Das Festival in Krems nahm seinen gerechten Verlauf und nach den – im Nachhinein betrachtet – überhöhten Erwartungen des Festivalauftakts (siehe Link-Tipps), wurden die Erwartungen für den dritten Festivaltag am 27. Juli 2007 etwas runtergeschraubt, quasi glatt gebügelt, und siehe da: Ungeachtet des an die finanzielle Grenze gehenden und an die Treue des Publikums appellierenden Eintrittspreises von 39 Euro lohnte sich die Investition des dritten Festivaltags. In erster Linie freilich für jene, die Lust auf eine Sängerin aus Kurdistan und auf viele Gitarren und zwei Schlagzeuge und eine Tuba und überhaupt auf geile Musik und zuckende Knochen hatten.
Der Gaul des Freitags wiehert danach, von hinten aufgezäumt zu werden
Den Abschluss des Tages gestaltete also Nifty’s aus Österreich gemeinsam mit Boom Pam aus Israel. Nifty’s ist die wohl schärfste Band, die momentan unter Österreichs Sonne schwitzt - eine Klezmer-Band, die ohne Klarinette auskommt. Für den trotzdem typischen Sound sorgt Michael „Maikl“ Bruckner vulgo „Brackner“ für das internationale Publikum an der Gitarre. Für die zweite Gitarre ist Fabian Pollack zuständig, an der Trompete geht Thomas Berghammer aus sich heraus und für die sympathischen und eigenwilligen Ansagen sorgt Bassist Dominik Mayerhofer-Grünbühel. Am Schlagzeug arbeitete sich mit Matthias Koch einer der Besten seiner Zunft nachhaltig ab. Boom Bam ist jene Band aus Israel in der ebenfalls zwei Gitarren und vor allem eine Tuba den Ton angibt. Sie spielen schräge Partymusik in der sie die Musik der Surfing Beach Boys mit dem Drive von Klezmer und den Etüden des Rock verbinden. Die Arbeit, den halb entsesselten Saal in der Sandgrube 13 in Stimmung zu versetzen oblag den Jungs von Nifty’s und sie erledigten die Aufgabe ohne erkennbare Schwierigkeiten. Ein kurzer Übergang, und Yuval „Tuby“ Zolotov, der Posaunist von Boom Pam gesellt sich für einen Take auf die Bühne zu Nifty’s, sodann legten die israelischen Musiker los. Mit ihrem Soundgebräu heizten sie die Stimmung noch mehr an und machten die Sandgrube tanzen. Yuval „Tuby“ Zolotov prägt mit seinem Posaunenspiel die Performance der Truppe und der eine Gitarrist - eine optische Wiedergeburt von Jerry Garcia, selig entschlafenes Mastermind von Grateful Dead - spielte seinen Part mit unglaublicher Lässigkeit während sein Partner an der zweiten Gitarre das Publikum mit „Ha“ Schreien anfeuerte. Schlussendlich fanden sich beide Bands auf der Bühne wieder und das Publikum erlebte somit erstmals vier Gitarren, zwei Schlagzeuge und zwei Bläser, sowie einen Bassisten auf der Kremser Festival-Bühne. Frenetischer Applaus und am Liebsten ein Ende nie. Was soll’s, wenn es am geilsten ist, ist das Spiel eben vorbei. Kennen wir ja auch aus anderen Situationen.
Ihr kurdischen Mädchen, steht auf!
Der gebürtige Amerikaner und jetzige Pseudoschweizer Mike Svoboda überbrückte die Wartezeit in der Umbauphase zwischen den Konzerten auf der Zeltbühne mit einer ebenso einfallsreichen wie auch infantilen One Man Show an diversen zu Blasinstrumenten umgewandelten Gebrauchsgegenständen wie einem Gartenschlauch oder einem Abflussrohr. Auch ein Didgeridoo, ein Alphorn und eine Muschel dienten ihm als Hilfsmittel zur Lauterzeugung und Pausen müssen eben sein und wollen auch gefüllt werden. Aynur Dogan, die Sängerin aus Kurdistan, sagt von sich, sie sei keine politische Sängerin, was entweder eine gewaltige Untertreibung oder eine Verkennung der Tatsachen ist. Immerhin singt sie in kurdisch, der in der Türkei verpönten Sprache, immerhin wurde ihre CD mit Verkaufsverbot belegt, weil sie Zeilen wie „Ihr kurdischen Mädchen, steht auf und lasst eure Stimme hören“ sang und immerhin können drei Musiker ihrer Band aus politischen Gründen, obwohl türkische Staatsbürger, nicht in die Türkei einreisen, weil sie ansonsten Repressionen zu befürchten hätten. Damit sind wir auch beim Dilemma ihres Vortrags angelangt. Die Musik nimmt einem vom ersten Moment an gefangen, die Stimme von Aynur bezaubert vom ersten Ton an, wie sie einem da mit Inbrunst und zugleich mit „schüchterner“ Verhaltenheit entgegen sang, aber die Texte sind eben für den der kurdischen Sprache unkundigen nicht zu verstehen und somit breitet sich nach einiger Zeit Langeweile aus, bzw. wird der Gewöhnungseffekt an die Töne bemerkbar. Kurzum: Schön, packend und mitreißend war es, was Aynur und Band bot, noch schöner wäre es gewesen, hätte man auch die Wörter verstanden, die gesungen wurden. Was in der Oper und im Theater möglich ist, nämlich die Texte in Übersetzung mitlaufen zu lassen, fehlte beim Festival Glatt & Verkehrt, was eben vor allem dann schade ist, wenn die Texte das Herzstück der Songs sind. (Text: Alfred Krondraf; Fotos: Lukas Beck)
Live-Tipp:
Aynur and Band (28. Oktober 2007, Sargfabrik Wien; Beginn: 20 Uhr)
Link-Tipps:
Glatt & Verkehrt 2007 (Tag 1) – die Kritik
Interview mit Willi Resetarits
Interview mit Hannes Löschel und Michael Bruckner
Interview mit Wolfgang Muthspiel
HP von Glatt & Verkehrt
HP von Sargfabrik Wien