 1983, um 24 Jahre später als Kollektiv auf die Bühne zurück zu kehren.
Don't believe what I saw/A hundred billion bottles
Aus finanzieller Sicht war dies sicherlich eine weise Entscheidung (eine Stehplatzkarte in der Wiener Stadthalle kostete stolze 71,50 Euro), künstlerisch betrachtet löste dieses Reunion-Konzert allerdings gemischte Gefühle aus. Nach dem Motto "Wiedersehen macht Freude, und wenn es so viel kostet, umso mehr" geriet das Konzert am 19. September 2007 in der Wiener Stadthalle zu einer Art Klassentreffen. Alle waren in aufgelöster Party-Stimmung, und dass man sich noch so gut an so vieles erinnern konnte, machte noch eine Spur glücklicher. Dass bei der Eröffnungsnummer des Konzertabends, bei Message in a Bottle, für einen kurzen Moment der Konzertsaal erhellt wurde, und zwar gerade dann, als Sting davon sang, dass er nicht glaubt was er sah, nämlich hundert Milliarden Flaschen, fand ich überaus amüsant, wenn auch sarkastisch. Im Wesentlichen trat aber genau das ein, was eine Reunion ausmacht. Lieder, die man kennt, werden möglichst wenig verändert, damit eben jeder, der bei einem solch einzigartigen Abend dabei ist, mitsingen, mitklatschen, mithüpfen kann, um danach sagen zu können: "Wow, tolle Stimmung. Schon lange nicht mehr so ein gutes Konzert gesehen."
1:1 Retrospektiven und Erneuerungen
Davon mal abgesehen war Schlagzeuger Stewart Copeland umwerfend gut (er hielt mit seiner Power und seinem Drive vieles zusammen, was ansonsten gnadenlos - bzw. noch gnadenloser - auseinander gefallen wäre), Gitarrist Andy Summers so la la, und der singende Mann am Bass, Sting - na ja, Sting halt. Es gab aber nicht nur 1:1-Retrospektiven an diesem Abend, sondern tatsächlich auch Neuerungen im Zusammenspiel des Polizisten-Kollektivs. Die größte Erneuerung sicherlich jene, dass Andy Summers ziemlich viel Platz für Gitarrensoli erhielt, was den kompakten Sound des Trios doch erheblich minderte. Zur Erinnerung: In der Postpunk-Ära waren Gitarrensoli der absolute Frevel, Bands hatten möglichst minimalistisch, also reduziert aufs Wesentliche, zu klingen. Was erlaubt war, waren Dub-Einschübe, Reggae-Sprengseln. All dies nahm sich The Police zu Herzen, mehr noch, sie trieben es bis zur Perfektion und somit bis zu höchsten Charts-Platzierungen.
Retromanisch oder Rockposenhaft
Andy Summers durfte also des öfteren die Rockpose einnehmen (während Sting ihm dabei kumpelhaft über die Schulter schaute), meistens klang das nach Hard-Rock, an zwei Stellen hob Andy Summers aber auch jene Klangstilistik hervor, die Andy Partridge von XTC auf deren Album Black Sea, wie z.B. im Lied Respectable Street, etablierte. Neue Arrangements erhielten zudem auch Lieder wie Don’t stand so close to me (was völlig daneben ging) und vor allem die paar gespielten Lieder aus dem Keyboard-lastigen schwachen Album Ghost in the Machine wie z.B. Every little thing she does is magic (daraus wurde eine wunderbare Version) und der Set-Füller Invisible Sun. Der peinlichste Moment des Konzertabends war das unsägliche De Do Do Do, De Da Da Da, unverständlich, warum sie ein derartiges Lied aus der Versenkung rausschaufeln mussten, um es dann nur halbherzig vorzutragen (der Peinlichkeitsfaktor war im Gesichtsausdruck von Sting während er den sinnentleerten Refrain sang recht gut zu erkennen). Am anderen Ende der Skala, der Höhepunkt also, stand zu Recht am Ende des regulären Sets, Can’t stand losing you aus dem tollen Debüt-Album Outlandos d’Amour. Hier entfalteten Sting, Summers und Copeland eine unglaublich kompakte Energie und Spielwut; sie entfernten sich dabei gerade mal so weit wie möglich, damit Neues aus dem Lied heraus entstehen konnte, um gleichzeitig dennoch dicht dran zu bleiben am ursprünglichen Spirit des Songs. Zum Großteil stand The Police also vor einem Dilemma: "Spielen wir es Retromanisch oder Rockposenhaft und lassen wir Summers solieren?" Mehr ist ihnen zur Reunion leider nicht eingefallen, "Can’t stand losing you" ausgenommen. Wie auch immer: Nach Blondie und Echo & The Bunnymen hatten wir nun also The Police, und das nächste Klassentreffen kommt bestimmt bald. Hoffentlich nicht in Form von Talking Heads. (Text: Manfred Horak; Fotos: Kevin Mazur)