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Luchterhand (2006)
Erinnerungen
332 Seiten
Vorweg: Selten habe ich jüngst ein Buch mit größerem Vergnügen gelesen. Frank McCourt unterrichtete dreißig Jahre lang Englisch und Kreatives Schreiben an öffentlichen Schulen in New York City; dieser Erfahrungsschatz kommt dem lebensnahen, prallen Text mehr als zugute. Der Prolog legt ungeniert nahe, dass der Autor von Jugend an im Grund Schriftsteller werden wollte, was ihn gewiss schnurstracks zu Reichtum und Prominenz geführt hätte. Er spricht so - in der tadellosen Übersetzung von Rudolf Hermstein - auch Träume zahlloser Germanistikstudent/innen an. Leider haben beide dazwischen noch ein paar Rechnungen zu zahlen, also: Lehramt und Entsagung, höherer Idealismus in der Bildung nächster Generationen über Wortschatz, Rechtschreibung und Grammatik hin zu den höheren Weihen der Literatur, und wie.
Hey, Mann, was soll das?
Wie vermutlich die meisten leidenschaftlichen Leser/innen, Sprachlehrer/innen und Autor/innen zweifelt McCourt keine Sekunde an der Kraft und den Möglichkeiten von Literatur, ein Ich in vielerlei Hinsicht zu bereichern. In Zitaten und (Unterrichts-) Beispielen würdigt er die Großen der englisch-amerikanischen. Die Crux liegt freilich darin - wo nicht? - die eigene Begeisterung erfolgreich zu vermitteln; das Publikum folgt hier, weil Schulpflicht, nur störrisch. Es hat asiatische, puertorikanische oder schwarzamerikanische Lebenshintergründe, Sozialhilfe, Drogen, Alkoholismus kommen öfter vor als wohlstandsverwahrloste Kids, mit Berufsperspektiven als Elektriker oder Kosmetikerin. Hey, Mann, was soll das?
Genau darum geht es. Alltagssituationen seiner Schüler/innen wie Pizzeria, Kinobesuch oder Zeitungslektüre verzahnt McCourt mit den Möglichkeiten individueller wie phantasievoller Betrachtung und Ausdrucksweise. Über die oft harschen Einsprüche der Betroffenen, deren seltene Zustimmung, über die bürokratischen Hürden der vorgesetzten Schulbehörde, die unrealistischen Vorstellungen der Eltern, der Öffentlichkeit und auch der Schüler/innen, über Rolle und Leben eines Lehrers bis zur eigenen Unzulänglichkeit, zwar Literatur, aber doch nicht Lehren gelernt zu haben.
Dass der Band autobiographisch ist, ist unter Umständen der einzige Vorwurf, den man ihm machen kann. McCourt bedient sich einer Überdosis an verknapptem Realismus, er baut daraus einen heiteren und ehrlichen Plot. Phantastische Essenzen, allzu fein verästelten Wortsinn, komplexeste Strukturen versprüht er nicht. Das finden wir anderswo - und danken straight-ahead. (Monika Gentner)