Andere Länder haben “Top of the Pops”, Bundesvisions-Song-Conteste, Sarah Kuttner, Stefan Raab und Harald Schmidt. Österreich hat Dominik Heinzl (immerhin!), Puls TV-Talkrunden und gotv. Geht Ihnen etwas ab in Sachen Populärkultur im heimischen TV? Eventuell der ORF? Walter Gröbchen auch.
Ich könnte Ihnen ja nun einiges berichten zum spannenden Thema “Wie bekomme ich in Österreich eine Radiolizenz (oder auch nicht)”. Aber das ist eine andere Geschichte. Die ich Ihnen ein anderes Mal erzähle (oder auch nicht). In dieser Kolumne soll es um ein Skandalon gehen, das die Musikwirtschaft und Medienpolitik dieses Landes entschieden ins Visier nehmen sollte, ja muß: die zum Himmel schreiende – weitgehende – Abszenz von Popkultur im TV-Programmangebot des ORF. Aber bleiben wir vorerst beim Rundfunk. Stellen Sie sich vor, Sie drehen Ihr Radiogerät auf, und es würden, egal, auf welchem Sender, fast ausschließlich Hansi Hinterseer, die Fidelen Mölltaler, Kastelruther Spatzen, Flippers und wie sie alle heißen ertönen. Gelegentlich bekäme man eventuell noch Udo Jürgens oder Rainhard Fendrich zu Ohren, ganz selten eine Christl Stürmer. Und dann Schluß. Aus. Basta. Wie würden Sie ein solches Musik-Bouquet bezeichnen? Als absurd? Vollkommen am Markt und Publikum vorbei programmiert? Albtraumhaft, ja unvorstellbar? Natürlich. Wäre es ja auch. Denn wenn von den Rolling Stones über Robbie Williams bis zu den Arctic Monkeys, oder (um in nationalen Gefilden zu bleiben) von Falco, Kruder & Dorfmeister und Ostbahn-Kurti bis hin zu Birgit Denk, Bauchklang und SheSays kaum je ein Pieps im Radio zu hören wäre, würden Sie sich gefrotzelt vorkommen. Und meinen, daß ein derartiges “Programmangebot” kaum diesen Namen verdient hätte. Sondern eher als Beleidigung und Affront zu werten wäre.
D’accord. Nun hören wir aber all die genannten Namen durchaus im Rundfunk, und der öffentlich-rechtliche ORF hat daran einen essentiellen Anteil (auch wenn es immer wieder Debatten um die Quote heimischer Interpreten gibt und geben wird, zurecht meist). Einerseits wird er per Gesetz zu einer Abbildung und Adressierung aller relevanten Bevölkerungsgruppen und kulturellen Strömungen dieses Landes gezwungen, andereseits besteht natürlich auch ein simples wirtschaftliches Kalkül und natürliches Grundinteresse, die Vorlieben und Bedürfnisse eines Großteils der Österreicher nicht einfach zu ignorieren. Im Radiobereich, wohlgemerkt. Denn im Fernsehen ist davon wenig zu bemerken. Und das halte ich tatsächlich für einen Skandal.
Natürlich gibt es den “Amadeus”, natürlich läßt man kreativen Geistern wie David Schalko („Sendung ohne Namen“) ein wenig Narrenfreiheit, natürlich prosperiert der “Kiddy Contest” und natürlich – dahingehend muß die ORF-Presseabteilung nun nicht an einer Entgegnung basteln – überschlagen sich alle ZiBs mit aktueller Berichterstattung, wenn Frau Stürmer einen “Echo” gewinnt (Insider munkeln, der ORF hätte eher zufällig ein Kamerateam vor Ort gehabt). “Treffpunkt Kultur” lädt ins Studio. Und man rückt sogar eine Dolezal/Rossacher-Doku ins Programm, aus gegebenem Anlaß. Und ausnahmsweise nicht zu nachtschlafener Zeit.
Aber im Großen und Ganzen war’s das. Oder fällt hier irgendjemandem ein Show-Konzept ein, das die jüngere, aktuelle Musik-, Creative Industries- und Entertainment-Szene – nicht nur dieses Landes, sondern weltweit – widerspiegelt? Ein regelmäßiges Magazin (von der Qualität, wie sie “25” knapp vor seiner Einstellung annähernd erreichte)? Von einem dezidierten Pop-Format mit Pep überhaupt zu schweigen. Nein, “Dancing Stars” wird nicht als Ersatzdroge akzeptiert. Und der Verweis auf “Taxi Orange” und “Starmania” selig, sorry, mit Gähnen quittiert.
Kurzum: die Situation ist unbefriedigend. Um nicht zu sagen: zum Krenreiben. Vor wenigen Tagen kam mir ein Leserbrief unter, den Horst Unterholzner, immerhin Geschäftsführer des gewiß nicht unnamhaften Konzerns SonyBMG, auf einen löblichen “Kurier”-Artikel hin in das zugehörige Forum gepostet hatte. Er geht so:
“Ich möchte Christina Stürmer und Ihrem Management ganz herzlich zu diesem tollen Erfolg gratulieren, auch wenn die Kategorie "National" in unserem Nachbarland einen etwas schalen Nachgeschmack hinterlässt. Grundsätzlich dazu zwei Fakten - unter den 100 meistgespielten Titeln in den heimischen Radiostationen 2005 befanden sich ganze FÜNF (!) von
österreichischen Künstlern, darunter der bestplatzierte auf Platz
57 (Rising Girl) - ein Trauerspiel! Und es gibt nicht eine regelmäßige TV-Plattform für heimische Pop-Musik beim öffentlich- rechtlichen ORF. Wir haben bei SonyBMG alleine in den letzten Monaten drei junge Acts unter Vertrag genommen. Doch solange speziell die elektronischen Medien heimisches Popschaffen derart mit Ignoranz abstrafen, wird sich die schwierige Lage nicht wesentlich ändern. Ohne die Plattform "Starmania" würde auch Frau Stürmer sehr wahrscheinlich noch Bücher in Oberösterreich verkaufen. Trotzdem kämpfen wir weiterhin jeden Tag für Popmusik made in Austria!“
Der Mann hat selbstverständlich recht. Mit pathetisch-patriotischen Kampfansagen pro heimisches Liedgut sind aber bislang fast alle am Negativ-Bollwerk ORF gescheitert, von Peter Paul Skrepek bis Franz Morak. Ich denke, es geht auch um mehr. Es geht schlicht das Aufbrechen der stupenden Unprofessionalität, Ignoranz (ja: Bunkermentalität) und Non-Kreativität, mit der sich das mit Abstand größte Medienunternehmen dieses Landes dem weiten Themenfeld Populärkultur weithin und generell verschließt. National und international. Und damit seiner Aufgabe einer entsprechenden Versorgung seines – Gebühren zahlenden – Publikums nicht nachkommt. Das ist ein unakzeptabler Zustand. Das ist ein massives Versäumnis. Das ist ein Thema, das die nächste Geschäftsführung in den Griff bekommen muß, um nicht neben den evidenten Finanzproblemen auf ein mindestens in gleichem Maß am ORF-Image und –Income nagenden programmliches Legitimations-Problem zuzusteuern.
Oder hält man uns alle wirklich für früh vergreiste, ewig zufriedene Alpendodeln, die nur Hansi Hinterseer verdient haben? Und im tiefsten Inneren auch nie etwas anderes wollten? Wenn ja, dann soll man das offen sagen. Wenn nein: dann bitte dringend etwas ändern. Danke. (Walter Gröbchen)
*Dieser Artikel ist erstmals in SOUND & MEDIA in der Kolumne „Grob Gröber Gröbchen“ veröffentlicht worden. Mit freundlicher Genehmigung von Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Info zur Abbildung:
Ein Screenshot vom Kulturangebot im ORF (TV) an einem ganz gewöhnlichen Samstag.